Stadtspaziergang Frankfurt am Main: Krankenpflege und soziale Fürsorge im Ostend

Das Frankfurter Ostend war ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur nationalsozialistischen Verfolgung das jüdische Viertel der Stadt. Um 1895 waren etwa ein Viertel der Bewohner*innen jüdischen Glaubens. 1925 lebten rund 6.400 Jüdinnen und Juden im Ostend. Hier lebten liberale, konservative und orthodoxe Juden sowie die seit den 1880er-Jahren eingewanderten „Ostjuden“ mit unterschiedlichen Riten und religiösen Gebräuchen zusammen, was auch im alltäglichen Geschehen und im Stadtbild sichtbar war. Um 1900 entstanden entlang des Röderbergwegs und der Bornheimer Landwehr moderne jüdische Krankenhäuser und Kinderheime. Die bestehenden Einrichtungen in der östlichen Innenstadt waren zu klein geworden und entsprachen nicht mehr den hygienischen Anforderungen. Die Luft in dem höher gelegenen Areal war gut und es gab viel Grün. Der Rundgang „Hospitäler und Einrichtungen der sozialen Fürsorge im Frankfurter Ostend“ bietet eine Übersicht über das dichte Netz jüdischer Einrichtungen im Stadtteil. Die großzügigen Rothschild’schen Stiftungen im Gesundheits- und Pflegebereich kommen ebenso zur Sprache wie die zahlreichen kleineren Stiftungen und die große Spendenbereitschaft der Gemeindemitglieder. Die Einrichtungen spiegelten dabei die Doppelstruktur des jüdischen Gemeinwesens vor der Schoa wider: Die Israelitische Gemeinde und die Israelitische Religionsgesellschaft unterhielten eigene Infrastrukturen unter Beachtung der jeweils eigenen Mizwot (= Gebote bzw. religiöse Pflichten). Äußerst fortschrittlich waren die Hospitäler im Osten der Stadt bei der Entwicklung der Krankenpflege. Das Berufsbild der Krankenschwester war noch im Entstehen begriffen, als der Verein für israelitische Krankenpflegerinnen Pionierarbeit bei der Ausbildung der Schwestern übernahm. Bekannt waren die jüdischen Einrichtungen darüber hinaus für ihre moderne Ausstattung und innovative Diagnose- und Behandlungsmethoden. In den Jahren des Nationalsozialismus wurde das Ostend als jüdischer Mikrokosmos ausgelöscht. Mit den Novemberpogromen erreichte der alltägliche Terror gegen Jüdinnen und Juden einen ersten Höhepunkt. Die Einrichtungen der sozialen Fürsorge und die jüdischen Hospitäler wurden zu „Inseln menschlicher Wärme“ (Salomon Adler-Rudel) in einer von Verfolgung und Gewalt geprägten Umgebung. Die jüdischen Stiftungen wurden „gleichgeschaltet“, die Liegenschaften zwangsweise enteignet, Bewohner*innen, Patient*innen und Personal deportiert. Nur die Wenigsten überlebten die Schoa. Der Rundgang führt auch an Orte des Neubeginns jüdischen Lebens nach 1945. Die wiedergegründete Jüdische Gemeinde baute ihre Institutionen in den Nachkriegsjahrzehnten auch im Ostend auf.

Adresse

Röderbergweg 82
60314 Frankfurt am Main
Deutschland

Dauer
75.00
Literatur
Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel [Dokumentation der Dauerausstellung des Jüdischen Museums im Hochbunker an der Friedberger Anlage 5-6], Frankfurt am Main 2020.
Jewish Museum Frankfurt (ed.), The East End. Looking into a Jewish Quarter, Frankfurt am Main 2019.
Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000.
Länge
1.60
Stationen
Adresse

