Im westfälischen Münster, wo sein Vater erfolgreich einen Getreidegroßhandel betrieb, wuchs Alfred Flechtheim auf. Wegen schulischer Schwierigkeiten wurde er auf ein Schweizer Internat geschickt. Zur Jahrhundertwende stieg er ins elterliche Unternehmen ein und volontierte im Getreidehandel in Odessa, London und Paris. In der französischen Hauptstadt lernte er im „Café du Dôme“ internationale Kunsthändler und die Elite der europäischen Malkunst kennen. Mit dem Geld seiner aus vermögenden Verhältnissen stammenden Frau kaufte er in Paris zahlreiche Gemälde – den Grundstock für die erste eigene Galerie, die er 1913 in Düsseldorf eröffnete. Im ersten Weltkrieg musste er sich, nicht zuletzt wegen der von ihm angebotenen Kunstwerke französischer Künstler (also aus dem Land des „Erbfeindes“), aus dem Kunsthandel zurückziehen. Doch schon im Frühjahr 1919 eröffnete er mit der Ausstellung „Expressionisten“ eine neue Galerie auf der Düsseldorfer Königsallee. Das Unternehmen Alfred Flechtheims expandierte und er gründete in schneller Folge Dependancen in Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Wien. Auch wenn die Verbindung zum Stammhaus auf der Düsseldorfer „Kö“ immer eine tragende Säule des Unternehmens blieb, so spielte schon bald auch die aufstrebende Kunst- und Kulturszene Berlins für Flechtheims Kunsthandel, wie auch für ihn selbst, eine zunehmende Rolle. Seine Berliner Empfänge waren bald legendär. Es war der Beginn der „Goldenen Zwanziger Jahre“, der Aufbruch in eine fragile politische wie kulturelle Epoche, in der Alfred Flechtheim für einige Jahre auf der Seite der Gewinner stand.
Bis zum Beginn der 1930er Jahre zeigte er in seinen Galerien mehr als 150 Ausstellungen. Durch Weltwirtschafts- und Bankenkrise begann der Stern des Galeristen Flechtheim zu sinken. Als die Nazis an die Macht kamen, war sein Unternehmen zahlungsunfähig. Flechtheim rettete einige Kunstwerke seiner Sammlung ins Londoner Exil, wo er im Herbst 1933 eintraf. Mithilfe einer dortigen Galerie versuchte er, seine Bilder zu verkaufen und die Verbindlichkeiten bei verschiedenen Gläubigern zu bedienen. Am 9. März 1937 starb Alfred Flechtheim im Exil. Seine Frau, die in Deutschland verblieben war, nahm sich in Berlin am 15. November 1941, am Vorabend ihrer geplanten Deportation, das Leben.
Ludgeristraße 20-22
48143 Münster
Deutschland
Alfred Flechtheim ist im westfälischen Münster geboren und aufgewachsen. Sein Elternhaus stand in der Ludgeristraße inmitten der Altstadt. Das tägliche „Wohnzimmer“ aber, zumindest das der männlichen Familienmitglieder, war der sogenannte Flechtheimspeicher. Darunter verstand man jenen gewaltigen Getreidespeicher auf der Südseite des Münsterschen Hafenbeckens, der dort noch immer – inzwischen unter Denkmalschutz – steht. Im Geschäftsgebäude neben dem Firmensitz des Vaters, der von hier aus erfolgreich einen Getreidegroßhandel betrieb, verbrachte Alfred Flechtheim schon als Schüler täglich viele Stunden. Als Erstgeborener – vor seinem Bruder Hermann (1880–1960) und seiner Schwester Emma (1883–1925) – war Alfred Flechtheim dazu bestimmt, das Geschäft des Vaters weiterzuführen.
