Gemündener Straße 2
Hessen
35285 Gemünden
Deutschland
<p>Zwischen 1924 und 1927 lebten und arbeiteten nachweisbar einzelne Chaluzim des Jungjüdischen Wanderbundes und des Hechaluz in Grüsen. 1925 wurde es als „koscheres Zentrum“ bezeichnet, wobei die Chaluzim auf Bauernhöfe des Ortes verteilt waren.<br />Am 17. August 1934 erschien vor dem Landratsamt in Frankenberg der Fliesenleger Gerhart Boltes aus Kassel und erklärte, dass die Jugendabteilung Hechaluz der zionistischen Ortsgruppe Kassel beabsichtige, bei dem Land- und Gastwirt Jacob Marx in Grüsen vier Jungen und zwei Mädchen auf etwa sechs Monate unterzubringen. Diese sollten bei den jüdischen Landwirten in Grüsen zur Ausbildung in der Landwirtschaft als Vorbereitung für die Auswanderung nach Palästina untergebracht werden. Der Landrat und die Staatspolizeistelle in Kassel erhoben keine Einwendungen. Die Lehrzeit in der Landwirtschaft sei notwendig, damit die Juden das Einreisezertifikat für Palästina bekommen könnten. </p><p>Ab 1937 diente Grüsen als Stätte der „Mittleren-Hachschara“. In der Zeit seiner Existenz zwischen Sommer 1934 und Herbst 1938 durchliefen insgesamt über 140 Teilnehmer:innen, Männer und Frauen aus dem ganzen Deutschen Reich, die Ausbildung. Die im Vergleich mit der einheimischen Bevölkerung freiere Lebensweise der überwiegend aus der Stadt kommenden jüdischen Teilnehmer:innen blieb allerdings nicht ohne Folgen. Wiederholt wurden sie nur sehr spärlich oder völlig unbekleidet beim Baden in den Teichen in den Hainaer Wäldern angetroffen. Im August 1935 erstattete der Gendarmerieposten Haina beim Amtsanwalt in Marburg Anzeige gegen ein Pärchen, weil sie das „Sitten- und Schamgefühl der ländlichen Bevölkerung auf das Gröbste verletzt und durch ihre Handlung öffentlich Ärgernis erregt“ hätten. Kurz danach wurde der junge Mann in „Schutzhaft“ genommen. Der schwerste Vorfall vor dem Novemberpogrom ereignete sich am Abend des 14. Juli 1938, als Nationalsozialisten aus Haina und Umgebung (SA- und SS-Leute und Angehörige der Hitlerjugend) in „Räuberzivil“ unter Führung des dortigen Ortsgruppenleiters im Rahmen einer „Strafexpedition“ als Vergeltung für eine angebliche Beleidigung des „Führers“ durch Insassen des Kibbuz das Lager überfielen. </p>
Neuen Kommentar hinzufügen