Röderbergweg 62-64 (entspricht heute dem Gebäude Röderbergweg 82)
60314 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1151042, 8.7078363
Titel
Gumpertz'sches Siechenhaus
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. S3, Nr. 5150
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.30.02, Nr. 157
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.51.01, Nr. 877
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01, Nr. T-3028
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01, Nr. V-353
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Birgit Seemann, Judentum und Pflege: Zur Sozialgeschichte des orthodox-jüdischen Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main (1888–1941), in: Nolte, Karin/ Vanja, Christina/ Bruns, Florian/ Dross, Fritz (Hrsg.): Geschichte der Pflege im Krankenhaus. Historia Hospitalium. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte, Band 30, Berlin 2017, S. 13-40.
Birgit Seemann/Edgar Bönisch, Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2019.
Stationsbeschreibung

Die jüdische Stifterin Betty Gumpertz gründete 1888 den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus zur Unterbringung und Behandlung unbemittelter, chronisch kranker Personen. Eine großzügige Spende der Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung ermöglichte den Bau eines Stiftungsgebäudes für 60 Patient*innen am Röderbergweg. Das 1907 fertiggestellte Gebäude umfasste Operationssäle, einen Röntgenapparat und ein Laboratorium. 1911 konnte ein Betsaal eingerichtet und ein Heimrabbiner angestellt werden. Aus finanziellen Gründen musste das direkt am Röderbergweg gelegene Vorderhaus an die Stadt Frankfurt verpachtet werden. Übrig blieb das Hinterhaus mit einer Kapazität von 30 Bettplätzen. Wie alle jüdischen Stiftungen und Vereine wurde das Gumpertz’sche Siechenhaus 1940 in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ unter Zwang eingegliedert. Die Bewohner*innen wurden 1941 ins Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde umquartiert und von dort vermutlich in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die Vereinigung der Verfolgten der Nationalsozialismus (VVN), der Röderbergverlag, Künstler*innen und ein Kinderladen ein. Um 1980 wurde das Vorderhaus für einen Erweiterungsbau der Arbeiterwohlfahrt (AWO) abgerissen. Heute hat hier das August-Stunz-Zentrum der AWO seinen Sitz.

Adresse

Röderbergweg 87 (entspricht heute den Gebäuden Waldschmidtstraße 120-122)
60314 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1153936, 8.7077995
Titel
Israelitische Waisenanstalt
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. S3 Nr. 5154
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.30.02, Nr. 510
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.40.01, Nr. 4938
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01, Nr. V-565
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.01.01, Nr. 1773
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01, Nr. 9604
Helga Krohn, Aus dem Israelitischen Waisenhaus in Frankfurt nach Palästina – eine dramatische Rettungsaktion, in: Dies. (Hrsg.), Vor den Nazis gerettet. Eine Hilfsaktion für Frankfurter Kinder 1939/40, Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1995, S. 11-58.
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Edgar Bönisch, Das jüdisch geprägte Ostend und die jüdischen Institutionen im Röderbergweg, in: Ders./Birgit Seemann, Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2019, S. 41-72.
Stationsbeschreibung

Die Israelitische Waisenanstalt wurde 1876 von Privatleuten gegründet. Laut den Statuten verfolgte die Waisenanstalt das Ziel „unbemittelte israelitische Waisenkinder (…) eine den Grundsätzen des traditionellen Judenthums entsprechende Erziehung zu gewähren und in der Pflege des Geistes wie des Körpers die treue elterliche Fürsorge möglichst zu ersetzen“. Aufgenommen wurden Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren, die bis zum Abschluss der Berufsausbildung in der Einrichtung wohnen konnten. Die Frankfurter Mäzenatin Mathilde von Rothschild (1832-1924) stiftete den Neubau am Röderbergweg 87, der 1903 eröffnet werden konnte. Ab 1918 leitete das Ehepaar Rosa und Isidor Marx das Heim, welches bis zu 75 Kinder aufnehmen konnte. Ab 1935 flüchteten immer mehr Jüdinnen und Juden aus den ländlichen Gegenden nach Frankfurt, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. Bald stieg die Zahl der Heimbewohner*innen auf etwa 150 an. Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchten Isidor und Rosa Marx so viele Kinder wie möglich ins Ausland zu bringen. Über Kontakte in die Schweiz, nach Frankreich, Holland, England und Palästina konnten ca. 1.000 Kinder gerettet werden. Im Frühjahr 1942 wurden Rosa Marx, das Personal und die verbliebenen Kinder deportiert und ermordet. Isidor Marx überlebte im britischen Exil. Nahe der Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle befindet sich heute der Rosa-Marx-Weg.

