Anna Caspari war eine deutsche Kunsthändlerin. Als Jüdin litt sie unter den Repressionen des NS-Regimes und musste ihre Galerie in München 1939 schließen. Ihre Versuche zu emigrieren schlugen fehl.
Am 20. November 1941 wurde Anna Caspari von München in das von der Wehrmacht besetzte Litauen deportiert und in Kaunas ermordet.
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Eltern: Hugo Naphtali (Lebensdaten unbekannt, Tod zwischen 1933 und 1937) und Olga Naphtali, geb. Bielski (1873 Breslau - 1943 Theresienstadt)
Ehemann: Georg Caspari (1878 Berlin – 1930 Stadecken), Heirat 1922 in Breslau
Kinder: Paul (1922 München - 2016 Stanmore, Middlesex) und Ernst (1926 München, lebte 2016 in Newham, Gloucestershire)
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Für Auskünfte bedanke ich mich herzlich bei Frau Pia Frendeborg und Herrn Anton Löffelmeier M.A., Stadtarchiv München, Frau Lilian Harlander, Jüdisches Museum München, Herrn Dr. Wolfgang-Valentin Ikas, Bayerische Staatsbibliothek München, und Herrn Prof. Dr. Christian Fuhrmeister, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München.
Kleinburgstraße 7
(heute: ulica Januszowicka 7)
53-135 Wrocław
Polen
Anna Caspari wurde am 16. Mai 1900 in Breslau als Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Hugo Naphtali und der Olga Naphtali, geb. Bielski, geboren. Unter dem Namen Aniela Naphtali wuchs sie in Breslau in der Kleinburgstraße 7 (heute: Wrocław, ulica Januszowicka 7) auf. Ihr Elternhaus gehörte zur Breslauer Kunst- und Kulturwelt. Das Ehepaar Naphtali besaß eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken des Realismus und Impressionismus von Gustave Courbet, Anselm Feuerbach, Wilhelm Leibl, Camille Pissarro, Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt. Das Profil der Kunstsammlung deckte sich zu weiten Teilen mit dem späteren Repertoire der Galerie Caspari.
Der Vater war Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Das war eines der bedeutendsten Bildungs- und Forschungsinstitute Schlesiens, das weltweiten Wissensaustausch pflegte und eine umfangreiche wissenschaftliche Bibliothek besaß.
Aniela entstammte zwar einer jüdischen Familie, wurde aber säkular erzogen. Bis zu ihrer Heirat in München bezeichnete sie sich als konfessionslos. Sie besuchte in Breslau das Realgymnasium. Danach begann sie ein Studium der Kunstgeschichte, für das sie zu Beginn des Jahres 1920 nach München zog.
Brienner Straße 52
(heute: Brienner Straße 12)
80333 München
Deutschland
Nach dem Lyzeum in Breslau zog Aniela 1920 nach München. Dort studierte sie an der Ludwig-Maximilians-Universität sieben Semester Kunstgeschichte, Philosophie und Literatur, unter anderem bei dem Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin. Möglicherweise von der elterlichen Kunstsammlung in Breslau inspiriert, nahm sie Kontakt zur Galerie Caspari auf. Wann genau sie den Kunsthändler Georg Caspari (1878–1930) kennenlernte, ist nicht bekannt. Dieser war 1912 aus Berlin in die bayerische Residenzstadt übergesiedelt. Zuvor war er Mitbesitzer der Berliner Galerie Fritz Gurlitt. In München eröffnete er 1913 eine Kunsthandlung „im vornehmsten Rahmen“ im Palais Eichthal an der Brienner Straße 52 gegenüber dem Café Luitpold.
Das Gebäude war 1818 von Leo von Klenze im Auftrag von Simon Freiherr von Eichthal entworfen und nach 1820 erbaut worden. Georg Caspari ließ die Galerie-Räumlichkeiten im Erdgeschoss nach Ideen des Architekten Dr. Paul Wenz einrichten, der Kunstmaler Angelo Graf von Courten entwarf den Schmuck und die Ausstattung.
Caspari bot „Moderne und alte Gemälde, Antiquitäten und Graphik“ an. Im Parterre befanden sich große Ausstellungssäle, im Obergeschoss acht kleinere Räume, darunter eine Bibliothek. Wie Ilse Macek recherchierte, präsentierte Caspari alte Meister wie Johannes Rottenhammer und Franz Anton Maulbertsch, Werke des 19. Jahrhunderts von Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin, Wilhelm Leibl, Hans Thoma, Max Liebermann, Wilhelm Trübner, Max Slevogt, Edouard Manet, Pierre-Auguste Renoir und Vincent van Gogh, aber auch Gegenwartskunst. Die Spannweite reichte von Einheimischen wie Maria Caspar-Filser und Oskar Coester zu internationalen Größen wie Paul Klee, Oskar Kokoschka, Wilhelm Lehmbruck und Pablo Picasso. Die Kunsthandlung bot neben Ausstellungen auch regelmäßig Dichterlesungen an, z.B. durch Franz Werfel, Frank Wedekind und die Brüder Mann. Thomas Mann las hier 1914 aus dem „Zauberberg“. Hugo Ball dichtete im gleichen Jahr „Morgen wird man die Sonne auf einen großrädrigen Wagen laden / Und in die Kunsthandlung Caspari fahren“.
