Adolf Jakob Bensinger

Adolf Bensinger wurde am 8. März 1866 als erstes Kind einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Mannheim geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters trat er mit 22 Jahren in den Vorstand der vom diesem mitgegründeten „Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik“ ein. Die weltweit erfolgreiche Firma sowie das Unternehmen „Wasserdichte Wäsche Lenel, Bensinger & Cie“ ermöglichten ihm den Aufbau eines beträchtlichen Vermögens.

 Seine finanziellen Möglichkeiten nutzte Bensinger zur Ausstattung seiner Villa in der Mannheimer Oststadt und zum Aufbau einer bedeutenden Kunstsammlung. Er machte sie der Öffentlichkeit zugänglich, u.a. durch Leihgaben an Museen. Darüber hinaus war er gemeinnützig tätig, z. B. durch Stiftungen an die Kunsthalle Mannheim oder die Finanzierung einer Wanderausstellung über Tuberkulose.

 Seine international beachtete Sammlung blieb während des Novemberpogroms 1938 erhalten. Bensingers Versuche, der „Zerschlagung“ seiner Sammlung entgegenzuwirken, scheiterten dennoch. Am 28. Juni 1939, dem Tag, als ihm der Beschlagnahmebescheid zugestellt wurde, starb Bensinger. In Folge der Beschlagnahmung der gesamten Villa wurden seine Kunstwerke 1940 auf einer kurzfristig angesetzten Versteigerung verschleudert. Von den wenigsten ist der heutige Aufenthaltsort bekannt.

 

Vater: Joseph Friedrich Julius Bensinger (1841 in Bodersweier - 1891 in Mannheim) 

Mutter: Berta Bensinger, geb. Bensheimer (1844 in Mannheim -1926 in Mannheim) 

Ehefrau: Ida Luise Bensinger, geb. Kahn (1877 in Mannheim - 1934 in Mannheim), Heirat am 14. März 1899 

Kinder: Keine 

Bruder: Dr. h.c. Dr. Karl Joseph Bensinger (1869 in Mannheim - 1936 in Mannheim),  
verh. mit Alice (Lissie) Bensinger, geb. Darmstaedter (1884 in Mannheim - 1942 in Auschwitz)

 

***

Für zahlreiche Auskünfte und Bereitstellung von Bildmaterial bedanke ich mich bei folgenden Personen und Institutionen: 

Barbara Becker, Mannheim, Archivarin (1981-2004) im Stadtarchiv Mannheim (jetzt MARCHIVUM) veröffentlichte u.a. zahlreiche biographische Arbeiten zur Mannheimer Stadtgeschichte; Karl Britz, Bodersweier, Mitautor des Buchs The Bensingers, Herausgeber Bensinger Global Media, LLC, Deerfield, Illinois 60015, USA, Privatdruck Illinois USA 2020; MARCHIVUM; Kunsthalle Mannheim.

Beruf
Unternehmer, Sammler
Geburtsdatum
8. März 1866
Geburtsort
Mannheim
Gender
Mann
Literatur
Bausch, Karl-Heinz / Probst, Hansjörg: Neckarau, Bilder und Erinnerungen, Mannheim 1984
Britz, Karl / Bensinger, Ethan: The Bensingers, herausgegeben von Bensinger Global Media, LLC, Deerfield, Illinois 60015, USA, Privatdruck Illinois USA 2020
Fritsche, Christiane: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Upstadt-Weier/Heidelberg/Neustadt a.d.W. 2013, S. 229-230, 386-390, 462-463, 599, 731, 831

Fritsche, Christiane / Paulmann, Johannes (Hg.): „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen Städten, Köln/Weimar/Wien 2014

Listl, Mathias: Die Kunsthalle Mannheim und ihre jüdischen Mäzene: Schicksalswege fünf jüdischer Familien aus Mannheim. In: Holten, Johan, Listl, Mathias (Hg.): (Wieder-)Entdecken. Die Kunsthalle 1933 bis 1945 und die Folgen. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim, 01. Juni bis 31. Januar 2021, 2. Aufl. Berlin 2020, S. 67-89.
Probst, Hansjörg: Neckarau, Mannheim 1989, Band 2, S. 304, 465-468
Tatzkow, Monika: „Praktisch zertrümmert“. Die Kunstsammlung Adolf Bensinger, Mannheim, in Fritsche 2014, S. 261-284
Unterrheinischer Bezirk des badischen Architekten- und Ingenieur-Vereins u.a.: Mannheim und seine Bauten 1906, Nachdruck Mannheim 2014, S. 335, 336
Stationen
Titel
Herkunft der Familie
Adresse

heutige Querbacher Str. 25 (ehemaliger Standort der Synagoge)
77694 Kehl-Bodersweier
Deutschland

