Jüdisches Leben in Dresden ab 1945
Der letzte Deportationstransport aus Sachsen nach Theresienstadt wurde durch das Chaos in Folge alliierter Bombenangriffe auf Dresden am 14. Februar verhindert. Etwa 70 Jüdinnen*Juden flüchteten und tauchten unter. Viele von ihnen beteiligten sich im Herbst 1945 an der Wiedergründung der Jüdischen Gemeinde in der Bautzner Straße 20. In dem bis heute von der jüdischen Gemeinde genutzten Gebäude konnten bald wieder Gottesdienste stattfinden. Als erster Vorsitzende amtierte Leon Löwenkopf (1892-1966).
Die Zahl der Mitglieder erhöhte sich schnell und lag Ende der 1940er Jahre bei über 200. Zum Einzugsgebiet der Gemeinde gehörten auch Görlitz, Bautzen und Zittau, wo wegen zu geringer Mitliederzahlen nach 1945 nur kurzzeitig Gemeinden existierten. Damit verbunden waren unter anderem die Pflege der Görlitzer Synagoge und verwaister jüdischer Friedhöfe. Eine Aufgabe der Jüdische Gemeinde war die Rückübertragung von Eigentum, das der Religionsgemeinschaft in der NS-Zeit enteignet wurde. Dass sich dieser Prozess verzögerte, lag auch an Unmut aus der Bevölkerung. So nahm beispielsweise ein Beschäftigter des städtischen Gartenamts Anstoß am Verlust des Alten Jüdischen Friedhof als Grünfläche für die Dresdner Bevölkerung.
Alte und Neue Synagoge
Eine vom Bildhauer Friedrich Döhner geschaffene Stele in Form einer Menora erinnert seit 1975 an die während der Novemberpogrome zerstörte Semper-Synagoge sowie an die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Anders als in der Inschrift zu lesen, lag die Synagoge 50 Meter vom Gedenkort entfernt, wo heute der Brückenkopf der Carolabrücke und eine Straßenbahnhaltestelle liegen. Ob der Grund dafür Nachlässigkeit, mehr Sichtbarkeit oder Verkehrsplanung war, ist unbekannt.
Bei der Weihe der Synagoge in der Fiedlerstraße am 18. Juni 1950 durch den Landesrabbiner Martin Riesenburger handelte es sich um die erste Weihe einer neu errichteten Synagoge (Umbau der ehemaligen Totenhalle) nach der Schoa im Nachkriegsdeutschland. Während es zu Beginn noch eigene Vorbeter gab, kamen bald Gastrabbiner und -Kantoren wie der Leipziger Oberkantor Werner Sanders nach Dresden.
1953 - Verfolgung, Flucht und Auswirkungen
Zu den Jüdinnen*Juden, die wegen der antisemitischen Politik der SED-Regierung Anfang des Jahres 1953 aus der DDR flohen, gehörte auch der Gemeindevorsitzende Leo Löwenkopf. Sein Schicksal verdeutlicht, dass bereits zuvor eine Atmosphäre des Unbehagens vorherrschte. Denn Löwenkopf, der im Vorfeld Antisemitismus öffentlich und auch innerhalb der SED thematisierte, war bereits 1950 für drei Monate in Haft.
Jüdinnen*Juden hatten erneut Stigmatisierung und Traumatisierung erfahren, der Mitgliederschwund verstärkte sich und die meisten Jüdischen Gemeinden verloren ihre Vorsitzenden. Das führte auch in Dresden zunächst zu Orientierungslosigkeit innerhalb der Gemeinde. Als Vorsitzender folgte ab 1953 der gelernte Textilkaufmann Helmut Aris (1908-1987).
Ein Bericht der Volkspolizei, dem zufolge sich Gemeindemitglieder positiv zur DDR verhalten würden, allerdings durch „Verleitung zur Republikflucht“ und „wiederrechtlichem Empfang von Westpaketen“ Gesetze verletzten, verdeutlicht, dass auch in Dresden die jüdische Gemeinde durch staatliche Stellen überwacht wurden.
Helmut Aris – ein Dresdner als Verbandspräsident der Jüdischen Gemeinden in der DDR
Nach dem Tod von Hermann Baden (1883-1962) wählten die Mitglieder des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der DDR am 24. Juni 1962 Helmut Aris zum neuen Verbandspräsidenten. Auch der Verbandssitz wurde von Halle nach Dresden verlegt. Seit 1963 (bis 1985) war Dresden außerdem der Ort für zentrale Veranstaltungen des Dachverbands. Seit September 1964 wurde das 1961 gegründete „Nachrichtenblatt“ des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der DDR in Dresden herausgegeben. Aris war Mitte der 1950er als Inoffizieller Mitarbeiter beim Ministerium für Staatssicherheit dokumentiert, verweigerte jedoch Berichte über Gemeindemitglieder. Er kritisierte den von der DDR abgestrittenen staatlichen Antisemitismus, in dem er zum Beispiel die Ermittlungsergebnisse zu Friedhofsschändungen in Dresden in Zweifel zog. Darin wurde behauptet, vierjährige Kinder hätten die Grabsteine umgeworfen.
Neues Bewusstsein für Jüdische Geschichte
Erst kurz vor der „Wiedervereinigung“ rückte die jüdische Geschichte und die Schoa in der DDR allmählich in den Blickwinkel von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Einer der wenigen, der auf diesem Gebiet privat forschte, war der aus dem Exil in Palästina zurückgekehrte Helmut Eschwege. Eschweges Manuskript zu einer Publikation über Synagogen in Deutschland im Jahr 1967 wurde wegen ideologischen Vorbehalten (er wurde als „Zionist aus der SED ausgeschlossen) zurückgehalten, sodass sein Buch erst 1988 erscheinen konnte. Dennoch gelang es ihm, dass seine Erkenntnisse zum Thema Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus – eine Forschungslücke der westdeutschen Geschichtswissenschaft – bereits in den 1970er Jahren von einem internationalen Publikum gelesen wurden.
Dass zur „Wende“ neues Bewusstsein für jüdische (Lokal-)Geschichte aufkam, veranschaulicht der Platz vor dem heutigen Johanneum. Im Jahr 1992 erhielt er seinen früheren Namen „Jüdenhof“ zurück, den der Platz bis zur Umbenennung 1936 als Verweis auf das erste jüdische Gebetshaus Dresdens im Mittelalter führte.
Nachwuchs und Zuzug
Für viele jüdische Remigrant*innen spielte die jüdische Identität neben ihrem Selbstverständnis als Sozialist*in nur eine nachgeordnete Rolle. Viele Kinder von Remigrant*innen begannen sich wiederum ab den späten 1970er Jahren mit der Frage ihres Jüdisch-Seins auseinandersetzen.
Seit den 1990er Jahren wuchs die Jüdische Gemeinde Dresden durch Zuzug aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Damit kamen jüngere Mitglieder, die das religiöse Leben bereicherten, aber auch neue soziale und gemeindepolitische Aufgaben auf die Jüdische Gemeinde Dresden zu.





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