Henri Hinrichsen

Henri Hinrichsen leitete den Leipziger Musikverlag „Edition Peters“ über mehr als drei Jahrzehnte, in denen er zahlreichen modernen Komponisten zu Ruhm und Einkommen verholfen hat. Er und seine Frau Martha verwandten Teile ihres Privatvermögens für soziale wie kulturelle Zwecke. So half Henri Hinrichsen dem Leipziger Musikinstrumentenmuseum mit einer großzügigen Spende, Ankäufe vorzunehmen, und der jüdischen Feministin Henriette Goldschmidt, die „Hochschule für Frauen“ zu gründen. Als Sammler galt Henri Hinrichsens besondere Vorliebe der zeitgenössischen Malerei, vor allem den Vertretern des Realismus wie Hans Thoma, Adolph von Menzel und Wilhelm Leibl, neben älteren Meistern wie Carl Spitzweg und Adam Friedrich Oeser. Darüber hinaus bildeten die Briefe namhafter Komponisten eine umfangreiche Autographensammlung. Die Stadt Leipzig ernannte Henri Hinrichsen zum Geheimen Kommerzienrat, die Leipziger Universität verlieh ihm im Mai 1929 die Ehrendoktorwürde. In der NS-Zeit wurde er entrechtet, sein Unternehmen „arisiert“. Der von den Nazis diktierte, vollkommen unangemessene Kaufpreis für den gesamten Besitz von gerade mal 1 Million Reichsmark deckte nicht einmal die Kosten der „Reichsfluchtsteuer“ und zahlreicher weiterer Zwangsabgaben. Ende Januar 1940 übersiedelten die Hinrichsens nach Brüssel. Doch bereits im Mai desselben Jahres wurde Belgien von der deutschen Wehrmacht besetzt. Ein Jahr später starb Martha Hinrichsen, weil für sie als jüdische Diabetikerin das erforderliche Insulin nicht zu beschaffen war. Henri Hinrichsen wurde deportiert und am 17. September 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. 

Beruf
Musikverleger, Mäzen, Sammler
Geburtsdatum
5. Februar 1868
Geburtsort
Hamburg
Gender
Mann
Literatur
Benestad, Finn / Brock, Hella (Hrsg.): Edvard Grieg. Briefwechsel mit dem Musikverlag C. F. Peters 1863-1907, Frankfurt/M. 1997.
Bucholtz, Erika: Der Leipziger Musikverlag C.F. Peters in der Ära Henri Hinrichsen (1891-1938), in: Uns eint die Liebe zum Buch - jüdische Verleger in Leipzig (1815-1938), Hentrich&Hentrich, Leipzig 2021.
Bucholtz, Erika: Henri Hinrichsen und der Musikverlag C. F. Peters. Deutsch-jüdisches Bürgertum in Leipzig 1891 bis 1938 (= Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, Bd. 65), Tübingen: Mohr Siebeck, 2001.
Fetthauer Sophie: Hans-Joachim Hinrichsen, in: Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.): Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Hamburg 2007.
Fetthauer Sophie: Musikverlage im „Dritten Reich“ und im Exil, Bockel Verlag, Neumünster 2007.
Lawford-Hinrichsen, Irene (Verfasserin) in: Judaica Lipsiensia: zur Geschichte der Juden in Leipzig / hrsg. von der Ephraim-Carlebach-Stiftung [Red. Manfred Unger], Leipzig 1994.
Stationen
Titel
Herkunft
Adresse

Merkurstraße 35/38
20357 Hamburg
Deutschland

Adressbeschreibung
Die Merkurstraße ging im heutigen Hmaburger Messegelände auf
Geo Position
53.56201680006, 9.9742143365491
Stationsbeschreibung

