Maria Hepner war eine jüdische Grafologin, Krankenpflegerin und eine Nichte von Alice Salomon.
Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Kopanin im heutigen Polen geboren und lebte unter anderem auf dem familieneigenen Gutsbesitz Heidewilxen, in Berlin, später in Zürich und schließlich gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Leonie Cahn in London.
Die Familien Cahn/Hepner wanderten teilweise bereits in den 1920er Jahren nach Palästina, später in die USA, in die Schweiz und nach Südamerika aus.
Maria selbst betrieb ein kleines grafologisches Institut in Berlin, war aber schließlich gezwungen Deutschland zu verlassen und ließ sich so 1933 in der Schweiz nieder. Nach einer gescheiterten Bürgerschaftsehe wurde sie in unterschiedlichen Schweizer Lagern interniert.
Später konnte sie endlich wieder als Grafologin arbeiten und veröffentlichte 1978 ihr Werk "Schlüssel zur Kinderschrift. Einführung in den Hepner-Schreibtest zur Früherfassung kindlicher Reaktionsformen und seelischer Störungen."
Während sie ihren Lebensabend im Kreise der Familie in London verbrachte, verfasste sie außerdem ihre Autobiografie "Erinnerungen einer Neunzigjährigen".
Am 7. Dezember 1992 verstarb Maria Hepner in London.
Gutsbezirk Kopanin
62-100 Wągrowiec
Polen
Maria Hepner und ihre Zwillingsschwester Leonie wurden am 3. Dezember 1896 in Kopanin im heutigen Polen geboren.
Die Zwillinge hatten noch zwei ältere Geschwister. Die bürgerliche jüdische Familie besaß ein Landgut, ihr Einkommen rührte hauptsächlich vom Anbau von Zuckerrüben her. Die Kinder spielten viel mit den Tieren des Gutes oder unternahmen lange Wanderungen. Wegen der Lungenkrankheit der Mutter Käthe verkaufte die Familie das Gut im Jahr 1899 und lebte danach in Gebirgsnähe, beispielsweise in Meran oder Berchtesgaden. Trotz ihres relativen Wohlstandes waren die Umzüge eine finanzielle Belastung für die Familie. Schulunterricht erhielten die Geschwister in dieser Zeit von wechselnden Privatlehrer*innen. Noch wichtiger als der Unterricht war es der Mutter auch hier, dass die Kinder während der Sonnenstunden Zeit in der Natur verbrachten, was diese außerordentlich genossen. Sie wuchsen sehr naturverbunden auf. Um 1905 lebte die Familie in der Schweiz, unter anderem in Zürich und St. Moritz. Maria und ihre Zwillingsschwester konnten ihrem Vergnügen am Skifahren und Schlittschuhlaufen nach Herzenslust frönen.
1909 zog die Familie nach Berlin-Grunewald. Dort besuchten die Schwestern erstmals eine reguläre Schule und nahmen auch zum ersten Mal am christlichen Religionsunterricht teil. Die Eltern hatten bislang keinen Bedarf an Religionsunterricht gesehen, gleich welcher Konfession, auch der jüdische Glaube war kaum präsent in ihrer Erziehung. Maria und Leonie waren wissbegierige und fleißige Schülerinnen. Obwohl es ein bisschen dauerte, bis sich die Schwestern an einen geregelten Schulbetrieb gewöhnt hatten, gelang ihnen problemlos der Schulabschluss. In der Schule bekamen Leonie und Maria den Spitznamen „die praktischen Hepners“, da sie oft sehr patent agierten. Nach dem Ende der Schulzeit zog die Familie 1915 auf das neuerworbene Landgut nach Heidewilxen in Niederschlesien.
Autor: Pascal Paterna
Gmina Oborniki Śląskie
55-120 Obernigk (pol. Oborniki Śląskie)
Polen
Als Maria Hepners Mutter Käthe 1914 mit nur 44 Jahren an einer Lungenkrankheit verstarb, sah sich der Vater – nun allein mit vier Kindern – vor neue Herausforderungen gestellt. Auf Anraten seiner Schwägerin Alice Salomon schickte er die Zwillinge an das Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin. Dort gab es verschiedene Ausbildungs- und Praxisstätten für sozialpädagogische Frauenarbeit. Anfangs arbeiteten Maria und Leonie in einer Einrichtung für Kinder aus ärmlichen Verhältnissen. Die Lebensumstände der Kinder schockierten die bürgerlich sozialisierten Mädchen jedoch so sehr, dass sie sich nach Alternativen umsahen. In Folge beschäftigte Alice Salomon Maria in Folge im Büro für soziale Fürsorge für kriegsbedingt arbeitslose, gebildete Menschen.