Adresse

Röderbergweg 93-97 (entspricht heute den Gebäuden Waldschmidtstraße 129-131)
60314 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.115684, 8.708469
Titel
Georgine Sara von Rothschild‘sches Hospital
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. S3 Nr. 7363
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. H.15.15 Nr. 1871-515
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. T-2229
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. V-527
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. 9586
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.54.03 Nr. 5522
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Best. 518 Nr. 1819
Archivzentrum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, UBA Ffm, Best. A 3 Nr. 60
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Edgar Bönisch, Das jüdisch geprägte Ostend und die jüdischen Institutionen im Röderbergweg, in: Ders./Birgit Seemann, Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2019, S. 41-72.
Stationsbeschreibung

Nach dem Tod ihrer erst 17-jährigen Tochter Georgine Sara entschlossen sich Wilhelm Carl Freiherr von Rothschild und seine Ehefrau Hannah Mathilde zur Stiftung eines Krankenhauses, welches den Namen der Verstorbenen tragen sollte. Die Stiftung wurde 1870 gegründet und hatte zum Ziel „die Errichtung eines streng nach religiösen Vorschriften geführten Krankenhauses für unbemittelte, arme jüdische Kranke, denen keine Aufnahme in einer anderen hiesigen jüdischen Heilanstalt zustand“. Am 1. Oktober 1878 konnte auf dem Grundstück Röderbergweg 93-97 ein Neubau mit zunächst 19 Bettplätzen eingeweiht werden. Das Hospital stand unter Aufsicht von Rabbiner Samson Raphael Hirsch, Gründer der neoorthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG). Dessen Sohn Dr. Marcus Hirsch übernahm später den Posten des Chefarztes. In den Jahren 1931/32 wurden umfangreiche Umbauten und Modernisierungen unter Leitung des Frankfurter Architekten Fritz Nathan vorgenommen. Nach dem Umbau standen 50 Betten, zwei Operationssäle und eine Röntgenabteilung zur Verfügung. Im Mai 1941 wurde das Georgine Sara von Rothschild’sche Hospital geschlossen und sämtliche Patient*innen in das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde verlegt. Das Personal und die Bewohner*innen des Israelitischen Krankenhauses wurden im August und September 1942 in Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt und in den meisten Fällen ermordet.

Adresse

Röderbergweg 109 (entspricht heute dem Gebäude Habsburgerallee 124)
60314 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1158752, 8.7090628
Titel
Mathilde von Rothschild’sches Kinderhospital
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. 9574
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. V-563
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.30.02 Nr. 400
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Edgar Bönisch, Das jüdisch geprägte Ostend und die jüdischen Institutionen im Röderbergweg, in: Ders./Birgit Seemann, Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2019, S. 41-72.
Stationsbeschreibung

Das von Mathilde von Rothschild gestiftete Kinderhospital wurde 1903 eröffnet und bot kranken und mangelernährten Kindern die Möglichkeit eines mehrwöchigen Erholungsaufenthalts. Zur Verfügung standen zwölf Betten, die sowohl mit Mädchen als auch mit Jungen belegt wurden. Gemäß den Grundsätzen der Israelitischen Religionsgesellschaft wurden die Mizwot (= Gebote bzw. religiöse Pflichten) eingehalten, welche auch die Speisevorschriften umfassen. Chefarzt war zunächst Dr. Marcus Hirsch, welcher von Dr. Elieser Rosenbaum und 1922 von dessen Sohn Dr. Saly Rosenbaum abgelöst wurde. Die Satzung wurde in den 1920er Jahren dahingehend geändert, dass nunmehr ausschließlich Mädchen in das Kinderhospital aufgenommen wurden. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der Behandlung von Unterernährungen und dadurch ausgelöste Folgeerkrankungen. Das Mathilde von Rothschild’sche Kinderhospital wurde 1940 unter Zwang in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und verlor dadurch seine Selbstständigkeit. Im Juni 1941 erfolgte die zwangsweise Schließung.