Der Stammbaum der Familie Hinrichsen lässt sich zurückverfolgen bis zum Alhambra-Edikt im Jahr 1492, jenem Ausweisungsbeschluss für Juden aus Spanien durch die katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragonien. Die Vorfahren der Hinrichsens zogen daraufhin wie viele sephardisch-jüdische Familien nach Portugal. Dort aber sollten sie 1497 zwangsgetauft werden. So flohen die Ahnen der Hinrichsens abermals, diesmal in den Norden Europas. Der erste Vorfahre, der namentlich bekannt ist, hieß Ruben Henriques und war Ende des 16. Jahrhunderts nach Glückstadt gekommen. Die Stadt gehörte damals zu Dänemark. König Christian IV. hatte hier eine sogenannte Exulantenstadt errichtet und den Zuwanderern vollständige Religionsfreiheit garantiert. Bald wurde aus dem Namen Henriques das dänisch klingende Hinrichsen. Die Nachfahren des Ruben Henriques verstreuten sich nun als Hinrichsen von Glückstadt aus über weite Teile Norddeutschlands. Im Jahr 1832 verließ ein Adolph Hinrichsen (1808-1887) seine Heimatstadt Schwerin und ließ sich in Hamburg nieder, wo er 1849 das volle Bürgerrecht erhielt. In der Merkurstraße gründete er mit nachhaltigem Erfolg eine Korsettfabrik. In wenigen Jahren hatte er den Grundstock eines ansehnlichen Familienvermögens erarbeitet. Schließlich übernahm sein Sohn Robert Hinrichsen (1835-1917) das Unternehmen. Im liberalen Israelitischen Tempelverband genoss er großes Ansehen und gehörte dessen Vorstand 24 Jahre lang an. Dies war jene Synagoge, in der vor allem die wohlhabende jüdische Bevölkerung Hamburgs zu finden war. 1862 hatte Robert Hinrichsen die aus einer Danziger Kaufmannsfamilie stammende Betty Abraham (1840-1919) geheiratet. Deren Sohn Henri wird die Mutter später als eine „ungewöhnlich kluge und lebhafte Frau“ (Bucholtz, Seite 19) beschreiben.  

Henri Hinrichsens Vater Robert hatte seine Kindheit noch in dem Firmengebäude in der Merkurstraße verbracht, welches teilweise auch Wohnhaus gewesen ist. Die eigenen Söhne aber durften – dem wachsenden Vermögen geschuldet – ihre Kindheit und Jugend im großbürgerlichen Stadtteil Rotherbaum verleben. An der weiteren Biographie des Henri Hinrichsen aber wird nicht dessen Vater den wesentlichen Anteil haben – dieser nämlich wollte ihn zu seinem Nachfolger in der Korsettfabrik ausbilden, die sich nach wie vor in der Merkurstraße 35/38 befand. Einen entscheidenden, wenngleich unfreiwilligen Einfluss übte schließlich der Bruder von Henris Mutter aus. Der hieß Max Abraham (1831-1900) und war Besitzer des Leipziger Musikverlages C. F. Peters. 