Beim Rittbergschwesternorden in Berlin begann Maria 1915 eine Ausbildung als Hilfsschwester. Im Ersten Weltkrieg übernahm die dort neben dem theoretischen Unterricht schnell praktische Arbeiten im ansässigen Lazarett und verantwortete 20 Soldatenbetten. Wegen einer langwierigen Erkrankung kehrte sie zurück nach Heidewilxen, ohne ihre Ausbildung abzuschließen. Dennoch blieb die Krankenpflege von entscheidender Bedeutung für sie, immer wieder arbeitete sie als Pflegerin. In Heidewilxen wurde ihre medizinische Erfahrung in der ganzen Umgebung wertgeschätzt. Sie behandelte entzündete Wunden und betreute Geburten; durch ihre fachliche Hilfe konnte sie oft lebensbedrohliche Zustände ihrer Patient*innen abwenden.
Die politische Situation in der krisenhaften Weimarer Republik ließ das Leben der Hepners nicht unberührt: Sie litten unter den Folgen der Inflation und der Vater wurde während des Kapp-Putsches 1920 kurzzeitig inhaftiert. Er hatte Sorge um die Sicherheit seiner Familie. 1924 entschloss er sich zum Verkauf des Gutes Heidewilxen. Nach der Haushaltsauflösung ging Maria nach Zürich, um ihre Zwillingsschwester bei der Geburt ihres ersten Kindes Käthe zu unterstützen, das 1925 zur Welt kam.
Autor: Pascal Paterna
Knesebeckstraße 33
10623 Berlin
Deutschland
Obgleich Maria Hepner überwiegend als Kranken- oder Altenpflegerin tätig war, galt ihre Passion der Grafologie. Schon als Kind war sie von der Schrift fasziniert: „So erinnere ich mich an den großen Buchstaben ‚D‘, der mir als Einziger von dem Buch ‚Der Struwwelpeter‘ [...] zum Bewusstsein kam. Die riesige Rundung des ‚D‘ hat meine Phantasie damals so beschäftigt, dass ich sie heute noch sehe und fühle!“
Bereits bevor sie 1926 einen Kurs beim bedeutenden Grafologen Ludwig Klages besuchte, hatte sie sich im Selbststudium Kenntnisse der Schriftenkunde angeeignet. Unter anderem in der Berliner „Fürsorgestelle für Nerven- und Gemütskranke Kreuzberg“ führte sie Schriftanalysen bei schwierigen Kindern, psychisch Kranken und Alkoholiker*innen durch. In der Schrift, später auch in den Handlinien, glaubte sie, Charaktereigenschaften der Menschen und somit auch Hilfe für den Umgang mit ihnen zu finden. Sie erstellte Gutachten über Patient*innen und entwickelte den „Hepner-Schreibtest“: eine Grundlage zur systematischen Erforschung der Handschriften von Kindern und Jugendlichen.
Bereits in den 1930er-Jahren hielt Maria Vorträge und bildete bald selbst Grafolog*innen aus, 1931 wurde sie in den Vorstand der Grafologischen Studiengesellschaft gewählt. Im Zuge der nationalsozialistischen Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung musste Maria ihr Seminar in der Knesebeckstr. 33 in Berlin 1933 schließen. Freiberuflich schrieb sie Gutachten, zum Beispiel gab sie anhand von Schriftproben Empfehlungen für oder gegen die Einstellungen von Bewerber*innen.
Als sie 1935 in die Schweiz emigrierte, war es ihr zunächst untersagt auf dem Feld der Grafologie zu arbeiten. Erst in den 60er-Jahren nahm sie wieder Aufträge an und verfasste unter anderem Gutachten über Parkinsonpatient*innen. Maria bildete erneut grafologischen Nachwuchs aus und begann 1970 ihr Werk „Der Schlüssel zur Kinderschrift“, in dem sie 1978 die Ergebnisse ihrer langjährigen Arbeit publizierte.
Autorin: Filiz Çakır
Zumhofstrasse 258
6010 Kriens
Schweiz
1933 besuchte Maria ihre Schwester in Zürich und schrieb ihrem Vater: „Als ich fortfuhr hatte man das gleiche Gefühl wie bei Kriegsausbruch, die Verhetzung durch die Zeitungen war unbeschreiblich, man kann sich nur wundern, wie wenig tatsächlich passiert ist.”