Im März 1922 heirateten Anna Naphtali und Georg Caspari, für den es die zweite Ehe war. Er war viele Jahre zuvor vom Judentum zum Protestantismus übergetreten. Bei der Hochzeit wurde auch Anna protestantisch, 1923 erhielt sie die bayrische und damit die deutsche Staatsangehörigkeit. Die beiden 1922 und 1926 geborenen Söhne Paul und Ernst wurden protestantisch getauft und erzogen. Die Familie wohnte im Gebäude ihrer Galerie im Eichthal-Palais. Ihr Studium ermöglichte Anna, die Arbeit in der Galerie zunehmend zu unterstützen, wenn nicht gar sie selbständig zu leiten. Sie begleitete ihren Mann auf den meisten Geschäftsreisen und nahm Kontakte mit der Kundschaft auf, die sie nach dem Tod ihres Mannes weiterpflegte.
Georg Caspari starb am 6. Juni 1930 mit 52 Jahren bei einem Autounfall in der Nähe von Mainz. Das Ehepaar befand sich auf dem Weg zu einer Kunstmesse nach Belgien, Anna selbst blieb unverletzt. Die im Alter von 30 Jahren verwitwete Kunsthändlerin hatte nun allein für die Kinder zu sorgen. Sie entschied sich, die Galerie ihres Mannes in der Briennerstraße zu übernehmen. In den Anfangsjahren der NS-Diktatur scheint die Galerie Caspari nicht von Boykott- oder Gewaltaktionen betroffen gewesen zu sein. Zu dieser Zeit lag die Galerie im ersten Stockwerk des Eichthal-Palais, von der Straße aus nicht mehr unmittelbar zugänglich. Der gute Ruf Anna Casparis als sachverständige Kunsthändlerin überdauerte vorerst die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Weltwirtschaftskrise und die politische Zäsur von 1933.
Ottostraße 6 / Max-Joseph-Straße
80333 München
Deutschland
1934 entschied sich Anna Caspari, ihre Söhne dem Machtbereich der Nationalsozialsten zu entziehen und auf ein Internat in der Nähe von London zu schicken. Das war vorausschauend, denn im Frühjahr 1935 intensivierten sich die pogromartigen Übergriffe auf jüdisch deklarierte Geschäfte in München. Anna Caspari gab die Geschäftsräume in der Brienner Straße im April 1935 auf und bezog zwei Zimmer im Hotel Continental. Nur zwei Kellerräume ihrer früheren Galerie dienten ihr bis 1939 als Lager.
Versuche der Behörden, ihren Kunsthandel zu schließen, konnte Anna Caspari noch einige Zeit abwenden. Dabei arbeitete sie als Vermittlerin und Gutachterin für Kunsthändler des NS-Staats wie Karl Haberstock und Julius Böhler. Dafür unternahm sie 1936 eine Geschäftsreise nach Paris und London, wofür sie noch einen Reisepass bekam. Nachdem man ihr im September 1936 die Tätigkeit als Kunsthändlerin untersagte, bemühte sie sich um eine Sondergenehmigung, die sie erhielt, weil man sich mit Hilfe ihrer Auslandskontakte ein Devisenaufkommen versprach. (Peters 2016, S. 41 f)
Sohn Paul konnte als 16-Jähriger im März 1938 endgültig nach England ausreisen. Auch der 13-jährige Ernst emigrierte dorthin. Ab Ende 1938 versuchte Anna Caspari, ebenfalls nach England zu ihren Söhnen zu emigrieren. Ihre Anträge wurden jedoch alle abgelehnt. Wegen des „Verdachts auf ein Devisenvergehen“ kam sie vom 12. auf den 13. Dezember 1938 in Haft.
Anfang 1939 wurde die Galerie abgemeldet. Wenige Tage danach beschlagnahmte die Gestapo im Hotel Continental sowie im Lager in der Briennerstraße das Eigentum von Anna Caspari, darunter ein Porträt von Lovis Corinth. Es handelte sich um 22 Gemälde, 140 Bücher und eine unbekannte Anzahl von Graphiken. Die Bestände kamen in das Bayrische Nationalmuseum, in die Staatlichen Graphischen Sammlungen und in die Bayrische Staatsbibliothek und wurden dort sukzessive dem eigenen Bestand einverleibt. Alle drei Institutionen stellten für die Beschlagnahmung eigene Mitarbeiter als Sachverständige zur Verfügung. Der komplette Buchbestand ging als „Schenkung“ an die Bayerische Staatsbibliothek.
