Clara Kahn wurde im badischen Kuppenheim geboren. Mit ihrem Mann Salomon Sigmann führte sie in Pforzheim ein Wäsche- und Brautausstattungsgeschäft.
Ihr Mann verstarb 1933, ein Jahr darauf wurde das Geschäft liquidiert. Clara Sigmann zog mit ihrer Tochter und Enkeltochter nach Mannheim.
Bei ihrer Emigration 1939 musste Clara Sigmann ihre Münzsammlung an das Badische Landesmuseum in Karlsruhe abgeben. Dank der Provenienzrecherche des Badischen Landesmuseums konnte die Sammlung 2017 Rob Jenson, dem aus den USA angereisten Urenkel von Clara Sigmann-Seidel, übergeben werden.
Vater: Meyer Kahn (1851 Kuppenheim – 1935)
Mutter: Auguste (Rosalie), geb. Roos (Kuppenheim – 1929 Kuppenheim)
Geschwister: Elsa (geb. 1894-1928 Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern), Salomon Walter (geb. 1894), Ludwig (geb. 1881), Sophie (1883-1938), Johanna (geb. 1887-1942 Auschwitz), Ida (geb. 1889-1973 Buffalo, Erie, New York, USA), Lena (geb. 1893-1986 Wheatfield, Niagara, New York, USA), Irma (geb. 1895-1942 Auschwitz), Julius (geb. 1897-1963 Buffalo, Erie, New York, USA), Siegfried (geb. 1899-1944)
Ehepartner: Salomon Sigmann (1881 Auschwitz -1933 Pforzheim), Aaron Seidel (gest. 1955 Buenos Aires)
Kinder: Beda (Bedel) Sigmann (1907 Pforzheim – 1985 Bridgeport, Fairfield, Connecticut, USA), Alfons Sigmann (1906 in Pforzheim – 1985 Buenos Aires)
Enkelin: Inge Guttmann, geb. Rosenburg (1933-2022)
Urenkel: Robert Jenson, geb. Guttmann, nahm 2017 in Karlsruhe die Münzsammlung seiner Urgroßmutter entgegen.
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Für die Bereitstellung von Informationen und Material bedanke ich mich herzlich bei Herrn Robert Jenson (Urenkel), Bethesda, Maryland, USA, und bei Frau Dr. Katharina Siefert, Badisches Landesmuseum Karlsruhe.
Zerrennerstraße 10
75172 Pforzheim
Deutschland
Am 6. Februar 1886 erblickte Clara Kahn in der badischen Kleinstadt Kuppenheim das Licht der Welt. Dort existierte eine verhältnismäßig große jüdische Gemeinde (zeitweise 6 Prozent der Bevölkerung). Ihren Lebensunterhalt verdienten sich die jüdischen Familien durch den Handel mit Vieh, Eisenwaren und Textilien.
Clara heiratete den aus Oświęcim (Auschwitz) stammenden Salomon Sigmann. Gemeinsam führten sie ein Wäsche- und Brautausstattungsgeschäft im Zentrum von Pforzheim. Die Stadt am Nordrand des Schwarzwaldes war geprägt durch ihre Textil-, Metall- und Schmuckwarenindustrie. Die Familie nahm am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt teil. Durch mehrmalige Wechsel der Lokalitäten gelang ihr eine Verbesserung der Wohnsituation und der Geschäftsadresse: Clara und Salomon Sigmann wohnten Anfang des 20. Jahrhunderts am Schloßberg 2, ihr Geschäft (Aussteuer- und Wäschefabrikation oder auch Leinenhaus und Wäschefabrikation) war in der Zerrennerstraße 2. Von ca. 1909 bis 1912 wohnten sie in der Westlichen Karl-Friedrich-Str. 30. Ihr Ladengeschäft befand sich in der gleichen Straße Nr. 42. Ab 1913 betrieben sie ihr Geschäft in der Zerrennerstr. 10, wo sie dann auch wohnten. Die Geschäftslage war ausgezeichnet und es ist anzunehmen, dass ein Großteil der Brautpaare von Pforzheim und Umgebung ihre Ausstattung von Sigmann bezogen.
Die Kinder Alfons und Beda Sigmann kamen 1906 und 1907 zur Welt. Salomon Sigmann verstarb 1933. Im darauf folgenden Jahr wurde das Geschäft liquidiert und Clara zog zur Familie ihrer Tochter nach Mannheim.