Titel
Kindheit in Hamburg
Adresse

Hallerplatz 9
20146 Hamburg
Deutschland

Geo Position
53.571865048753, 9.9851731459865
Stationsbeschreibung

Am 5. Februar 1868 kommt Henri Hinrichsen in Hamburg zur Welt. Als mittlerer von drei Brüdern wächst er gemeinsam mit Max und Edmund unweit der exklusiven Rothenbaumchaussee auf. Im gleichermaßen gediegenen wie großzügigen Kaufmannshaushalt wurde ein gehobener bürgerlicher Lebensstil gepflegt. Henri Hinrichsen besuchte zunächst eine private Grundschule und danach, wie auch seine Brüder, jenes Realgymnasium, welches im Jahr 1834 aus der Gelehrtenschule des Johanneums hervorgegangen war. Diese war eine 1529 von Johannes Bugenhagen, Pastor und Weggefährte Martin Luthers, gegründete, angesehene Bildungseinrichtung. Das Besondere wie auch Vorausschauende war, dass man hier schon relativ früh, seit dem frühen 19. Jahrhundert nämlich, jüdischen Schülern (generell jedoch keinen Schülerinnen) den Zugang ermöglicht hat. Nach der räumlichen Trennung von der Gelehrtenschule des Johanneums war das Realgymnasium 1876 in jenen Schul- und Museumsbau am Steintorplatz gezogen, in welchem sich heute das Museum für Kunst und Gewerbe befindet. Was dieses Realgymnasium speziell für die Söhne der Hamburger Bürgerschaft attraktiv machte, war der Bildungsschwerpunkt auf praxisorientierten kaufmännischen Fächern. Das mochte auch den Unternehmer Robert Hinrichsen bewogen haben, seine Söhne in diese traditionsreiche Schule zu schicken. Nachdem der älteste Sohn der Hinrichsens ein Jura-Studium begonnen hatte, war nun von Henri, dem Zweitgeborenen, erwartet worden, nach Abschluss der Schulzeit ins väterliche Unternehmen einzusteigen. Eine Erwartung, die zunächst auch nicht enttäuscht wurde. Widerspruchslos ging Henri Hinrichsen in der Korsettfabrik in die Lehre, jedoch nur ein halbes Jahr lang. Später wird er diese sechs Monate als „kürzere Gastrolle im väterlichen Geschäft zwecks kaufmännischer Ausbildung“ (zit. nach Bucholtz 2001, S. 20) beschreiben. Es war jedoch nicht das Kaufmännische was ihm nicht behagte, sondern eher die Branche. Längst war er mehr am kulturellen Leben interessiert und entschlossen, dieses Interesse auch zu seinem beruflichen Mittelpunkt zu machen. Da erwies es sich als ein Wink des Schicksals, dass sein Onkel Max Abraham ein namhafter Musikverleger in Leipzig war, zudem kinderlos. 

Titel
Karriere als Musikverleger
Adresse

Talstraße 10
04103 Leipzig
Deutschland

Geo Position
51.33542271657, 12.38602678453
Stationsbeschreibung

Henri Hinrichsens Onkel Max Abraham war am 3. Juni 1831 in Danzig geboren. Im Jahr 1863 war er von Julius Friedländer, dem damaligen Eigentümer des Musikverlages C. F. Peters, als Teilhaber aufgenommen worden. Seit 1880 ist Max Abraham dann alleiniger Eigentümer gewesen. Sieben Jahre später wird er seinen Neffen in den Verlag holen, um ihn gleich wieder auf Wanderschaft zu schicken. Die Lehrjahre führten den jungen Henri Hinrichsen zu namhaften Musikalienhändlern in Basel, Brüssel und London. Dann drängte sein Onkel überraschend auf sofortige Rückkehr. Wie Hinrichsens Biografin Erika Bucholtz vermutet, „stand dieser Zeitpunkt in Zusammenhang mit dem Tod am 7. Mai 1891 des langjährigen Prokuristen der Firma, Theodor Hermann“ (Bucholtz, S. 21). Tatsächlich wurde Henri Hinrichsen nur wenige Tage nach seiner Rückkehr, am 15. Mai 1891, von Max Abraham als Prokurist eingesetzt und schon am 1. Januar 1894 wurde er als Teilhaber ins Handelsregister eingetragen.  

Während eines Kuraufenthalts in Karlsbad im Juni 1897 lernte Hinrichsen die erst 18-jährige Martha Bendix (1879-1941) kennen. Sie entstammte einer seit dem Jahre 1700 in Berlin ansässigen jüdischen Familie. Die feierliche Hochzeit fand in der Reichshauptstadt statt. Martha und Henri Hinrichsen werden zwei Töchter und fünf Söhne bekommen. Bald schon wird Martha nicht nur im Familienverband, sondern auch in den geschäftlichen wie gesellschaftlichen Belangen eine Rolle spielen. Die Talstraße 10 war regelmäßig auch ein Ort der häuslichen Musikpflege. Dem Ehepaar Hinrichsen gelang es, für ihre musikalischen Soireen im geselligen Kreis namhafte Interpreten zu gewinnen.  