Geo Position
48.59746634828, 7.8706572190477
Stationsbeschreibung

Die weitverzweigte Familie Bensinger hat ihren Ursprung im Ort Bodersweier, der heute ein Stadtteil von Kehl in der unmittelbaren Nachbarschaft von Strasbourg ist. Im 18. Jahrhundert betrieben die Landesherren, die Grafen von Hanau-Lichtenberg in Buchsweiler, heute Bouxwiller, eine vergleichsweise liberale Politik gegenüber den Juden. Als „Schutzjuden“ waren sie bei Zahlung des „Schutzgeldes“ geduldet. 

Der erste bekannte Vorfahre mit dem Namen Bensinger war Auscher Bensinger (1763-1840), ein „Kuh- und Sackhändler“. Als er starb, waren die rechtsrheinischen Teile der Grafschaft und auch Bodersweier an das Land Baden übergegangen. Er war Adolf Bensingers Urgroßvater. Dessen Sohn Friedrich Bensinger (1809-1866) handelte in Bodersweier mit Baustoffen wie Trass (Bestandteil von Mörtel), hydraulischem Kalk, Steinkohlenteer und Kalk. Zeitweise war er Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Bodersweier. Er übersiedelte um 1850 mit seiner zweiten Frau Elisabetha (1805-1856) und den Kindern nach Mannheim, wo er sich sesshaft machte. Zwei der Kinder, Auguste und Joseph, sollten dort bedeutende Unternehmerfamilien gründen.

 Joseph Bensinger (Joseph Friedrich Julius Bensinger, 1841-1891) war der Enkel von Auscher Bensinger und der Vater von Adolf Bensinger. Er nahm später die Vornamen Julius und den Namen seines Vaters Friedrich an. Den Namen Joseph legte er ab. Im Jahr 1865 heiratete er Berta Bensheimer (1844-1926), die Tochter des Mannheimer Buchhändlers und Verlegers Jakob Bensheimer (1807-1863). 1866 kam Adolf Bensinger als Erstgeborener zur Welt.

Im Geburtseintrag von Adolf Bensinger heißt es: „Im Jahre eintausendachthundert sechsundsechzig dem achten März Mittags fünf Uhr wurde daheim geboren und am fünfzehnten desselben Monats beschnitten Adolf Jakob, ehelicher Sohn des hiesigen Bürgers und Kaufmannes Joseph genannt Julius Bensinger und der Bertha geborene Bensheimer.“ (Landsarchiv Baden-Württemberg, http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1229199-1, Bilder 138/139)

Titel
Kindheit und Jugend in den Quadraten
Adresse

M 2, 16,17
68161 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.484888, 8.465572
Stationsbeschreibung

Adolf Bensingers Geburtshaus hatte die Adresse M 2, 17. Das Haus, seit den 1850er Jahren in Familienbesitz, war ein barockes Eckhaus in Schlossnähe. Es wurde 1901 durch das noch heute bestehende Gründerzeithaus ersetzt.

Das Nachbarhaus M 2, 16 bewohnten seit den 1870er Jahren Tante Auguste und Onkel Moritz Sterner, die Schwester und der Schwager von Adolfs Vater. Sie waren 1884 die Gründer der „Moritz Sterner Porzellan Manufaktur Mannheim“, die Porzellangeschirr für Hotels, aber auch Toilettenschüsseln und Waschbecken herstellte. 1885 ist im Adressbuch auch im Nachbarhaus M 2, 17 Familie Bensinger gemeldet, wo vorher zeitweise der Onkel und die Tante gewohnt hatten. 

Die Großmutter Lore Bensheimer, die Witwe des bedeutenden Verlegers und Buchhändlers Jakob Bensheimer, wohnte nicht weit in M 1, 1. In dieser gutbürgerlichen und behüteten Umgebung wuchs Adolf auf. 