Lameystraße 11
68165 Mannheim
Deutschland
Clara Sigmann verlegte 1934 ihren Wohnsitz nach Mannheim. Ihre Tochter Beda hatte im Jahr 1929 Albert Rosenburg (1890-1935) geheiratet und lebte mit ihm in der Stadt an Rhein und Neckar. Bedas Mann praktizierte dort seit 1925 als Chirurg und Urologe. Er hatte seine Praxis erst in L 14, 14, dann in M 7,15.
Albert Rosenburg wurde 1933 aus der Kassenpraxis ausgeschlossen, d.h. ihm wurde die Zulassung entzogen. Die Zeitung Hakenkreuzbanner frohlockte am 21.4.1933, dass folgende Ärzte mit sofortiger Wirkung von der Ausübung jeder kassenärztlicher Tätigkeit ausgeschlossen sind: […] Dr. Rosenburg, Facharzt für Chirurgie und Urologie, Mannheim, M 7, 15. Dr. Albert Rosenburg wohnte danach in S 1, 5. Vielleicht behandelte er noch einige Patienten privat. Er nahm sich am 25. Mai 1935 das Leben.
Clara Sigmann lebte in der Lameystr. 11. Nach dem Tod ihres Schwiegersohns zogen ihre verwitwete Tochter Beda und die 1933 geborene Enkelin Inge zu ihr in die Wohnung. Vermutlich war deren Geburt einer der Gründe für den Umzug von Clara nach Mannheim.
Clara Sigmann gehörte das Mietshaus Rupprechtstr. 16, das sie um 1935 gekauft hatte. Vermutlich wollte sie das noch in Pforzheim erworbene Vermögen anlegen. An eine Auswanderung dachte sie zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Die Situation jüdischer Vermieter in jener Zeit veranschaulicht ein Briefwechsel im Stadtarchiv Mannheim. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Clara schloss am 10. März 1938 für eine der Wohnungen einen Mietvertrag ab. Die Mieterin gab ihr kurz vor dem am 1. April 1938 geplanten Einzug den Mietvertrag mit der Erklärung zurück, sie könne „unter den gegebenen Umständen die Wohnung nicht beziehen“. Clara beauftragte ihren Rechtsanwalt, der der Mieterin mitteilte, dass die „unberechtigte Einwirkung des Zellenwarts Jung“ rechtlich kein Hinderungsgrund sei, es gebe kein Gesetz, der das Wohnen bei jüdischen Hauseigentümern verbiete. Auf einen vorgeschlagenen Vergleich ließ sich die Mieterin nicht mehr ein und Clara Sigmann musste den Mietausfall ersatzlos hinnehmen.
Clara Sigmanns Sohn Alfred gelang als erstem der Familie die Flucht. Von Argentinien aus konnte er die Ausreise seiner Mutter, Schwester und deren kleinen Tochter Inge unterstützen. Zuvor aber musste Clara die geforderten Zwangsabgaben leisten. Sie besaß eine kleine Münzsammlung, die 54 Münzen und Medaillen umfasste. Bei ihrer Flucht aus Deutschland war sie 1939 gezwungen, diese als Zwangsabgabe über das Zollamt Mannheim dem Münzkabinett des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe abzuliefern. Inge, die in Mannheim geborene Enkeltochter, nahm später durch Heirat den Namen Guttmann an und wurde als 77-Jährige von der Stadt Mannheim eingeladen, an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Die Presse berichtete 2010:
„Inge Guttmann verließ Mannheim im März 1939 mit ihrer Mutter, zwei Tage vor ihrem sechsten Geburtstag. Der Vater, Albert Rosenburg, hatte sich 1935 das Leben genommen. Eine lange Reise begann: von Hamburg mit dem Schiff nach Chile, über Bolivien nach Argentinien, wo sie 20 Jahre lang lebte, schließlich in die USA. Sie habe lange keine Erinnerung an Mannheim gehabt, erzählt Inge Guttmann, bis sie Ende der 1990er Jahre bei einem kurzen Besuch zum ersten Mal wieder vor dem Wasserturm stand. `Da habe ich mich erinnert, dass das Haus, in dem wir gewohnt haben, ganz in der Nähe war.´ Das Gebäude in der Lameystraße 11 steht noch.“ (Mannheimer Morgen 24.6.2010)
Av. Rivadavia 501
C1002 San Nicolas
Cdad. Autónoma de Buenos Aires
Argentinien
Clara Sigmann reiste 1939 mit dem Schiff über Marseille nach Chile und weiter auf dem Landweg nach Argentinien, wo ihr Sohn Alfons bereits in Buenos Aires lebte. „Alfonso“ bürgte für seine Mutter. Dies war eine der Voraussetzung, neben allen anderen Hindernissen wie Einwanderungsquoten und bürokratischen Regelungen, die Clara zu erfüllen hatte. Ob sie in Buenos Aires ungebetenen Kontakt zu deutschen Nationalsozialisten hatte, wie viele aus Deutschland geflohene Juden, ist nicht bekannt. Besonders nach 1945 waren viele NS-Täter nach Argentinien geflohen und wohnten dort mit jüdischen Einwanderern Tür an Tür. 1955 verstarb Claras zweiter Ehemann Aaron Seidel. Wo und unter welchen Umständen Clara ihn kennengelernt hatte, ist nicht überliefert. Vielleicht brachte sie ein gemeinsames Schicksal als Flüchtlinge aus Europa zusammen.