 

Nach dem (vermuteten) Freitod von Max Abraham im Jahr 1900 übernahm Henri Hinrichsen den Verlag als Alleininhaber. Henri Hinrichsens Tätigkeit als Musikverleger fiel in eine Zeit des Umbruchs musikalischer Stilrichtungen. Er erweiterte den Katalog seines nun eigenen Verlags um Werke von Max Reger, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Richard Strauss und anderen. Edvard Grieg, der auch schon im bisherigen Verlagsangebot vertreten war, konnte er für die Edition C. F. Peters exklusiv verpflichten. Auch wenn das Programm des Verlages „im Wesentlichen durch ernste Musik bestimmt“ gewesen sei, „[wurde g]leichwohl, wenn auch begrenzt, […] verschiedenen Zeitenströmungen Rechnung getragen“ (Bucholtz, S. 88).  

Zum 70. Jahrestag der Verlagsübernahme von Max Abraham verfasste Hinrichsen eine Verlagschronik, die ihm auch einen Rückblick auf das eigene Leben erlaubte. In diesem Zusammenhang schrieb er: „Der Armenpflege Leipzigs widmete ich mich schon 1897, später wurde ich Handelsrichter, dann Stadtverordneter. […] Meine ehrenamtliche Tätigkeit dehnte sich dann weiter aus sowohl im Stadtgeschichtlichen Museum wie im Verkehrs-Verein, im Kuratorium des Konservatoriums, dem ich durch meinen Beruf besonders verbunden war, und schließlich im Vorstande des deutschen Musikalienverleger-Vereins und im Verband der deutschen Musikalienhändler, in letzterem war ich von Kantate 1923-1931 Schriftführer.“ (Buchholtz, S. 175) Es lassen sich verschiedentlich auch Unterstützungsleistungen zugunsten von jüdischen Wohlfahrtsorganisationen nachweisen. Dennoch seien laut Erika Bucholtz „über Henri Hinrichsens Verhältnis zur Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig aufgrund der Quellenlage kaum Aussagen möglich.“ (Bucholtz, S. 175) 

Titel
Die Hochschule für Frauen
Adresse

Königstraße 18/20 (seit 1947 Goldschmidtstraße)
04103 Leipzig
Deutschland

Geo Position
51.335995680657, 12.384948391831
Stationsbeschreibung

Am 29. Oktober 1911 wurde mit einem Festakt in Leipzig Deutschlands erste „Hochschule für Frauen“ eröffnet. Für die bereits 86jährige Henriette Goldschmidt, Gattin des liberalen Rabbiners Abraham Meyer Goldschmidt, wurde damit ein lang gehegter Traum verwirklicht. Jahrzehntelang war sie eine Pionierin der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland gewesen, nun also krönte sie diese Aktivitäten mit der Einrichtung einer Hochschule. Möglich geworden war dies durch die finanzielle Unterstützung von Henri und Martha Hinrichsen. Auf dem Festakt sprach Leipzigs Oberbürgermeister Rudolf Dittrich davon, dass die neue Bildungseinrichtung „eine tiefgehende Bedeutung für weite Kreise unserer Stadt gewinnen werde“ (Buchholtz, S. 240). Die Festveranstaltung fand, wie Henri Hinrichsen später in der Verlagschronik schreiben wird, mit „einem großen Tee in der Talstraße 10, bei dem Frau Martha Hinrichsen, die ideelle Unterstützerin des vollendeten Planes, die Honneurs machte“ (Bucholtz, S. 241), einen würdigen Abschluss. Das finanzielle Engagement der Hinrichsens wird im Laufe der Jahre auf eine Summe von einer Million Reichsmark anwachsen. Henri Hinrichsens Anliegen war es schon länger gewesen, auf dem Grundstück neben der Musikbibliothek Peters in der Königstraße 26, welches auch vom Frauengewerbeverein genutzt wurde, ein weiteres Stiftungsgrundstück zu schaffen. Deshalb hatte Hinrichsen, wie er später in der Verlagschronik schreiben wird, das Grundstück Königstraße 18/20 mit der Absicht erworben, darauf „ein Haus zu erbauen, das gemeinnützigen Zwecken für die Frauenwelt dienen sollte“ (zit. nach Bucholtz, S. 241). Zum Zeitpunkt des Kaufes habe er sich allerlei Projekte vorstellen können, eine Hochschule aber gehörte damals nicht dazu.  

