Die Magdeburger Synagogen-Gemeinde ab 1945
Nach dem Ende des NS-Regimes gehörten der Magdeburger Synagogen-Gemeinde nur noch 90 Mitglieder an. 1.500 Mitglieder wurden ermordet, die übrigen konnten vor 1939 emigrieren. Einer der wenigen Überlebenden war der in Magdeburg geborene Gyula Grosz (1878-1959), ein jüdischer Arzt, der dafür bekannt war, sich für Arbeiter*innen einzusetzen. Er überlebte als „Krankenbehandler“ für Patient*innen aus sogenannten „Mischehen“ und konnte durch die Fälschung von Attesten von der Deportation Bedrohte als transportunfähig einstufen und dadurch retten.
Die Synagogen-Gemeinde fand sich unmittelbar nach dem Einmarsch der US-Truppen wieder zusammen. Sie sollte eine von acht Jüdischen Gemeinden sein, die bis zum Ende der DDR im Jahr 1990 bestand. Die Aufgaben der neu gegründeten Synagogen-Gemeinde unter ihrem Vorsitzenden Horst Ismar Karliner (*1895) bestanden daraus „Schutzraum für Gleichgesinnte“ zu sein, Seelsorge und Gottesdienste zu organisieren und zwischen Besatzungsmächten sowie jüdischen Hilfsorganisationen zu vermitteln.
Jüdinnen*Juden, die nach der NS-Zeit in Deutschland blieben, waren eine Minderheit. Horst Karliner, der in der NS-Zeit im KZ Buchenwald interniert war und in Magdeburg Zwangsarbeit leisten musste, hatte sich im Gegensatz zu vielen Verwandten und Freund*innen dafür entschieden, in Magdeburg zu bleiben. In einem seiner Briefe an sie schrieb er, dass sie zwar „wieder Geschäft und Stellung gefunden haben, [sich jedoch nicht] wohl fühlen, vereinsamt [sind], da bei jedem Geschwister und Verwandte von den Nazihorden ermordet wurden“. Karliner flüchtete im Zuge der antisemitischen Verfolgungswelle im Januar 1953 nach Westberlin.
Eine zusätzliche Herausforderung bestand darin, dass die Gemeinde 1947 die Betreuung von 19 Provinzgemeinden wie z.B. Stendal, Halberstadt, Wernigerode oder Tangermünde durch sogenannte Provinzbeauftrage übernahm. Am 5. Oktober 1947 gründete sich außerdem der Landesverband jüdischer Gemeinden im Lande Sachsen-Anhalt unter dem Vorsitz von Hermann Baden mit Sitz in Halle an der Saale. Zu dieser Zeit bestanden insgesamt neun Gemeinden in Sachsen-Anhalt, zum Beispiel in Aschersleben, wo die kleine Gemeinde 30 Mitglieder zählte.
In Magdeburg waren Gemeindeeinrichtungen, wie z.B. die Synagoge in der Schulstraße 2, zerstört worden. Ihre Gottesdienste hielten die Mitglieder deshalb in unterschiedlichen provisorischen Räumen ab. So wurde beispielsweise in der dritten Etage des Mietshauses Halberstädter Straße 113 ab 1947 ein Betsaal eingerichtet. Auch das Verwaltungsgebäude des jüdischen Friedhofs im Fermersleber Weg 40-46 diente als Gemeindebüro. Als die Gemeinde das Grundstück der zerstörten Synagoge in der Schulstraße an die Stadt verkaufte, erhielt sie 1950 im Austausch ein Haus in der Klausener Straße 11, das sie bis zum Jahr 1965 als Synagoge und Verwaltungsgebäude nutzte. Das Gemeindezentrum befindet sich seit 1968 in der Gröperstraße, wo auch der Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalts untergebracht ist.
Gedenken
Auf dem städtischen Westfriedhof in der Großen Diesdorfer Straße 160 wurde in den 1960er Jahren ein Ehrenhain angelegt, der aus fünf Einzelgrabstätten besteht. In vielen Publikationen wird von einem Denkmal für jüdische Opfer gesprochen, in anderen Publikationen dagegen wird er als Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus, vielleicht sogar für Widerstandskämpfer beschrieben. In jedem Fall waren einige der hier erinnerten Personen jüdisch.
Zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome wurden überall in der DDR Erinnerungszeichen errichtet. So ließ auch die Stadt Magdeburg in der Julius-Bremer-Straße ein Mahnmal aufstellen, das vom Metallkünstler Josef Bzodok gestaltet wurde. Die Inschrift erinnert auf zwei Gebotstafeln an die Synagoge und die über 1.500 Jüdinnen*Juden aus Magdeburg, die Opfer der Schoa wurden. Auf der Rückseite sind die Worte aus dem Buch Hiob und zwei Leuchter zu sehen. Mit seiner rötlichen Oberfläche wirkt das Denkmal verbrannt. Das Areal trägt seit 1999 den Namen „An der alten Synagoge“. Ganz in der Nähe erinnert seit 2004 ein von der „Magdeburgischen Gesellschaft von 1990 e.V.“ angebrachtes Relief an die 1938 zerstörte Synagoge.
Rückgang und Wiederaufleben der Gemeinde
Die Überalterung der immer kleiner werdenden Gemeinden war überall in der DDR ein Problem, zeigte sich aber in Magdeburg besonders stark. Durch den Wegzug von 18 ehemaligen Gemeindemitgliedern in Folge der antisemitischen Welle in der DDR im Jahr 1953, schrumpfte die Gemeinde Mitte der 1950er von 162 auf 44 Mitglieder. Dieser Umstand wirkte sich auf das Gemeindeleben aus. Seit Februar 1976 trafen sich die 44 Mitglieder der Synagogen-Gemeinde, von denen ein Großteil über 65 Jahre alt war, nur noch fünf Mal im Jahr: an den Hohen Feiertagen zu Gottesdiensten mit anschließendem Zusammensitzen. Anfang der 1980er Jahre zählte die Jüdische Gemeinde Magdeburg nur noch etwa 20 Mitglieder.
Ab den 1990er Jahren zogen jüdische Zuwanderer*innen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Der Zuzug zeigte sich auch in Magdeburg, wo die Gemeinde 1997 auf etwa 160 Mitglieder anwuchs und im Jahr 2005 bereits über 700 Mitglieder zählte.
Magdeburg ist seit den 2000er Jahren wieder ein Ort, an dem Jüdinnen*Juden sowohl Teil der Gemeinde sind als auch unabhängig von ihr leben. 2005 gründete sich neben der bestehenden Gemeinde auch eine liberale jüdische Gemeinde. Aktuell ist eine neue Synagoge im Entstehen – der Bau wurde im Mai 2022 begonnen und soll im November 2023 fertiggestellt werden. Für Diskussionen sorgte 2019 die Kritik des Bundes der Steuerzahler an der Finanzierung des Baus durch öffentliche Gelder. Wadim Laiter, Vorstandsvorsitzender der Synagogengemeinde zu Magdeburg, machte deutlich, dass es auch die deutschen Steuerzahler waren, die die damalige Synagoge zerstört hatten.
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