Es ist zu vermuten, dass Adolf die Volksschule in L 1 besuchte. Im Mannheim wurden seit 1870 in der Simultanschule die Kinder aller Konfessionen und Religionen gemeinsam unterrichtet. Die frühere katholische Volksschule im ehemaligen „Nonnenkloster“ in L 1 diente als Gemeinschaftsschule. Über den Besuch einer höheren Schule schweigen sich die Schulakten aus. Adolfs jüngerer Bruder Karl besuchte das „Vereinigte Großherzogliche Lyzeum“ in A 4. 

Auch nach der Gründung der Fabrik in Neckarau wohne die Familie bis zum Tod der Mutter 1926 in M 2, 16 und M 2, 17.

 Wann und unter welchen Umständen Adolf Bensinger seine elf Jahre jüngere Frau Luise kennenlernte, ist nicht bekannt. Die Eheschließung fand am 14. März 1899 statt. Luises Eltern waren Emil (Elias, geb. 1832 in Stebbach – 1896 in Mannheim) und Anna Kahn (1843 in Fußgönheim – 1900 in Mannheim), die beiden Brüder hießen Richard Michael und Adolf F. Kahn. 

Es ist anzunehmen, dass die Heirat in der Mannheimer Hauptsynagoge in F 2, 13 stattfand. Wie die Mehrzahl der gut betuchten jüdischen Bewohner der Oststadt zählten die Bensingers vermutlich zum religiös-liberalen Gemeindeteil. Dessen Mitglieder besuchten eher die Hauptsynagoge und nicht die orthodoxe Klaus-Synagoge. Die Quellen schweigen sich über die religiöse Einstellung des Ehepaars Bensinger aus. 

Nach der Vermählung von Adolf Bensinger mit Luise und kurz vor dem Einzug in die neuerbaute Villa in der Oststadt wohnte das Ehepaar 1900-1901 in einem Mietshaus in der Akademiestr. 8 im Stadtteil Jungbusch.

Titel
Die „Schildkröt“-Fabrik
Adresse

Gummistraße
68169 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.454733228792, 8.4962559833558
Stationsbeschreibung

In dem neben Mannheim gelegenen Dorf Neckarau gründete der Vater Friedrich Julius Bensinger zusammen mit Viktor und Alfred Lenel sowie dem Bankhaus Hohenemser 1873 die „Rheinische Hartgummi-Waaren-Fabrik“. In ihr wurde seit 1884 Weichgummi und seit 1886 Celluloid hergestellt. 

Adolf Bensinger trat im Jahr 1888 mit 22 Jahren als ältester Sohn des Firmengründers in den Vorstand der Firma ein, die seit 1885 den Namen „Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik“ trug. Nach dem Tod des Vaters wurde auch der zweitälteste Sohn Carl Bensinger (1869-1936) im April 1893 Vorstandmitglied der Firma. 

Anfangs wurden Schirm- und Stockgriffe, aber auch Kämme und Toilettenartikel produziert. 1896 wurde die erste wasserfeste „Badepuppe“ aus Zelluloid hergestellt. Mit der Produktion von Puppen gelang der Firma der Durchbruch. Unter dem Namen Schildkröt wurden sie weltberühmt. 

Die Schildkröte ließ sich die Firma 1899 als Markenzeichen patentieren. Das Firmenlogo sollte den neuen Industriewerkstoff symbolisieren, der robust wie ein Schildkrötenpanzer war. Zelluloid war bruchfest, abwaschbar und farbecht. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden hochwertige Puppen mit Porzellanköpfen produziert, die als zerbrechliches Luxusgut kaum für Kinderhände geeignet waren. Nun ermöglichte das neue Material die Serienproduktion von natürlich wirkenden Kinderpuppen. 

Die Schildkröt-Puppen wurden ein internationaler Exportschlager und trugen den Namen Mannheims in alle Welt hinaus. Die kostengünstigen Puppenköpfe, Gliedmaßen und auch die Tischtennisbälle aus Zelluloid wurden zum Erfolgsmodell in Europa und Übersee. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hatte „Schildkröt“ über 6.000 Beschäftigte und war einer der größten Arbeitgeber der Region. 