Nach zehn Jahren musste konstatiert werden, dass das Konzept einer Hochschule als Allgemeinbildungsanstalt gescheitert war. Längst war die Institution eher zu einer Berufsschule für Frauen geworden, für die die Bezeichnung Hochschule nicht mehr zutreffend war. Eigentlich ist bereits 1911 die Gründung einer „Hochschule für Frauen“ schon nicht mehr zeitgemäß gewesen, da den Frauen ja bereits das Studium an den staatlichen Universitäten offenstand. Nun sollte die Umwandlung der Schule in eine „Sozialpädagogische Studienanstalt“ erfolgen. Dem stand Hinrichsen zunächst skeptisch gegenüber. Angesichts der rückläufigen Schülerinnenzahl erteilte er schließlich seine Zustimmung und leistete auch fernerhin finanzielle Unterstützung. So stiftete er bei der Übernahme der Institution in städtische Verwaltung 100.000 Reichsmark. Dem wiederholten Nachfragen der notorisch klammen Kommune nach weiterer finanzieller Unterstützung und Beteiligung bei einzelnen Projekten kam Hinrichsen auch in der Folgezeit jedes Mal nach. Der Rat der Stadt Leipzig beauftragte schließlich den seinerzeit arrivierten Maler Eduard Einschlag anlässlich des 60. Geburtstages von Henri Hinrichsen, ein Porträt des Förderers anzufertigen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Henri Hinrichsen wurde das Werk lediglich in einer schlichten Zeremonie in der Schule aufgehängt. Die auch heute noch existierende Henriette-Goldschmidt-Schule firmiert inzwischen als „Berufliches Schulzentrum der Stadt Leipzig“.  

Titel
Die Sammlungen
Adresse

Johannisplatz 5
04103 Leipzig
Deutschland

Geo Position
51.337509240824, 12.388147624469
Stationsbeschreibung

Am 30. Mai 1929 fand in dem neuen Gebäude des Grassi-Museums die Eröffnungsfeier des Musikwissenschaftlichen Instituts der Uni Leipzig und des mit ihm verbundenen Instrumentenmuseums statt. An dem Umstand, dass sich hier nun die nach Berlin größte Musikinstrumentensammlung in Deutschland befand, hatte Henri Hinrichsen einen nicht geringen Anteil. Als nämlich 1926 die berühmte Instrumentensammlung des Kölner Kommerzienrats und Kunstmäzens Wilhelm Heyer erworben werden konnte, hatte Hinrichsen den Kauf mit 200.000 Reichsmark aus seinem Privatvermögen unterstützt, was einem Viertel des Kaufpreises entsprach.  

Schon Max Abraham hatte im Januar 1894 eine Musikbibliothek gestiftet, deren Zugänglichkeit für Frauen zu dieser Zeit offenbar ein Novum darstellte und die damit schlagartig internationales Aufsehen erregte. Die deutschlandweit größte öffentliche Privatsammlung im Musikbereich hatte zu Beginn einen Bestand von 8.000 Bänden. Unter der Ägide von Henri Hinrichsen wuchs sie bis zum Jahr 1939 auf über 30.000 Bände an. Neben einer ausgewählten Autographensammlung lag ihr besonderer wissenschaftlicher wie kultureller Wert im Besitz kostbarer Erstdrucke, seltener wissenschaftlicher Quellenwerke und einer umfangreichen Sammlung an Opernpartituren. Neben seiner Tätigkeit als Musikverleger widmete sich Henri Hinrichsen mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau Martha dem Aufbau einer Kunstsammlung. Im Laufe der Jahre trug er so eine bemerkenswerte Gemäldesammlung und eine Reihe von Skulpturen zusammen. Dabei galt seine besondere Vorliebe der zeitgenössischen Malerei, vor allem den Vertretern des Realismus. An den Wänden seiner Wohnräume hingen Werke von Hans Thoma, Adolph von Menzel und Wilhelm Leibl neben älteren Meistern wie Carl Spitzweg und Adam Friedrich Oeser, sowie die jenes Malers, der als „Wegbereiter der Moderne“ gefeiert wurde: Max Liebermann. Darüber hinaus legte Hinrichsen gemeinsam mit seiner Frau ab dem Jahre 1902 eine Autographensammlung an. Den Grundstock bildeten etwa einhundert an den Verlag gerichtete Briefe berühmter Komponisten, wie die von Edvard Grieg und Johannes Brahms, sowie die gesamte Verlagskorrespondenz mit Louis Spohr. Ergänzt wurde diese Autographensammlung, die zu einer der wertvollsten in Privathand befindlichen weltweit gehörte, durch Zukäufe auf Auktionen oder von kompletten Briefkonvoluten in Privatbesitz. 1933 zählte die Sammlung etwa dreihundertsiebzig Dokumente. Darunter befand sich auch ein Brief Richard Wagners, den sich später nach dem Raub durch die Nazis Adolf Hitler aneignete. 