Als Schüler des traditionsreichen Münsterschen Gymnasiums Paulinum ließen Fleiß und Verhalten des Knaben offenbar zu wünschen übrig – jedenfalls wurde er nach dem Einjährigen (Mittlere Reife) von der Schule verwiesen. Der Getreidegroßhändler Emil Flechtheim (1850–1933) und seine Frau Emma (1856–1935) taten schließlich das, was vermögende Eltern vielfach tun, wenn die Kinder Schwierigkeiten machen – sie schickten den Sprössling auf ein französischsprachiges Internat in die Schweiz, wo er erfolgreich seine Schulausbildung abschloss. Dem folgte eine Lehrzeit bei einem mit der Familie befreundeten Getreidehändler in Paris. Nichts sprach dafür, dass Alfred Flechtheim später Kunsthändler und Galerist und schon gar nicht, dass er als solcher zu einem der wichtigsten Förderer avantgardistischer Kunst in Deutschland werden würde. Und doch begegnete er gerade in Paris einer Szene, die einmal den Anlass für einen solch radikalen Wechsel in seiner Biografie liefern wird. Vorerst aber bewegte sich der junge Flechtheim noch in den Bahnen der väterlichen Vision. Dem Militärdienst beim Düsseldorfer Ulanen-Regiment folgten weitere Volontariate in der Getreidebranche in Hafenstädten wie Odessa und Liverpool, die den Horizont des jungen Kaufmanns erweiterten. Nach der Rückkehr ins elterliche Unternehmen, dessen Sitz inzwischen nach Düsseldorf verlegt worden war, übernahm der gerade 24-jährige Alfred Flechtheim ab 1902 zusätzliche Verantwortung als Teilhaber.
109 Bd du Montparnasse
75006 Paris
Frankreich
Seit seiner Eröffnung im Jahre 1898 war das Café du Dôme an der Ecke von Boulevard du Montparnasse und Rue Delambre das Stammcafé von Malern, Schriftstellern, Kunstliebhabern und Kunsthändlern. Bei einem neuerlichen Paris-Aufenthalt im Jahre 1906 lernte Alfred Flechtheim hier den Kunstexperten Wilhelm Uhde kennen, einen frühen Förderer von Pablo Picasso. Im Jahr darauf begegnete Flechtheim im Café du Dôme dem aufstrebenden spanischen Malerstar selbst und auch Henri Matisse, den er später als Galerist vertreten wird. Die Begegnung mit den Kubisten, neben Picasso noch Georges Braque, Juan Gris und Fernand Léger, muss nach Einschätzung seiner Biografen ein „Erweckungserlebnis" für Flechtheim gewesen sein. Im Café du Dôme traf er auch erstmalig den aus Mannheim stammenden Pariser Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler, der in den 1930er Jahren dem hoch verschuldeten Alfred Flechtheim helfen wird, in London eine Exil-Existenz aufzubauen.
Durch die Szene im Café du Dôme wurde bei dem jungen Flechtheim, zu dieser Zeit noch Getreidehändler aus Deutschland, das Interesse an der Kunst geweckt. Erste Überlegungen tauchten auf, es Uhde und Kahnweiler gleichzutun und die Geschäftstätigkeit vom Getreide- auf den Kunsthandel zu verlegen. Noch aber fehlten ihm hierfür die Mittel. Schließlich konnte Alfred Flechtheim kaum davon ausgehen, dass ihm sein Vater das nötige Kapital für eine Unternehmung in jener risikoreichen Branche zur Verfügung stellen würde. Da kam ihm überraschend eine Gelegenheit zu Hilfe, mit der er nicht hatte rechnen können.
Alfred Flechtheim fühlte sich mehr zu Männern hingezogen als zu Frauen. Homosexualität aber stand seinerzeit unter Strafe – und im Umfeld seiner Familie gab es diesbezüglich bereits erste Gerüchte. Um diese zum Verstummen zu bringen, arrangierten Flechtheims Eltern seine Ehe mit Betty Goldschmidt aus einer jüdischen Familie in Dortmund. Sie gehörten dort dank ihres Immobilienbesitzes zu einer der reichsten Familien der Stadt. Die Flechtheims in Düsseldorf und die Goldschmidts in Dortmund hatten einerseits geschäftliche, darüber hinaus aber auch freundschaftliche private Beziehungen.