1929, zu Beginn der Weltwirtschaftskrise, veräußerte Bensinger seine Anteile an der „Schildkröt“. Die „Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik“ ging an den IG Farbenkonzern über. Die Fabrik „Wasserdichte Wäsche Lenel, Bensinger & Cie.“ dagegen, die 1886 aus der „Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik“ hervorgegangen war, blieb im Besitz der Gründungsfamilien. Kommerzienrat Adolf Bensinger war bis zum Ende der 1930er Jahre neben seinem Bruder Carl bzw. dessen Witwe Lissi und Richard Lenel einer der Hauptgesellschafter der Wäschefabrik. ,

Die Gummistraße gibt es heute nicht mehr. Von der Fabrik sind nur noch der Wasserturm, zwei prächtige Hallen und Restgebäude zu sehen. Die Hallen dienen für Kongresse und Tagungen. Der elegante, 43 m hohe Turm, 1905 nach den Plänen des Architekten Leopold Stober errichtet, war das Wahrzeichen der „Schildkröt“ und später des „High-Tech-Parks“, der 1993 auf dem ehemaligen Firmengelände errichtet wurde. Der Turm kennzeichnet heute die „Kulturstätte Alte Schildkrötfabrik“. 

Heute werden Sammlerpuppen und Spielpuppen von Schildkröt in Rauenstein/Thüringen als Replika in begrenzter Auflage produziert.

Titel
Wohnhaus und Kunstsammlung
Adresse

Werderplatz 12
68165 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.485292836561, 8.4811513754704
Stationsbeschreibung

Als Wohnsitz für seine Frau Ida Luise und sich wählte Adolf Bensinger die Mannheimer Oststadt. Das großbürgerliche Viertel war noch in der Frühphase des Entstehens. 

Die repräsentative, für das Ehepaar Bensinger erbaute Villa am Werderplatz 12 war eine der luxuriösesten in Mannheim. Sie entstand in herausragender Lage am damals noch freien Werderplatz nach Plänen der Architekten Heinrich Joseph Kayser und Karl Großheim (Berlin/Düsseldorf) als Monumentalbau mit Steinfassade in Barockform. Das Grundstück in der Größe von über 3000 qm zog sich bis zur Viktoriastraße und umfasste einen privaten Tennisplatz. Gegen den Bau der monumentalen Christuskirche (1907-1911) vor seiner Haustür erhob Bensinger, wie auch andere Anwohner, 1906 vergeblich Einspruch. 

Die Wohnräume waren mit Jugendstilmöbeln der Mainzer Hofmöbelfabrik A. Bembé und der Mannheimer Hofmöbelfabrik L. J. Peter ausgestattet und boten ausreichend Platz für die Kunstwerke, die Adolf Bensinger erwarb. Erste Kunstankäufe waren schon vor der Jahrhundertwende erfolgt, die eigentliche Sammlung entstand in den 1910er und 1920er Jahren. 

In seiner Sammeltätigkeit konzentrierte sich Bensinger auf deutsche und französische Malerei des Realismus und des Impressionismus. Dazu zählten Arbeiten von Jean-Baptist Camille Corot, Honoré Daumier, Pierre-Auguste Renoir und Rosa Bonheur ebenso wie Werke von Max Liebermann, Adolph von Menzel, Fritz von Uhde, Wilhelm Trübner und Hans Thoma. Postimpressionstische Künstler wie Vincent van Gogh, Ferdinand Hodler und Giovanni Segantini vervollständigten Bensingers Sammlung. Ein alter Meister des 17. Jahrhunderts, ein Ölgemälde zweier Falken mit Hahn und Hühnern des Niederländers Melchior d´Hondecoeter, scheint eine Ausnahme in Bensingers Sammelinteresse gewesen zu sein. 