Adresse

Bornheimer Landwehr 85
60385 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1223003, 8.7154509
Titel
Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen
Literatur
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Best. 518 Nr. 1841
Leo Baeck Institute, Evelyn Benson Collection, AR 25433
Leo Baeck Institute, Margarete Katzenstein Collection, AR 25067
Hilde Steppe, „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“ Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland, Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 1997.
Stationsbeschreibung

Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen wurde 1893 gegründet und hatte zum Zweck, jüdische Frauen zu Krankenpflegerinnen auszubilden. In den Jahrzehnten der Professionalisierung der Krankenpflege übernahm der Verein eine Pionierfunktion in diesem neuen Berufsfeld. Das Schwesternhaus befand sich zunächst in unmittelbarer Nähe zum Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarterstraße. Im Mai 1914 konnte das Schwesternhaus an der Bornheimer Landwehr 85 zeitgleich mit dem benachbarten Neubau-Komplex des Israelitischen Krankenhauses eröffnet werden. Das Schwesternhaus bot Unterkunft für 60 Krankenschwestern und Schülerinnen. Bewerberinnen mussten zwischen 21 und 36 Jahren alt sein; die jüdische Konfession sowie ein tadelloser Ruf waren Voraussetzung. Für die Dauer der Ausbildung erhielten die Schülerinnen Kost und Logis sowie ein Taschengeld von zehn Reichsmark pro Monat. Im Haus herrschte ein strenges Regiment. Kurzhaarfrisuren waren ebenso verboten wie partnerschaftliche Beziehungen. Die Ausstattung des Schwesternheims war komfortabel. So waren etwa Duschen und Badewannen mit Warmwasser vorhanden. In den Jahren des Nationalsozialismus wurde auch das Schwesternheim „arisiert“ und im November 1940 zwangsweise geschlossen. Die verbliebenen Bewohnerinnen und das Personal wurden in das bereits überfüllte Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde einquartiert. Einigen gelang noch rechtzeitig die Flucht ins Ausland. Ein Großteil der Krankenschwestern wurde im August und September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt und in andere Lager verschleppt und ermordet. Die Stolpersteine der Krankenschwester Dina Strauss und ihrer Mutter Auguste Strauss befinden sich am früheren Standort des Schwesternhauses und verweisen auf die Verfolgungsgeschichte in den Jahren des Nationalsozialismus.

Adresse

Bornheimer Landwehr 79b
60385 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1223901, 8.7146823
Titel
Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Atereth-Zvi-Synagoge
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. 8972
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.51.02 Nr. 3157
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.51.02 Nr. 4055
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, B. 1/13, Nr. 2202
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, B. 1/13, Nr. 3492
Fedor Besseler, „Gib uns nicht Preis in den Tagen unseres Alters“ – Vom Provisorium zum modernen Alten- und Pflegeheim (1945-1995), in: Jüdische Gemeinde Frankfurt (Hrsg.) 50 Jahre Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Frankfurt am Main 2024, S. 30-47.
Alfred Jachmann/Susanna Keval, Die Entwicklung der Altenpflege in Frankfurt (Interview), in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), „Wer ein Haus baut, will bleiben“ – 50 Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main. Anfänge und Gegenwart, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 152-155.
Jüdische Gemeinde Frankfurt (Hrsg.), Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1974.
Alexandra Klei, Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi Guttmann, Neofelis Verlag, Berlin 2017, hier S. 122-132.
Sophie Remmlinger/Klaus Hofmann (Hrsg.), Hermann Zvi Guttmann. Vom Tempel zum Gemeindezentrum: Synagogen im Nachkriegsdeutschland, Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1989, hier S. 82-89.
Stationsbeschreibung