Während der Hochzeitsreise nach Paris setzte Alfred Flechtheim große Summen aus der Mitgift seiner Frau ein, um in einem größeren Ausmaß Kunst zu kaufen. Seine entsetzten Schwiegereltern bestanden daraufhin auf eine vertraglich geregelte Gütertrennung für das junge Ehepaar. Als sich Alfred Flechtheim aber im Dezember 1913 als Galerist selbstständig machte, besaß er drei Gemälde von Vincent van Gogh, zwei von Edvard Munch, drei von Henri Rousseau, zwei von Paul Gauguin, zwei von Henri Matisse, sechs von Georges Braque, drei von Juan Gris und über 30 Gemälde und Grafiken von Picasso. Die Forschung wird ihn später als einen maßgeblichen frühen Sammler von Picasso bezeichnen.
Königsallee 34
40212 Düsseldorf
Deutschland
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war der Getreidegroßhandel des Emil Flechtheim in eine ökonomische Schieflage geraten. Im Sommer 1913 konnte die Firma nur mit Mühe vor dem Konkurs gerettet werden. Kurz vor dem Chanukkafest (dessen Beginn in jenem Jahr mit Weihnachten zusammenfiel) war er schließlich einverstanden, dass sein inzwischen 35-jähriger Sohn Alfred eigene geschäftliche Wege gehen würde. Mit Finanzmitteln seiner Gattin und einer Bürgschaft des Berliner Galeristen Paul Cassirer eröffnete Alfred Flechtheim in der Alleestraße 7, unweit der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie, seine Galerie. Nun erwies es sich als günstig, dass er im Jahr zuvor in Köln bei der Kunstausstellung des Sonderbundes, einem Zusammenschluss von Künstlern, Museumsdirektoren, Sammlern und Händlern (allesamt Männer!), als Schatzmeister fungiert hatte. Auf diese Weise waren Kontakte zu zahlreichen rheinischen Kunstsammlern zustande gekommen, die er nun für das eigene Geschäft zu nutzen verstand. Wegen seiner Vorliebe für Malerei aus Frankreich versah man seinen Kunsthandel mit dem Attribut einer „Französischen Galerie“, was Flechtheim als Kompliment verstand. Im Sommer darauf aber führte für genau diese Zuordnung zu einer persönlichen und geschäftlichen Katastrophe.
Durch Ausbruch des Krieges mit Frankreich wurden schlagartig die Verbindungen zu seinen französischen Künstlern, Händlern und Freunden unterbrochen. Flechtheim stellte nun erstmals deutsche Künstler aus dem Kreis des „Café du Dôme“, wie Rudolf Großmann, Wilhelm Lehmbruck und Rudolf Levy aus. Doch in Kriegszeiten lief das Geschäft mit der Kunst schlecht. Im Jahr 1917 mussten seine Galeriebestände, da sie erhebliche finanzielle Mittel banden, versteigert werden. Schon zwei Jahre später, im Frühjahr 1919, eröffnete Alfred Flechtheim mit der Ausstellung „Expressionisten“ erneut eine Galerie auf der Düsseldorfer Königsallee, einem höchst noblen Standort. Zudem mit für die Nachkriegszeit überraschendem Erfolg: Innerhalb von nur zwei Jahren expandierte Alfred Flechtheims Kunsthandel und er gründete Dependancen in Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Wien. Auch wenn die Verbindung zum Stammhaus auf der Düsseldorfer ‚Kö‘ immer eine tragende Säule des Unternehmens blieb, so spielte schon bald auch die Kunst- und Kulturszene Berlins für Flechtheims Kunsthandel, wie auch für ihn selbst, eine zunehmende Rolle. Es war der Beginn der „Goldenen Zwanziger Jahre“, der Aufbruch in eine fragile politische wie kulturelle Epoche, in der Alfred Flechtheim für einige Jahre auf der Seite der Gewinner stand. Bis zum Machtantritt der Nazis wird er in seinen Galerien mehr als 150 Ausstellungen zeigen.