Die Gemälde schmückten seine Villa mit Bedacht. Im Parterre hingen im Herrenzimmer Ferdinand Hodlers „Holzfäller“, Vincent van Goghs „Gräberstraße in Arles“ sowie Hans Thomas „Badende Knaben“ und die „Märchenerzählerin“. Das „grüne Zimmer“ zierten Fritz von Uhdes „Verkündigung“ und „Christus predigt“, Max Liebermanns „Am Strand“ und Hans Thomas „Heilige Familie“ sowie „Apollo und Marsyas“ und Adolph von Menzels „Kopf eines bärtigen Mannes“. Im Musikzimmer standen sowohl ein Steinweg- als auch ein Bechstein-Flügel, Notenschränke und Sitzmöbel. An den Wänden hingen je eine „Landschaft“ von Pierre-Auguste Renoir und Jean-Baptiste Camille Corot, die „Heuernte“ von Giovanni Segantini und verschiedene Zeichnungen. Das Esszimmer war beherrscht von dem monumentalen Melchior d´ Hondecoeter, zwei Werke von Rosa Bonheur, „Geißbock“ und „Löwe“ und, was damals dazugehörte, ein Bismarckportrait. Im Treppenhaus und in der Diele hingen Adolf Schreyers „Brennender Posthof“, Heinrich Zügels „Kühe“, Hans Thomas „Buchenwald“, Fritz Boehles „Kartoffelernte“, ein „Pferdekopf“ von Rosa Bonheur und „Clowns“ von Honoré Daumier. Ein Gang durchs Haus glich einem Besuch im Kunstmuseum. 

Adolf Bensinger stand mit der Mannheimer Kunsthalle in einem regen Austausch. Der Direktor Fritz Wichert (1878-1951) beriet Bensinger bei seinen Ankäufen und der Sammler stellte bereitwillig seine Werke als Leihgaben zur Verfügung. Allein 1916/17 lieh Bensinger der Kunsthalle und dem Kunstverein für die Ausstellung aus Mannheimer Privatbesitz 14 Gemälde und zwei Zeichnungen.

Titel
„Arisierung“ und drohende weitere Enteignung
Untertitel
Fabrik „Wasserdichte Wäsche Lenel, Bensinger & Cie.“
Adresse

Gummistr. 3-7
68199 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.454733228792, 8.4962559833558
Stationsbeschreibung

1929 hatte Adolf Bensinger seine Anteile an der Schildkrötfabrik veräußert. Noch aber war die Fabrik „Wasserdichte Wäsche Lenel, Bensinger & Cie.“, die 1886 aus der „Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik“ hervorgegangen war, im Besitz der Gründungsfamilien. Bensinger blieb bis zum Ende der 1930er Jahre neben seinem Bruder Carl bzw. dessen Witwe Lissi und Richard Lenel einer der Hauptgesellschafter. 

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel zusammen mit einer Reihe von Schicksalsschlägen für Adolf Bensinger ein. Nach dem Verlust seiner 1934 nach langer Krankheit verstorbenen Ehefrau Luise folgt 1936 der Tod seines Bruders Carl. Mit dessen Frau Lissie (Alice) und den drei Kindern war er eng verbunden. 

Durch „Arisierung“ gingen ihm 1938 die Anteile an der von seinem Vater mitgegründeten Firma Lenel, Bensinger & Co. verloren. Von der „Entjudung“ der Firma profitierten der nationalsozialistische Staat und die Westfälisch-Anhaltinische Sprengstoff Actien-Gesellschaft sowie Carl Scheu, der Direktor der seit 1929 nicht mehr im Familienbesitz befindlichen „Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik“. Der Arisierungsvertrag wurde am 21. Dezember 1938 abgeschlossen. 

Adolf Bensinger änderte am 17. März 1939 sein Testament. Eigentlich hatte er seine Kunstsammlung den Kindern seines Bruders und den Verwandten seiner verstorbenen Frau zugedacht. Inzwischen war es Juden verboten, Kunstwerke über 1.000 RM frei zu veräußern. Daher setzte er nun jene vier Großnichten und -neffen ein, die keinen jüdischen Vater hatten. Nach den NS-Rassegesetzen galten sie als „Mischlinge ersten Grades“ und der herzkranke 73-Jährige hoffte, dadurch seine Sammlung innerhalb der Familie weitervererben zu können. Bensinger wollte mit allen ihm noch zur Verfügung stehenden Mittel verhindern, dass seine Sammlung nach seinem Tod zerschlagen wurde. Als Testamentsvollstreckerin bestimmte er seine Schwägerin Lissie Bensinger. 

Schon zu seinen Lebzeiten setzten die Begehrlichkeiten der deutschen Behörden auf die Kunstsammlung ein. Am 5. Juni 1939 forderte ihn die Devisenstelle Baden in Karlsruhe auf, ein Verzeichnis seiner Gemälde zu erstellen. Die Aufstellung enthielt 26 Gemälde und Zeichnungen sowie die Alt-Meißener Porzellangruppe „Die Künste“. Bensinger versandte sie am 15. Juni 1939 an den Oberfinanzpräsidenten Karlsruhe. 

