Jöllenbecker Str. 583
33739 Bielefeld
Deutschland
<p>Im lokalen Gedächtnis genießt die jüdische Unternehmerfamilie Wertheimer eine hohe Wertschätzung. Mit ihrer mechanischen Seidenweberei in Jöllenbeck (1889) boten sie den ansässigen Webern gut bezahlte familiennahe Arbeitsplätze und einen harmonischen Übergang vom Handwebstuhl in die maschinelle Fabrikarbeit. Die Sorge um das Wohlergehen ihrer Arbeiterfamilien und ihr soziales Engagement gehörten zur Unternehmensphilosophie. Um 1904 übernahmen Eduard und Paul Wertheimer von ihren Eltern die florierende Seidenweberei. Sie positionierten sich mit modischen Seidenstoffen nach Delius & Söhne auf Platz zwei der Bielefelder Seidenwebereien. Im Herbst 1935 gerieten die Wertheimer unerwartet unter den Verfolgungsdruck der örtlichen Finanzbehörden. Ihnen wurden die Pässe abgenommen, Geschäfts- und Privaträume durchsucht und Hausverbote erteilt. Damit endete ihr eigenverantwortliches Unternehmertum. Monatelange Ermittlungen konnte den Vorwurf nicht beweisen, sie hätten über ihr deutsch-schweizerisches Tochterunternehmen in Lörrach Erlöse in der Schweiz „verschoben“.</p><p>Im weiterhin offenen Verfahren entschlossen sich die Wertheimer – inzwischen hoffnungslos und gesundheitlich am Ende ihrer Kräfte – für einen „Befreiungsakt“: Sie sicherten der Devisenstelle den Verkauf ihres Unternehmens zu. Der kurzfristige Verkauf der Weberei gestaltete sich wegen Verwerfungenen auf den Textilmärkten als schwierig. Am 29. Juli 1936 verkauften die Wertheimer schließlich unter Handlungsdruck ihre Firma weit unter Einheitswert an den Margarine-Konzern UNILEVER, der die Weberei unter dem Namen Ravensberger Seidenweberei (RSW ) gewinnbringend fortsetzte. Paul Wertheimer verlor 1936 bei seiner Auswanderung nach England durch „legale fiskalische Beraubung“ den größten Teil seines ohnehin geringen Verkaufserlöses. Eduard Wertheimer hatte sich dafür entschieden, in Deutschland zu bleiben um seine Verwandten und notleidende Juden zu unterstützen. Er schied am 21. Juli 1942 durch Suizid aus dem Leben.</p>
S. 821-824; Nr. 25, (1976), S. 876-878, Nr. 26 (1977), S. 896-898, Nr. 27 (1977) S. 929-931, Nr. 29 (1978), S. 1001-1002
Wirtschaftsbiographien, Bd. 14, Bielefelder Unternehmer des 18. bis 20. Jahrhunderts, Hrg. von Jürgen Kocka und
Reinhard Vogelsang, Münster 1992, S. 269 – 288
In: Jupp Asdonk (Hrg) :“Es waren doch unsere Nachbarn!“ Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945
Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte Bd. 24, Bielefeld 2014, Seite 101-102, 148-153
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