Der Druck auf die jüdische Bevölkerung stieg, Maria befürchtete ein Berufsverbot und den Einzug des Vermögens. Nach einem Aufenthalt in Palästina emigrierte sie 1935 in die Schweiz. Da sie keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekam und ständig von der Fremdenpolizei bedrängt wurde, heiratete sie 1936 den Schweizer Attilo Tozzini, um die Schweizer Staatsbürgerschaft (da dieser Personenstand ausdrücklich am Mann orientiert war, wird hier der historische Begriff genutzt und nicht gegendert. Die Staatsangehörigkeit der Frau war quasi keine eigene, sondern hing von ihrem Ehemann ab.) zu erhalten – eine zu diesem Zeitpunkt legale Praxis. Im Sinne des androzentristischen Konzeptes der Schweizer Nationalität verlor eine ausländische Frau ihre Staatsbürgerschaft und erhielt die Schweizer Staatsangehörigkeit mitsamt einer Arbeitserlaubnis. Nach sechs Monaten ließ Maria sich wieder scheiden.
1939 änderte sich das Schweizer Staatsbürgerrecht. Die Schweizer Fremdenpolizei verschärfte ihre Kontrollen und ging gegen Immigrantinnen vor, die eingeheiratet hatten. Der Verdacht einer „Bürgerschaftsehe“ traf zu diesem Zeitpunkt vor allem linke Politikerinnen und jüdische Frauen. Wegen Missbrauch beim Erwerb des Schweizer Bürgerrechts wurde Maria 1941 die Schweizer Staatsangehörigkeit mitsamt aller Privilegien – wie der Arbeitserlaubnis - wieder entzogen.
Als nun Staatenlose konnte sie glücklicherweise nicht nach Deutschland ausgewiesen werden, sondern wurde zunächst in einem Lager in Leysin interniert. Hier griff sie wieder auf ihre Erfahrungen als Krankenschwester zurück und machte sich auf der Krankenstation nützlich. Anschließend kam sie in Flüchtlingslager in Sumiswald und auf dem Sonnenberg (Kriens), wo sie, geplagt von Hunger, Kälte und Ungewissheit, Garten- und Heizarbeiten übernahm. Nach 16 Monaten durfte sie schließlich zu ihrer Familie nach Zürich zurückkehren.
Autorin: Filiz Çakır
66 Heath View
London
N2 0QB
Vereinigtes Königreich
Als der Mann von Maria Hepners Schwester Leonie Cahn 1959 überraschend verstarb, zog sie zu Leonie in die Züricher Wohnung. Gemeinsam mit deren Tochter Käthe und dem Schwiegersohn unternahmen die betagten Damen 1963 eine Skandinavienreise. Auf einer Art Roadtrip – mit spartanischer Ausrüstung und Zelt – reisten sie durch Norwegen, Schweden und Dänemark und erlebten Abenteuer, die sie nachhaltig beeindruckten.
Zurück in Zürich übernahm Leonie die Haushaltspflichten und Maria gab wie bereits früher grafologischen Unterricht. Zudem widmete sie sich in Ruhe ihrem Werk „Schlüssel zur Kinderschrift. Einführung in den Hepner-Schreibtest zur Früherfassung kindlicher Reaktionsformen und seelischer Störungen“, in dem sie 1978 die Ergebnisse ihrer langjährigen grafologischen Tätigkeit publizierte.
Ein Jahr zuvor hatten die Zwillinge eher spontan entschieden, nach London in die Nähe von Leonies Tochter Eva zu ziehen. Diese lebt dort mit ihrer Familie und betrieb einen jüdischen Kindergarten. Maria hatte zu ihren Nichten in deren Kindertagen ein sehr enges Verhältnis, sie hatten ihr ihren lebenslangen Spitznamen „Meisi“ gegeben. Also hatten die Schwestern mit 81 Jahren noch einen letzten großen Umzug in ein fremdes Land gestemmt. Die „praktischen Hepners“ – wie sie schon als Kinder genannt wurden – lebten sich schnell ein und schätzten die ländliche Umgebung und die hilfsbereite Nachbar*innenschaft. Sie führten ein aktives Leben und verbrachten viel Zeit mit der Familie. Durch Sport, Gartenarbeit und Reisen blieben sie bis ins hohe Alter fit.
1986 verfasste Maria ihre Autobiografie „Erinnerungen einer Neunzigjährigen“, in der sie ihr bewegtes Leben festhielt. Quelle dafür war unter anderem der Familiennachlass der Familien Cahn/Hepner, den die Schwestern über all die Jahre bewahrt und von Berlin über Zürich nach London gebracht hatten.
Am 7. Dezember 1992 starb Maria Hepner mit 96 Jahren in London.
Autorin: Filiz Çakır
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