Bald stattete der Leiter der Kunsthalle Karlsruhe, Kurt Martin (1899-1975), bei Adolf Bensinger einen Besuch in dessen Mannheimer Villa zur Besichtigung der Werke ab. Er berichtete der zuständigen Oberfinanzdirektion und verlangte die Beschlagnahme der Sammlung und die „Sicherstellung“ mehrerer Werke in der Kunsthalle Karlsruhe. 

Die Devisenstelle machte Bensinger nun „zur Auflage, über die in Ihrem Besitz befindlichen Gemälde und Kunstgegenstände bis zum Eintreffen weiterer Weisungen in keiner Weise zu verfügen“. Am Tag der Zustellung des Sicherstellungsbescheids, dem 28. Juni 1939, starb Adolf Bensinger. Das verhängnisvolle Schreiben lag geöffnet auf seinem Schreibtisch.

Titel
Die Versteigerung
Untertitel
Kunsthaus Nagel
Adresse

O 5, 14
68161 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.485613399129, 8.4696405380097
Stationsbeschreibung

Nach Bensingers Tod besuchte Kurt Martin die Testamentsvollstrecker, Bensingers Schwägerin Lissie und den mit der Familie befreundete Bankdirektor im Ruhestand Siegfried Plato (1888-1944 in Auschwitz). Unter Berufung auf mündliche Absprachen mit dem Verstorbenen pochte Martin darauf, aus dem Nachlass sieben Werke ohne Entgelt zu erhalten: zwei Werke von Thoma, zwei von Menzel, einen Corot, einen Renoir und einen Daumier. Weil das Testament über diese Schenkungen keine Auskunft gab und eine behördliche Anweisung fehlte, konnte man ihn abweisen. 

Kurt Martin insistierte mit der Begründung „ein Jude [darf] auch auf dem Testamentsweg nicht über seinen Kunstbesitz verfügen.“ Doch er konnte die Übergabe der von ihm geforderten Stücke an die Kunsthalle Karlsruhe nicht durchsetzen. 

Eine Wendung trat ein, als im 10. Februar 1940 das Kommando des Flughafenbereichs Mannheim-Sandhofen, die Villa für die Luftwaffe beschlagnahmte. Das Haus sollte bis zum 24. des Monats geräumt werden, so dass sich der Nachlassverwalter Plato gezwungen sah, das Auktionshaus Fritz Nagel mit einer Versteigerung zu beauftragen. Nagel hatte sich selbst bei der NSDAP-Kreisleitung als spezialisierter „Taxator des Kulturgutes für auswandernde Juden“ empfohlen. Am 22. Februar kam Bensingers Sammlung unter den Hammer, nicht in Nagels Kunsthandlung in O 5, 14, sondern direkt in der Villa. 

Der Auktionskatalog kündigte eine „Nachlass-Versteigerung“ an, den wahren Grund der Auktion konnte man allerdings durch die Namensangabe „Kommerzienrat Adolf Israel Bensinger“ ahnen. Das Inventar der Bensinger-Villa umfasste 140 Positionen und hatte einen Schätzwert von 194.680 RM. Der Versteigerungskatalog listete davon 62 Positionen. Allein die Gemälde wurden auf einen Gesamtwert von fast 90.000 Reichsmark taxiert. Daneben nennt der Katalog Porzellane und Bronzen, Perserteppiche und kostbare Möbel. Der letztlich erzielte Auktionserlös von 133.430,10 RM ging auf das für den Nachlass eingerichtete Sperrkonto. 

Nur von wenigen verkauften Positionen ist der heutige Verbleib bekannt. So besitzt das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt Fritz Uhdes „Christus als Lehrer“. Der Direktor der Karlsruher Kunsthalle, Kurt Martin, ging leer aus. Obwohl er sich besonders eifrig um ausgewählte Gemälde bemüht hatte, kam es zu keinem Ankauf der Kunsthalle Karlsruhe aus dieser Versteigerung. 