Lützowufer 13
10785 Berlin
Deutschland
Das Berliner Tiergartenviertel war zwischen den beiden Weltkriegen eine Gegend, in der das sogenannte „feine Publikum“ von einer Galerie zur nächsten flanieren konnte. In seiner Galerie am Lützowufer war Alfred Flechtheim seit 1921 mit Ausstellungen in der Reichshauptstadt vertreten. In geradezu atemloser Folge lud er zu Vernissagen sowohl französischer als auch deutscher Künstler, zu denen ab 1928 auch der Maler und Bauhaus-Lehrer Paul Klee gehörte. Der prominente Klee vermarktete schon seit einiger Zeit seine Bilder selbst und lehnte Flechtheims Angebot einer Generalvertretung ab. Dennoch einigten sich der erfolgreiche Maler und der nicht minder erfolgreiche Galerist auf gemeinsame Ausstellungen, die auf Kommissionsbasis abgerechnet wurden – ein damals neues Vertragsmodell.
Noch in Düsseldorf hatte Alfred Flechtheim damit begonnen, auch als Verleger – beispielsweise der „Düsseldorfer Kataloge“ – tätig zu werden. Seit Januar 1921 war er Herausgeber der Zeitschrift „Querschnitt“, die auch nach seiner Übersiedlung nach Berlin weiter erschien. Die Art der Berichterstattung über Kunst, Sport und Tanz wurde von Kritikern gelegentlich als „snobistischer Gestus“ charakterisiert. Dennoch repräsentierte der „Querschnitt“ den Geist und das Klima der Weimarer Zeit und das durchaus vergleichbar mit dem der „Weltbühne“, deren prominentester Autor Kurt Tucholsky war. Nach den ersten sechs Ausgaben schrieb Flechtheim: "Inständige Bitten verständiger Leser des Querschnitts veranlassen uns, den Querschnitt weiter herauszugeben; wir tun es ungern, da er uns Zeit und Geld kostet. Er wird unregelmäßig erscheinen und nur dann, wenn etwas zu sagen ist." Zu sagen aber gab es immer etwas. Außergewöhnlich für die Zeit war auch Flechtheims zeitweilige Hinwendung zur noch relativ neuen Kunstrichtung der Fotografie, indem er Werke der Berliner Modefotografin Frieda Riess ausstellte.
Die Geschäftsbeziehungen zu Daniel-Henry Kahnweiler, jenem Kunsthändler, den er 1907 im Pariser Café du Dôme kennengelernt hatte, ermöglichten Flechtheim die Präsentation der französischen Avantgarde in Deutschland, aber auch der deutschen Moderne in Frankreich. Zu einem herausragenden Berliner Kunstereignis mit positiven Besprechungen in den überregionalen Feuilletons geriet im Jahr 1928 die Einzelausstellung der Werke von Fernand Léger. Für Alfred Flechtheim stellte diese Werkschau des französischen Kubisten allerdings gleichzeitig auch den Zenit seiner Karriere dar. Mit der einsetzenden Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 und der Bankenkrise zwei Jahre später begann der Stern des Galeristen Flechtheim zu sinken. Kunsthistoriker gehen heute davon aus, dass sein Unternehmen zu Beginn der Naziherrschaft nahezu zahlungsunfähig war. Ein Indiz dafür ist der nachweisliche Umstand, dass Paul Klee auf ausstehende Zahlungen verzichtete, wohl um den Konkurs der Galerie Flechtheim doch noch abzuwenden.