Clara zog 1964 von Argentinien nach Buffalo im US-Bundesstaat New York. Dort wohnte sie bei einer ihrer Schwestern in der 679 Auburn Avenue. Ihr Urenkel erinnerte sich 2024: „Sie machte ein paar Tage in Tarrytown Station, als ich noch ein Kleinkind war. Leider finde ich das Bild nicht mehr, auf dem Clara mich im Arm hielt. Mein Bruder war noch nicht geboren. Meine Mutter nahm Clara mit nach Buffalo, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1965 bei einer ihrer Schwestern lebte.“
Badisches Landesmuseum, Schloßbezirk 10
76131 Karlsruhe
Deutschland
Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe gibt es seit 2010 eine Stelle für Provenienzforschung. Durch die Recherchen der Provenienzforscherin wurden insgesamt 25 Münzen und Medaillen entdeckt, die sich als Raubkunst herausstellten. Sie waren in der NS-Zeit der in Mannheim lebenden Clara Sigmann unrechtmäßig entzogen worden.
Die Nachverfolgung ergab, dass im März 1939 Clara Sigmann, die auswandern wollte, auf Anweisung des Zollamtes Mannheim eine „Sammlung von Silber- und Kupfermünzen im zollamtlich versiegelten Paket“ im Münzkabinett des BLM abgegeben hatte. Die ursprünglich 54 Münzen und Medaillen wurden damals im Museum inventarisiert.
52 Objekte aus der Sammlung waren Gegenstand eines im Mai 1950 angelaufenen Wiedergutmachungsverfahrens gewesen, das zur Rückgabe von 22 Münzen geführt hatte. Für den durch „Plünderungen“ im Karlsruher Schloss entstandenen Verlust von 28 Objekten erhielt die rechtmäßige Eigentümerin 1956 einen Schadensersatz von 200 DM.
Die verloren geglaubten Stücke konnten, bis auf sieben Objekte, viele Jahre später im BLM identifiziert werden. Die Suche nach den Erben gestaltete sich schwierig, doch führte ein Zeitungsartikel, der 2010 vom Besuch der Enkelin Clara Sigmann-Seidels in Mannheim berichtete, auf die richtige Spur. Am 23. Juni 2017 konnte der aus Bethesda, Maryland, USA mit seiner Frau angereiste Sohn Rob Jenson das Erbe seiner Urgroßmutter Clara Sigmann-Seidel, die 25 Münzen, entgegennehmen.
Der materielle Wert der Münzen war vergleichsweise gering und bewegte sich im unteren vierstelligen Bereich. Nach Angaben der Enkelin und ihres Sohnes war ihr Interesse an den Münzen eher zurückhaltend. Eine hohe emotionale Bedeutung hatte die numismatische Sammlung aber nach Aussage der Provenienzforscherin Dr. Katharina Siefert als „Mosaikstein zur Familiengeschichte“, die Rob Jenson wenige Jahre vor seiner Reise nach Karlsruhe angefangen hatte, zu erforschen und zu verstehen.
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