Jahrzehnte später recherchierte die Historikerin Monika Tatzkoff im Auftrag der Bensinger-Erben, dass zwei Großnichten, die eigentlich als Erben im Testament genannt waren, mehrere Bilder, ihr eigenes Erbe also, für 45.600 RM ersteigern mussten. Doch auch sie brachten die Nationalsozialisten um ihren Besitz. 

Annemarie, Irmgard (geb. 1930) und Gabriele Conzen (geb. 1927), die Nichte und Großnichten Bensingers, konnten ihr Leben retten. Die Familie wohnte in Berlin in der Nachbarschaft von Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945), des Leiters der „Abwehr“, des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht. Sein Verhalten war zwiespältig, denn auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus war er tätig. Er ermöglichte die Flucht von Annemarie, Irmgard und Gabriele in die Schweiz unter einer Bedingung: Sie mussten ihren gesamten Besitz dem Amt Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht übergeben, darunter waren sechs Bilder aus der Mannheimer Villa ihres Großonkels. Am 30. September 1942 betraten sie Schweizer Boden. 

Adolf Bensingers Schwägerin, die Mutter bzw. Großmutter Lissie Bensinger wurde am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet. Die Villa am Werderplatz wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Titel
Verbleib der Gemälde von Adolf Bensinger
Untertitel
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Lost Art-Datenbank
Adresse

Humboldtstraße 12
39112 Magdeburg
Deutschland

Geo Position
52.115175003638, 11.623802941603
Stationsbeschreibung

Nach Kriegsende stellten Adolf Bensingers Nichte Annemarie Conzen und deren Töchter Irmgard und Gabrile Conzen bei den Berliner Wiedergutmachungsbehörden Anträge auf Rückerstattung. Das schloss auch ihr Erbe bzw. die ersteigerten Gemälde aus der Sammlung ihres Onkels bzw. Großonkels ein. Fritz Nagel, dessen Auktionshaus inzwischen nach Stuttgart umgezogen war, erinnerte sich kaum mehr an die, wie er sie nannte, „freiwillige Versteigerung“ (Tatzkow 2014, S. 277). Der Kunsthallendirektor in Karlsruhe, Kurt Martin, äußerte 1947, dass Bensinger die Übergabe der Sammlung an seine Kunsthalle abgelehnt habe und damit selbst schuld an der Zerschlagung seiner Sammlung gewesen sei. 1962 kam es zu einem allgemeinen Vergleich mit den Conzens. Annemarie Conzen starb 1979 in Buenos Aires. 

Im Jahr 1998 einigten sich in Washington über 40 Staaten auf gemeinsame Prinzipien zur Rückerstattung von Kunstwerken. In Deutschland billigten Bund, Länder und Kommunen ausdrücklich die Washingtoner Prinzipien. Die bereits 1994 in Magdeburg eingerichtete Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste unterhält die „Lost-Art-Datenbank“ mit Such- und Fundmeldungen, um die Washingtoner Prinzipen umzusetzen. Infolge dieser Entwicklung nahmen im Jahr 2000 auch die Erben die Suche nach der Kunstsammlung ihres Vorfahren Adolf Bensinger wieder auf. Ihnen war die Identifizierung eines Gemäldes möglich, das 1942 zwangsweise dem Oberkommando der Wehrmacht überlassen wurde. Der „Kopf eines bärtigen Mannes“ von Adolf Menzel wurde 1997 bei Christie´s in London angeboten. Das monumentale Gemälde „Kartoffelernte“ von Fritz Boehle, das einst den Eingangsbereich der Bensinger-Villa schmückte, war 1972 an die Frankfurter Sparkasse übergeben worden. In beiden Fällen fanden die Besitzer und die Erben Bensinger eine „gerechte und faire Lösung“ im Sinne der Washingtoner Erklärung. 

Das Segantini Museum in St. Moritz ist im Besitz der „Heuernte“ von Giovanni Segantini. Bensinger selbst hatte es der Gemeindeverwaltung St. Moritz 1939 vermacht, als er gezwungen war, sein Testament zu ändern. Dort steht man auf dem Standpunkt, das Vermächtnis habe auf dem freien Willen des Stifters beruht. 

Die „Badenden Jünglinge“ von Hans Thoma wurden von der Bundesrepublik, in deren Eigentum das Gemälde sich befand, als Fundmeldung in die Magdeburger Lost Art-Datenbank eingestellt und inzwischen den Erben Bensinger zurückgegeben. 