Im Februar des Jahres wurde die Galerie Caspari aus dem Handelsregister gelöscht. Heute steht das Haus der Bayrischen Wirtschaft auf der Stelle des einstigen „Contis“, des letzten Geschäftssitzes von Anna Caspari.
Muffatstraße 11
80803 München
Deutschland
Im März 1939 musste Anna Caspari ihr Tafelsilber und ihre Schmuckgegenstände beim städtischen Leihamt abgeben. Einen Teil davon konnte sie bei Bekannten unterstellen und damit vor dem Zugriff retten, wie sich nach ihrem Tod herausstellte. Im selben Monat zog Anna Caspari aus ihrer Wohnung im Hotel Continentalin der Ottostraße in eine günstigere Wohnung in der Muffatstraße 11 in Schwabing und wohnte dort im zweiten Stock. In diesem „Judenhaus“ waren die ehemaligen Besitzer Berta und Max Schwager gezwungen, in drangvoller Enge zusammen mit vielen Schicksalsgenossen zu leben, bis im November 1941 alle Bewohner deportiert wurden. Dies war die letzte Station von Anna Caspari, die hier zweieinhalb Jahre verbrachte, bevor sie vom Milbertshofener Bahnhof aus mit dem Zug in den Tod fuhr.
Die Chancen für eine Emigration nach England zu den Söhnen oder in die Schweiz hatten sich durch den Kriegsausbruch am 1. September 1939 drastisch verschlechtert und Anträge zur Ausreise wurden abgelehnt. Anna Caspari war völlig verarmt und wurde zur Arbeit bei der Firma Oldenbourg, einem Buch- und Zeitschriftenverlag verpflichtet.
Am 20. November 1941 begann die Münchner Gestapo mit der Deportation der noch in München lebenden Juden und Jüdinnen in die besetzten Gebiete im Osten. Es war die erste Massendeportation von München aus. Für den ersten Transport zwang die Gestapo die Israelitische Kultusgemeinde München, eine Liste von 1.000 Personen zusammenzustellen. Das war über ein Viertel der noch in der Stadt Verbliebenen. Auch Anna Caspari war eines der Opfer, die auf der Liste standen.
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00000 Kaunas
Litauen
Ob Anna Caspari versuchte, sich der Deportation durch Suizid zu entziehen, lässt sich nicht nachweisen. Zwei frühere Mitarbeiter der Galerie Caspari gaben nach 1945 an, dass sich Anna Caspari Gerüchten zufolge noch auf der Zugfahrt vergiftet habe. In den frühen Morgenstunden des 20. November 1941 mussten die Ausgewiesenen zum Bahnhof Milbertshofen laufen, wo sie in einen Sonderzug verbracht wurden. In dem viel zu kleinen Zug gab es für die meisten der fast 1.000 Personen keine Sitzmöglichkeit. Die Fahrt nach Kaunas dauerte drei Tage. Gemeinsam mit Menschen aus zwei weiteren Deportationszügen aus Berlin und Frankfurt am Main wurden sie dort in die viel zu kleinen Zellen des Fort IX gesperrt, wo sie noch zwei weitere Tage ausharren mussten.
Am 25. November 1941 wurden die aus München, Berlin und Frankfurt am Main deportierten Menschen in den Festungsgräben des Fort IX vom Einsatzkommando 3 der Einsatzgruppe A unter der Leitung des SS-Standartenführers Karl Jäger erschossen. Annas verwitwete Mutter Olga Naphtali wurde am 2. September 1942 von Berlin ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 18. März 1943 starb. Die Geschichte von Anna Casparis Kunsthandel und das „Wiedergutmachungsverfahren“ von Paul und Ernst Caspari sind in der Masterarbeit von Sebastian Peters an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2016 eingehend beschrieben worden. Im November 1950 wurden den Erben Anna Casparis insgesamt 36 Bilder zugesprochen und sukzessive restituiert.
Problematischer war die Entschädigung der entzogenen Bücher und Grafiken, die als vernichtet galten. Ein 1954 gezahlter Schadensersatz in Höhe von 10.000 Mark sollte sämtliche Ansprüche der Erben Anna Casparis begleichen. Erst infolge der Washingtoner Erklärung 1998 gewann der Raub an Anna Caspari wieder an Aktualität. Bei der Aufarbeitung raubgutverdächtiger Bestände an der Bayerischen Staatsbibliothek wurden vier Bücher entdeckt, die sich aufgrund eines erhaltenen Exlibris der Kunsthändlerin zuordnen ließen. Sie wurden fast 70 Jahre nach Kriegsende, am 28. November 2014, in London dem über 90 Jahre alten Paul Caspari zurückgegeben.
Anna Casparis Sohn Paul Caspari starb am 12. März 2016 in Stanmore, Middlesex. Sohn Ernst (Ernest) lebte 2016 in Newham, Gloucestershire. Beide Söhne haben Familien.
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