Zwei Monate nach seinem 60. Geburtstag wurde Henri Hinrichsen von der Leipziger Universität für sein kulturelles wie wissenschaftliches Engagement die Ehrendoktorwürde verliehen. Ausschlaggebend dürfte nicht zuletzt die von ihm finanzierte Professur für Musikwissenschaft gewesen sein. In der NS-Zeit sollte ihm diese Ehre wieder aberkannt werden. Es spricht für die damals Verantwortlichen der Leipziger Universität, dass dieser Anordnung nicht entsprochen wurde. 

Titel
Jüdischer Kulturbund und Entrechtung
Adresse

Gustav-Adolph-Str. 7
04105 Leipzig
Deutschland

Geo Position
51.344943380539, 12.366478498048
Stationsbeschreibung

Henri Hinrichsen engagierte sich nun in der einzigen Institution, in der ihm eine Mitwirkung noch möglich war: dem Jüdischen Kulturbund. Dieser hatte seinen Sitz in der ehemaligen Israelitischen Schule in der Gustav-Adolph-Straße 7. Durch seine guten Beziehungen gelang es Hinrichsen, außergewöhnliche Konzerte zu veranstalten. So kam im April 1936 der bereits im Londoner Exil lebende ungarisch-jüdische Star-Geiger Carl Flesch zu einem Kurzbesuch nach Leipzig, um Werke von Händel, Mozart, Reger und Brahms zu spielen. Zum Jahreswechsel 1935/36 war Hinrichsen, wie alle anderen jüdischen Buchhändler und Verleger auch, aus der Reichsschriftumskammer ausgeschlossen worden. Umgehend wandten sich viele nichtjüdische Komponisten vom Verlag F. C. Peters ab. Einige wenige von denen hatten ihrem einstigen Verleger gegenüber im Vieraugen-Gespräch gestanden, dass ihnen andernfalls mit dem Ausschluss aus der Reichsmusikkammer gedroht worden war. Das hätte einem faktischen Berufsverbot entsprochen. 

Nach der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ wurde im Jahr 1939 ein SS-Standartenführer im Verlag zum Treuhänder bestellt. Bereits im Januar 1939 hatten sich fast alle angesehenen Musikverleger um den Erwerb von C. F. Peters beworben. Am 22. Juli 1939 wurde ein von den Nazis diktierter Kaufvertrag abgeschlossen, mit einer gemessen am Betriebsvermögen lächerlichen Kaufsumme von 1 Million Reichsmark. Zu den übertragenen Vermögenswerten gehörten neben dem Verlag das Geschäftsgrundstück Talstr. 10 sowie das Vermögen der Musikbibliothek Peters inklusive des Grundstücks Königstr. 26. Die Autographensammlung war 1938 beschlagnahmt worden und gelangte 1943 über den Leipziger Antiquar Hans Klemm in die Sächsische Landesbibliothek. Vom Erlös mussten die „Reichsfluchtsteuer“ sowie die „Judenvermögensabgabe“, die „Auswandererabgabe“, die „Gemeinde-Anlage“ und weitere Abgaben bezahlt werden. Da die von den Nazis festgesetzte Kaufsumme für all das nicht ausreichte, war Hinrichsen gezwungen, sich 12.000 britische Pfund von der Firmendependance anweisen zu lassen, die sein Sohn Michael inzwischen in London eröffnet hatte. Im Pogrom vom 9. November 1938 wurden die Geschäftsräume des Verlages in Leipzig demoliert, die Wohnung der Hinrichsens in der ersten Etage aufgebrochen und im Hof Noten von Mendelssohn-Bartholdy verbrannt. Noch in der Nacht wurde Henri Hinrichsen in „Schutzhaft“ genommen. 