Van Goghs „Gräberstraße von Arles“ hatte der NS-Kunsthändler Hans Wendland vom Oberkommando der Wehrmacht übernommen. Dieser verkaufte es aber nach Paris, von wo aus es an einen Basler Kunstsammler gelangte. 1949 einigte sich dieser mit Annemarie Conzen. Heute befindet sich das Gemälde in Privatbesitz. 

Auch Fritz von Uhdes „Christus predigt“ war eines der Gemälde, die von Bensingers Großnichten 1940 ersteigert wurden, aber dann dem Oberkommando der Wehrmacht überlassen werden mussten. Es gelangte in die Sammlung des Berliner Immobilienmaklers und NS-Kunstkäufers Conrad Doebbeke, aus dessen Besitz es 1958 an die Schweinfurter Kunstsammlung Georg Schäfer versteigert wurde. 2005 stand es unter „Raubkunstverdacht“. Eine gütliche Einigung der Erben mit dem Besitzer ist nicht bekannt. 

Die Mehrzahl der Gemälde blieb verschollen.

Titel
Stiftungen und Ehrungen
Adresse

Jüdischer Friedhof
68167 Mannheim
Deutschland

Geo Position
49.490559, 8.494355
Stationsbeschreibung

Adolf Bensinger fühlte sich als Unternehmer seiner Stadt verpflichtet. Er stiftete den städtischen Sammlungen Mannheim 1907 Adolf Hoelzels Gemälde „Kirchgang“ von 1903. Ein Jahr später folgte die Schenkung des Gemäldes „Kartoffelernte“ von Rudolf Gönner, welches1943 bei einem Luftangriff zerstört wurde. 

1908 stiftete er ein Tuberkulose-Museum, angespornt durch ein eigenes Lungenleiden. Als „Wandermuseum für Volksaufklärung“ wurde die Ausstellung in mehreren Städten gezeigt. Ein Beitrag im „Frankfurter Israelitischen Familienblatt“ vom 23. Dezember 1909 hob lobend hervor: „Mannheim. Welch' lebhaftes Interesse gerade unter uns Juden für die Allgemeinheit herrscht, zeigen die fortgesetzten Stiftungen für allgemeine Zwecke. So wurde dieser Tage im benachbarten Frankenthal ein Tuberkulose-Museum eröffnet, das Herr Adolf Bensinger, Mitinhaber der Rheinischen Gummi- und Celluloidfabrik, gestiftet hat…“ 

Als Dank für seine hochherzigen Stiftungen und „humane Gesinnung“ verlieh ihm der Großherzog von Hessen 1909 den „Verdienstorden Philipps des Großmütigen“, der Großherzog von Baden ernannte ihn 1910 zum Kommerzienrat und erteilte ihm 1911 die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen des „Königlich Preußischen Roten Adler Ordens“. 

An Adolf Bensinger, der über 40 Jahre die Schildkröt-Fabrik leitete, einer der größten Arbeitgeber in Mannheim war und den Namen Mannheims in der Welt bekannt gemacht hatte, erinnert heute nicht einmal ein Straßenschild in der Stadt. Weil die Fabrik teilweise auf Brühler Gemarkung stand und vielen Brühler Bürgern Arbeitsplätze sowie soziale Leistungen bot, ehrte ihn die Nachbargemeinde Brühl bereits 1910 mit der Umbenennung ihrer Schulstraße in Adolf-Bensinger-Straße. Ausgenommen waren die Jahre 1933-1945, in denen sie wieder unter ihrem früheren Namen Schulstraße geführt wurde. 

Adolf Bensinger wurde im Familiengrab auf dem jüdischen Friedhof Mannheim beigesetzt, in dem bereits seine Eltern und seine 1934 verstorbene Ehefrau Luise ruhten. Die repräsentative Grabanlage aus schwarzem Granit befindet sich an der rechten Umfassungsmauer in einer Reihe mit zahlreichen Grabstätten von jüdischen Honoratiorenfamilien der Gründerzeit. Das Familiengrab Bensinger ist an der Mauer in Höhe des Feldes B 1 angelegt.

Sterbedatum
28. Juli 1939
Sterbeort
Mannheim

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Autor
Volker Keller
Leichte Sprache
Aus