Die jüdische Nachkriegsgemeinde in Halle
Zum Zeitpunkt des Einmarsches sowjetischer Truppen lebten in der Stadt an der Saale und Umgebung nur noch 49 Jüdinnen*Juden. Bereits im Sommer 1945 entschieden sich Schoa-Überlebende zur Rückkehr. Viele der nun in Halle ankommenden „Displaced Persons“ hatte die NS-Zeit zum Beispiel in Konzentrationslagern überlebt. Während einige auf Durchreise waren, suchten andere angesichts ihrer zerstörten Heimatorte hier ein neues Zuhause. Für ihre Betreuung wurde innerhalb des „Hilfswerks der Provinz Sachsen“ eine Sonderabteilung für „Jüdische Angelegenheiten“ mit Räumen in der Burgstraße 46 gegründet. Sie wurde von dem aus Polen stammenden Kaufmann und Theresienstadt-Überlebenden Hermann Baden (1883-1962) geleitet, der auch für die allgemeine Versorgung zuständig war: er half den Displaced Persons bei der Suche nach Wohnungen und Arbeitsplätzen, und kümmerte sich um die mit Nahrungsmitteln gefüllten „JOINT-Pakete“.
Hermann Baden war es auch, unter dessen Leitung 1947 die jüdische Nachkriegsgemeinde in Halle gegründet wurde. Auch die nur kurzzeitig bestehende Gemeinde in Bitterfeld gliederte sich bald darauf an. Der Landesverband jüdischer Gemeinden im Lande Sachsen-Anhalt hatte ab 1947 seinen Sitz in Halle, ebenso der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR unter dem Vorsitz Hermann Badens von 1952 bis 1962.
Räume für die Gemeinde
Der Neuanfang bedurfte Räumlichkeiten. Denn sowohl das Gemeindehaus als auch die Synagoge waren während der Novemberpogrome beschädigt worden. Eine frühe Aufgabe des Vorstands bestand in der Wiederherstellung der Trauerhalle auf dem Jüdischen Friedhof an der Dessauer Straße (ehemals Boelckestraße), um Verstorbene angemessen bestatten zu können. Die Trauerhalle wurde während der Zeit des Nationalsozialismus als Sammellager missbraucht. Anschließend wurde sie von der sowjetischen Armee beschlagnahmt und diente zur Unterbringung von Geflüchteten, später als SED-Parteistelle. 1953 erhielt die Gemeinde die Trauerhalle in katastrophalem Zustand zurück und musste sie aufgrund von fehlenden Mitteln für eine Renovierung an die Stadt verpachten, die das Gebäude als Altersheim weiternutzte. Ersatzweise wurde eine kleinere Trauerhalle errichtet.
Mit der finanziellen Unterstützung, die die Jüdische Gemeinde Halle im Herbst 1947 beim Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt beantragte und nach einem längeren Prozess 1952 erhielt, konnte die Trauerhalle des Friedhofes an der Humboldtstraße zum Gebetsraum ausgebaut werden. Die Gemeinde besaß nun wieder eine Synagoge, die im Juli 1953 eingeweiht wurde. Nach langwierigen Verhandlungen erhielt die Gemeinde außerdem ihr Gemeindehaus zurück, sodass sie für Sitzungen nicht mehr auf Wohnungen der Vorstandsmitglieder zurückgreifen musste.
Gedenken
Im Jahr 1965 hatten die DDR-Behörden am früheren Standort der Synagoge am Großen Berlin ein Mahnmal errichtet. Mitte der 1980er Jahre musste es einer neuen Bebauung des Platzes weichen. Seit dem Jahr 1984 erinnert auf dem ehemaligen Grundstück Am Großen Berlin ein Denkmal in Form eines rekonstruierten Portals an die damalige Synagoge.
Skandal
Die Jüdische Gemeinde Halle wurde nach dem Tod Hermann Badens von 1968 bis 1986 von Karin Mylius (geb. Lobel 1934-1986 ) geleitet. In den 1980er Jahren kam heraus, dass ihr Vater unter dem NS-Regime als Polizist gegen Jüdinnen*Juden vorging. Mutmaßliches Ziel der falschen Identität als Tochter von NS-Opfern war es, sich Vertrauen in der Jüdischen Gemeinde zu verschaffen. Die Autorin Ursula Hohmann schreibt 2000, dass das SED-Mitglied Mylius vermutlich „von gewissen Staatsorganen gezielt in die jüdische Gemeinde eingeschleust worden [war]“. In dieser Zeit begannen die Gemeindestrukturen zu verfallen, sodass die Gemeinde am Ende der DDR nur noch drei Mitglieder von insgesamt sechzig praktizierenden Jüdinnen*Juden in ganz Sachsen-Anhalt zählte. Während viele Gemeinden angesichts geringer Mitgliederzahlen Gottesdienste lediglich an den Hohen Feiertagen begingen, waren Gemeindemitglieder aus Halle in der Regel in anderen Gemeinden zu Gast. Nach der Amtsenthebung von Karin Mylius wurde erst 1987 mit der Oberschlesierin Käthe Ring, die die NS-Zeit im Bezirk Halle in der Illegalität überlebt hatte, eine neue Vorsitzende gefunden.
Gudrun Goeseke
Die 2016 fertiggestellte Gudrun-Goeseke-Straße am Steintor in Halle wurde nach der gleichnamigen Bibliothekarin benannt. Gudrun Goeseke (1925-2008) arbeitete die jüdische Geschichte von Halle auf und machte sie zugänglich. Im Jahr 1978 hatte Goeseke bei Aufräumarbeiten in einem Keller des jüdischen Gemeindehauses alte Dokumente gefunden, unter denen sich zum Beispiel Deportationslisten und Fotos von aus Halle deportierten Jüdinnen*Juden befanden. Goeseke versuchte auch an die Öffentlichkeit zu bringen, wie sich die SED durch die Person Karin Mylius in die Jüdische Gemeinde einmischte. Jedoch wurde sie daran von der Staatssicherheit gehindert, von der sie fortan überwacht wurde. Erst mit dem Ende der DDR wurde Gudrun Goeseke Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Halle und konnte dort den Fund des Archivs der Jüdischen Gemeinde Halle weiter bearbeiten.
Zuwanderung ab den 1990er Jahren
Zu Beginn der 1990er Jahre setzte auch in Halle und Umgebung die Einwanderung von Jüdinnen*Juden aus ehemaligen Staaten der Sowjetunion ein. Ihre Unterbringung erfolgte in den Aufnahmeheimen in Klostermansfeld und Helbra. Durch sie stieg die Zahl der Gemeindemitglieder erstmals wieder an, sodass der Gemeindevorstand im September 1991 zu Rosch Haschana zwanzig neue Mitglieder in der halleschen Synagoge in die Gemeinde aufnehmen konnte.
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