Auf dem Areal des heutigen Altenzentrums der Jüdischen Gemeinde befand sich bis 1942 das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde. Nach der Schoa wurden in den provisorisch hergerichteten Ruinen die Überlebenden aus Theresienstadt und anderen Lagern notdürftig untergebracht. Seit 1952 dienten die Altbauten des früheren Krankenhauses offiziell als Altenheim der Gemeinde. In den Jahren 1973 bis 1977 konnte an dieser Stelle ein modernes Altenzentrum erbaut werden. Das 25-Millionen-Projekt beinhaltete ein Alten- und Pflegeheim, ein Rehabilitationszentrum mit Bewegungsbad, Altenwohnungen sowie eine eigene Synagoge. Die Gesamtanlage bietet heute Platz für 300 ältere und pflegebedürftige Heimbewohner*innen und ist damit die größte jüdische Einrichtung dieser Art in Deutschland. Maßgeblich vorangetrieben wurde das Projekt von den Vorstandsmitgliedern Ignatz Bubis und Ignaz Lipinski. Unterstützung erhielt die Jüdische Gemeinde beim Bau von der Stadt Frankfurt und der Hessischen Landesregierung. In den Jahren 2004 bis 2008 wurde das Altenzentrum kernsaniert und modernisiert. Altenzentrum und Synagoge wurden geplant vom Architekten Hermann Zvi Guttmann, der viele Jahre selbst Mitglied des Gemeinderates war. Typisch für die von Guttmann konzipierten Gotteshäuser ist der parabelförmige Grundriss. Für die großflächigen, bleiverglasten Fenster wurde Danziger-Überfangglas verwendet. Der Toraschrein befindet sich im östlichen Teil der Synagoge, der als Apsis ausgebildet ist. Hermann Zvi Guttmann starb vor Fertigstellung des Betsaals. Zum Gedenken an den Architekten erfolgte die Benennung der Atereth-Zvi-Synagoge. Die am 14. März 1978 eingeweihte Synagoge bietet Platz für 92 Gottesdienstbesucher*innen. Noch kurz vor seinem Tod hatte Guttmann Natursteine und Hölzer für den Innenraum der Synagoge ausgewählt.

Adresse

Gagernstraße 36 (entspricht heute den Gebäuden Gagernstraße 42-44)
60385 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.1232575, 8.7138455
Titel
Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Bestand A.51.01 Nr. 952: Israelitisches Gemeindehospital, [Königswarterstraße 26 bzw. ab 1914: Krankenhaus der israelitischen Gemeinde, Gagernstraße 36] (1865–1928)
Institut für Stadtgeschichte Frakfurt, Bestand A.02.01 Nr. 8972: Israelitisches Gemeindehospital - Jüdisches Krankenhaus Gagernstraße 36 (1938–1958)
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Bestand A.02.01 Nr. R-1483: Krankenhaus der israelitischen Gemeinde an der Bornheimer Landstraße (1908–1929)
Die Einweihung des neuen israel. Gemeinde-Hospitals, in: Frankfurter Israelitisches Familienblatt, 22.05.1914, S. 10-11.
Erweiterung des Krankenhauses, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Oktober/November 1929, S. 63-67.
Simon Isaac, Aus Vergangenheit und Gegenwart des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Januar 1934, S. 185-186.
Wilhelm Hanauer, Festschrift zur Einweihung des Neuen Krankenhauses der israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main, Verlag Kauffmann, Frankfurt am Main 1914.
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Birgit Seemann, Eine „neue Epoche der jüdischen Krankenpflege unserer Stadt“ – Das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (1914-1942), in: Jüdische Gemeinde Frankfurt (Hrsg.), 50 Jahre Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt (Festschrift), Frankfurt am Main 2024 S. 50-59.
Eva-Maria Ulmer/Edgar Bönisch/Birgit Seemann, „Diakonissen“ jüdischen Glaubens. Die Entstehung der jüdischen Krankenpflege in Frankfurt am Main, in: Wiese, Christian u.a. (Hrsg.): Das jüdische Frankfurt – von der Emanzipation bis 1933, De Gruyter, Berlin 2023, S. 99-116.
Stationsbeschreibung