Bleibtreustraße 15
10623 Berlin
Deutschland
Über einige Jahre hinweg hatte das Ehepaar Alfred und Betty Flechtheim seinen Hauptwohnsitz noch in Düsseldorf behalten. Angesichts der zunehmenden Bedeutung Berlins aber, nicht nur für die künstlerische Avantgarde, sondern auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Lebens in der deutschen Hauptstadt, erfolgte schließlich 1923 die Verlegung des Hausstandes in eine großbürgerliche Wohnung in der Charlottenburger Bleibtreustraße unweit des Kurfürstendamms. Der repräsentative Wohnsitz war nun regelmäßig der Ort legendärer Abendeinladungen. So war auch die Party anlässlich Flechtheims 50. Geburtstags (nicht nur) für die Berliner Kunstszene ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Sie fand in der Nacht vom 31. März zum 1. April 1928 aber nicht in der Bleibtreustraße, sondern im Grandhotel Kaiserhof statt. Befreundete Künstler und Sammler hatten mit Gedichten und Zeichnungen gratuliert und ihre Glückwünsche in einer Festgabe veröffentlicht, darunter Ernest Hemingway, Jean Cocteau, André Gide und Pablo Picasso. Die sehr diverse Gästeliste des Abends reichte von der Schauspielerin Tilla Durieux und dem Dichter Gottfried Benn bis zum Verleger Hermann Ullstein und dem Boxer Max Schmeling. Es war eines der letzten großen Empfänge, die Alfred Flechtheim in Berlin gab.
Bereits im Jahr danach setzten massive Finanzprobleme ein, bald war er hoch verschuldet. Mit der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 nahmen in der Presse antisemitische Attacken auf seine Person zu. Die von ihm ausgestellten Kunstwerke wurden von NS-Kunstfunktionären als "freche jüdisch-negerische Besudelung der deutschen Volksseele" bezeichnet. Im März 1933 organisierte Alfred Flechtheim eine Auktion, von deren Erlös er sich bei seinen Gläubigern entschulden wollte. Die Versteigerung aber wurde so massiv von SA-Schlägern gestört, dass sie abgebrochen werden musste, was bei Flechtheim zu einem physischen Zusammenbruch führte. Die Folge war die Auflösung der Alfred Flechtheim GmbH und schließlich die Emigration ihres Inhabers. Nun war es ein Segen, dass Flechtheims Schwiegereltern nach der Hochzeitsreise des Paares auf Gütertrennung bestanden hatten. Das Vermögen von Flechtheims Ehefrau Bertha (genannt Betty) konnte für die Liquidierung nicht angetastet werden. Anfang Oktober 1933 hatte Alfred Flechtheim Berlin ohne seine Frau verlassen und zunächst in der Schweiz, in Paris und schließlich in London nach neuen Betätigungsfeldern gesucht.
19, 20 Cork St
London
W1S 3HL
Vereinigtes Königreich
In seiner Zeit in London vom Herbst 1933 bis zu seinem Tod am 9. März 1937 lebte Alfred Flechtheim offenbar ausschließlich in Hotels. Zunächst bezog er im „Burlington Hotel“ Quartier, aber aus den Korrespondenzen, die seinem Biografen Ottfried Dascher vorliegen, sind im Laufe jener dreieinhalb Jahre auch das „Garlands Hotel“, das „Regent Palace Hotel“ und das „Cumberland Hotel“ als Adresse angegeben.