Titel
Exil und Deportation
Adresse

Rue des Suisse 21
1060 Saint-Gilles, Brüssel
Belgien

Geo Position
50.832759566131, 4.3536369661332
Stationsbeschreibung

Am 27. Januar 1940 verließen Henri Hinrichsen und seine Frau Martha die Heimat und fanden in Brüssel eine Unterkunft in einem Zimmer in der Rue des Suisse 21. Noch war Belgien ein freies Land. Sieben Jahre der Diskriminierung, der Ausgrenzung und schließlich der faktischen Enteignung lagen hinter ihnen. Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis ist Henri Hinrichsens Stiftung zur Aufrechterhaltung der Professur für Musikwissenschaft an der Universität Leipzig von der neuen NS-Landesregierung abgelehnt worden. Einige Monate zuvor hatte der Finanzminister der demokratischen Vorgängerregierung noch deren Annahme verfügt. Im Februar 1934 monierte die Schulleitung der einstigen Hochschule für Frauen öffentlich das Porträt ihres Stifters in der Aula und der von Carl Seffner geschaffene Büste von Henriette Goldschmidt im Treppenhaus. Einen Monat später erfolgte dann propagandawirksam deren Entfernung. 

Das sicher geglaubte Exil in Brüssel währte nicht lange. Am 10. Mai 1940 marschierten deutsche Verbände ins neutrale Belgien ein. Martha Hinrichsen starb, weil die Besatzungsmacht der zuckerkranken Jüdin das lebensnotwendige Insulin verweigerte. Nach dem 15.Oktober 1941 musste sich der verwitwete Henri Hinrichsen bei der „Association des Juifs en Belgique“, „Vereeniging van Joden in België “ registrieren lassen. Er wurde als „Deutscher“ und ohne den Zwangsvornamen Israel mit der Nummer 6093 in das Register eingetragen. Bei der Eintragung in das „Registre des Juifs“, das „Judenregister“, vom 27. November 1941 wurde die Nationalität von Henri Israel Hinrichsen „allemande“ (deutsch) gestrichen und durch „apatride“ (staatenlos) ersetzt. Er wohnte laut dieser Erfassungen erst in der Rue St. George 109 und dann in der Avenue de l’Hippodrome 76.  

Am 15. September 1942 ist der 74-jährige Henri Hinrichsen deportiert und zwei Tage später, unmittelbar nach der Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz, ermordet worden. Fünf seiner Kinder, Schwiegerkinder und Enkel kamen ebenfalls in Todeslagern ums Leben. Zweien der Söhne von Martha und Henri Hinrichsen war rechtzeitig die Emigration gelungen: Max ging 1936 nach England und Walter in die Vereinigten Staaten, wo sie den Musikverlag C. F. Peters weiterführten. Erst im Jahr 2004 erfolgte die teilweise Rückgabe der wertvollen Autographensammlung an die Erben von Henri Hinrichsen. Im Zusammenhang mit der Beschlagnahme der Sammlung des Cornelius Gurlitt, Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, wurde auch die Zeichnung „Das Klavierspiel“ von Carl Spitzweg entdeckt und 2015 als NS-Raubkunst identifiziert. Wegen der komplexen Erbfolge in der weitverzweigten Familie Hinrichsen dauerte die Rückgabe an die Erben sechs Jahre.  

Sterbedatum
17. September 1942
Sterbeort
KZ Auschwitz

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Autor
Gerhard Haase-Hindenberg
Leichte Sprache
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