Als um 1900 für das Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarter Straße Modernisierungen und Umbauten anstanden, entschloss sich der Gemeindevorstand zu einem Neubau an der Gagernstraße. Die Planung übernahm der Architekt Franz Roeckle, der auch die Frankfurter Westend-Synagoge entwarf. Die Baukosten in Höhe von 2,5 Mio. Reichsmark wurden weitgehend durch Stiftungen und Spenden von Gemeindemitgliedern gedeckt. Gebaut wurde nach dem Korridorsystem, wobei sich vier Gebäude um eine langgestreckte Parkanlage gruppierten. Das neue Krankenhaus hatte 200 Betten. Es besaß Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Urologie sowie eine moderne Röntgenabteilung. Durch ständige Erweiterungen und Modernisierungen blieb das Israelitische Krankenhaus eines der fortschrittlichsten und bestausgestatteten Krankenhäuser Frankfurts. Auch zahlreiche nichtjüdische Patient*innen suchten es auf. Im Rahmen der unter Zwang durchgesetzten „Judenverträge“ brachte die Stadt Frankfurt die Liegenschaft 1939 in ihren Besitz. Die Israelitische Gemeinde erhielt die Gebäude im selben Zuge für drei Jahre zur Miete. Die Klinik wurde 1941/42 zu einem Sammellager, in dem Patient*innen und ältere Menschen aus den bereits geschlossenen jüdischen Einrichtungen einquartiert wurden. Zeitweise waren bis zu 400 Personen im Krankenhaus untergebracht, dazu über 100 Angestellte und 37 Lehrschwestern. Personal, Patient*innen und andere Schutzsuchende wurden im August und September 1942 in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt; nur sehr wenige Personen überlebten. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa wurden in den Ruinen an der Gagernstraße die Überlebenden aus dem Konzentrationslager Theresienstadt provisorisch untergebracht. Zwischen 1973 und 1977 wurden die alten Hospitalgebäude abgerissen und an gleicher Stelle das Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt errichtet.

Adresse

Straßenschild Clementinenweg (zwischen den Gebäuden Freiligrathstraße 18 und Wittelsbacher Allee 106)
60385 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.122063, 8.710986
Titel
Clementine Mädchen-Hospital
Literatur
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. S3 Nr. 1042
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. S3 Nr. 4136
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Best. A.02.01 Nr. T-3964
Helga Krohn, „Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler“, in: Jüdisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 128-143.
Barbara Reschke (Hrsg.), Full of talent and grace. Clementine von Rothschild 1845-1865, Zum 125-jährigen Bestehen des Clementine Kinderhospitals, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2011.
Roland Wönne, Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ’sche Stiftung 1845-1995, Clementine Kinderhospital, Frankfurt am Main 1996.
Stationsbeschreibung

Louise Freifrau von Rothschild eröffnete das Clementine Mädchen-Hospital im Jahr 1875 zum Gedenken an ihre in jungen Jahren verstorbene Tochter Clementine (1845-1865). Das Grundstück und die darauf befindliche Villa befanden sich damals in einer ansonsten unbebauten Gegend auf dem Röderberg. Das Hospital bot Platz für zwanzig Patientinnen in stationärer Behandlung. 1899 wurde die Anzahl der Bettplätze durch einen Anbau verdoppelt. Behandelt wurden Mädchen im Alter von zwei bis 15 Jahren. Die Patient*innen wurden unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit aufgenommen. Dies war ganz im Sinne Clementine von Rothschilds, die sich bereits als Schülerin für die Verständigung zwischen den Religionen einsetzte. Die ärztliche Versorgung erfolgte kostenlos, sodass auch Mädchen aus armen Familien behandelt wurden. Die Position des Chefarztes übernahm zunächst Dr. Jakob de Bary, der zugleich Hausarzt der Familie Rothschild war. August de Bary, dessen Sohn, wurde 1915 Nachfolger. Die Inflationsjahre nach dem Ersten Weltkrieg dezimierten das Stiftungskapital erheblich. 1928 wurde die Liegenschaft an den Vaterländischen Frauenverein des Roten Kreuzes übertragen. Als die Nationalsozialist*innen 1933 die Macht übernahmen, wurde der Chefarzt Prof. Dr. Paul Grosser, sowie die Kinderärzte Dr. Hugo Hochschild und Dr. Gustav Simon, alle drei jüdischer Herkunft, entlassen und flohen aus dem Deutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa wurde die Stiftung Clementine Kinderhospital zu neuem Leben erweckt. Seit 1954 hat das Kinderkrankenhaus seinen Sitz in der Theobald-Christ-Straße.

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Autor
Heike Drummer, Fedor Besseler

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