Alfred Flechtheims Pläne, für den französischen Kunsthändler Paul Rosenberg in die USA zu gehen, hatten sich zerschlagen und so nahm er im Dezember 1933 das Angebot von Fred H. Mayor an, für dessen Londoner Galerie tätig zu werden. Flechtheim sollte seine Erfahrungen und insbesondere auch seine französischen Beziehungen ins Geschäft einbringen. Im Jahr darauf war er dann bei Mayor der Repräsentant von Daniel-Henry Kahnweiler, seinem Freund aus dem Pariser Café du Dôme. Um für die französischen Kubisten und die deutsche Moderne den britischen Markt zu erschließen, pendelte Flechtheim nun mehrfach zwischen London und Paris. In der Galerie Mayor stellte er deren Werke aus – mit mäßigem Erfolg. Bis 1936 war es ihm auch mehrfach gelungen, nach Deutschland ein- und wieder auszureisen, ohne behelligt zu werden. Dies mag deshalb möglich gewesen sein, weil er sich um den Status eines Auslandsdeutschen bemüht hatte und so für das Reich als nützlicher Devisenbringer galt. Bei einem dauerhaften Auslandsaufenthalt aber hätte ihm die Ausbürgerung gedroht, weshalb er sich zeitgleich um die französische Staatsbürgerschaft bemühte. In der Hoffnung, die Einbürgerung beschleunigen zu können, schenkte er dem französischen Staat das Gemälde „La Noce“ von Fernand Léger, das heute im Centre Pompidou hängt.
Betty Flechtheim war in Berlin geblieben, um das ihr und ihren Schwestern gehörende bedeutende Immobilien- und Kapitalvermögen nicht bei einer Emigration durch die damit verbundene Reichsfluchtsteuer zu riskieren. Anlässlich ihrer Silberhochzeit im Jahr 1935 unternahmen Betty und Alfred Flechtheim noch eine gemeinsame Italienreise, im Jahr darauf aber ließen sie sich scheiden. Es war nach dem Verständnis der Flechtheims eine Scheidung auf Zeit. Man fürchtete, dass Alfred Flechtheim, dessen Reisepass nur bis zum November 1937 gültig war, von den deutschen Behörden ausgebürgert werden könnte. Womöglich würden die Nazis Betty trotz der Vereinbarung der Gütertrennung nötigen, für den Gatten die Reichsfluchtsteuer zu begleichen.
Zur Jahreswende 1936/37 wurde Alfred Flechtheim nach einem Sturz in ein Londoner Unfallkrankenhaus eingeliefert. Dort verletzte er sich an einem rostigen Nagel seines Hospitalbettes und zog sich eine Blutvergiftung zu. Ende Februar hatte sich sein Zustand dramatisch verschlechtert, woraufhin seine Frau Betty nach London reiste. Flechtheims infiziertes Bein wurde amputiert, aber die Operation konnte ihn nicht mehr retten. Alfred Flechtheim verstarb am 9. März 1937 im Beisein seiner Frau im Londoner St. Pancrats Hospital. Zwei Tage später wurde seine Asche auf dem Friedhof Golders Green in London beigesetzt. Die Trauerrede hielt Lord Ivor Churchill, ein Kunstsammler, der mit Alfred Flechtheim über die Geschäftsbeziehung hinaus befreundet war. Bertha Flechtheim war nach Berlin zurückgekehrt, eine spätere Emigration ist nicht mehr geglückt. Am Abend des 13. November 1941, vor ihrer angekündigten Deportation, nahm sie eine Überdosis des Schlafmittels Veronal. Zwei Tage später starb Betty Flechtheim im Jüdischen Krankenhaus. Die Kunstsammlung des Ehepaares Flechtheim dürfte zu diesem Zeitpunkt 60 bis 70 Gemälde umfasst haben. Welche Bilder davon noch in Betty Flechtheims Wohnung hingen, als die Gestapo sie versiegelte, ist nicht bekannt. Flechtheims Geschäftsunterlagen in der Mayor Gallery vernichtete der von der Deutschen Luftwaffe geflogene "London Blitz" im September 1940, Bomben der Royal Airforce zerstörten die Düsseldorfer Galerie 1943 und von der Berliner Galerie sind keine Geschäftsunterlagen überliefert. So haben sich weder Künstler- noch Kundenkarteien erhalten, ebenso wenig Ein-, Ausgangs- oder Lagerbücher.
Neuen Kommentar hinzufügen