Paul Celan

„Ich habe nie eine Zeile gedichtet, die nichts mit meiner Existenz zu tun gehabt hätte.“
An diesem Zitat des Schriftstellers und Lyrikers Paul Celan wird deutlich, wie eng sein Werk mit seiner Biografie verwoben war. Als jüdischer, deutschsprachiger Dichter rumänischer Herkunft verarbeitete er in seinen Texten das Grauen der Shoah. Sein bekanntestes Gedicht Todesfuge ist vielfach gedruckt und adaptiert worden.

Als einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts lebte er in Paris – fern von Deutschland, schrieb aber dennoch auf Deutsch, um den Konflikt mit „dem Deutschen“ und „den Deutschen“ austragen zu können, wie es Petre Solomon, Schriftsteller und enger Freund Celans, ausdrückte.

Beruf
Schriftsteller, Lyriker
Bild
Geburtsdatum
23. November 1920
Geburtsort
Czernowitz
Gender
Mann
Literatur
Bachmann, Ingeborg u. Celan, Paul: Herzzeit. Briefwechsel, Berlin 2010.
Böttiger, Helmut: Wir sagen uns Dunkles, München 2017.
Böttiger, Helmut: Orte Paul Celans, Wien 1996.
Colin, Amy-Diana u. Silbermann, Edith: Paul Celan - Edith Silbermann, München 2010.
Emmerich, Wolfgang: Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen, Göttingen 2020.
May, Markus et al. (Hg.): Celan Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, 2. Aufl., Stuttgart 2012.
https://www.cairn.info/revue-etudes-germaniques-2014-4-page-595.htm# (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.wikiwand.com/de/Paul_Celan (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Paul_Celan (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.derstandard.de/story/2000116935780/es-ist-zeit-dass-es-zeit-ist (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20011113_OTS0131/juedisches-museum-paul-celan-in-wien-194748 (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.jmberlin.de/unsere-museumsgaerten (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.suhrkamp.de/paul-celan/100-geburtstag_1580.html (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.cicero.de/kultur/vom-werden-eines-dichters/45799 (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/sonntagsstudio/Sonntagsstudio,sendung1023462.html (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.deutschlandfunk.de/ich-habe-ihn-mehr-geliebt-als-mein-leben.700.de.html?dram:article_id=83739 (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/celan-paul.html (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://www.bukowina-portal.de/de/ct/297-J%C3%BCdisches-Ghetto (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://pharma.univ-tours.fr/version-francaise/la-faculte/un-peu-dhistoire (letzter Zugriff am 18.11.20)
https://literaturkritik.de/id/14759 (letzter Zugriff am 18.11.20)
Sonstiger Name
Paul Antschel, Paul Ancel
Stationen
Titel
Aufwachsen in Czernowitz
Adresse

3 Saksahans'koho St
Czernowitz
Chernivets'ka oblast
58000
Ukraine

Adressbeschreibung
Die Straße hieß ursprünglich Wassilko-Gasse.
Geo Position
48.288273, 25.941859
Stationsbeschreibung

Seit 1919 stand das in der Bukowina gelegene Czernowitz unter rumänischer Herrschaft. Für gewöhnlich sprach man in der multikulturellen Stadt neben Rumänisch auch Ukrainisch, Jiddisch und Deutsch. Es hatte sich ein eigener deutscher Dialekt herausgebildet, der allerdings nicht von allen angenommen wurde. So wurde in der Familie Antschel reines Hochdeutsch gepflegt. Leo Antschel und seine Frau Fritzi lebten von seiner Arbeit als Bautechniker und Holzhändler. Am 23. November 1920 kam der einzige Sohn des Paares zur Welt. Gemeinsam mit seinen Eltern und Großeltern väterlicherseits bewohnte Paul Antschel in der Wassilkogasse 3 die drei Zimmer des Erdgeschosses, an das sich ein kleiner Garten anschloss. Das Gebäude mit der Nummer 5 wurde in den 1990er Jahren von der Stadt renoviert. Später identifizierte eine Cousine das Haus daneben als das frühere Wohnhaus der Familie.

Der Vater fühlte sich dem religiösen Zionismus verpflichtet, während die Mutter großen Wert auf eine bürgerliche Erziehung mit deutsch-österreichischen Bildungsidealen legte. Sie ließen den jungen Paul zunächst eine deutsche Schule besuchen, schickten ihn dann aber aus finanziellen Gründen und weil der Vater eine hebräischsprachige Volksschule bevorzugte auf die Ssafa-Iwrija. Paul setzte den Hebräischunterricht bis zu seiner Bar-Mizwa im Dezember 1933 fort und begann daraufhin, sich von der Denkweise seines Vaters zu entfernen. In der Schule lernte er Rumänisch, Französisch, Italienisch, Latein und Altgriechisch und las die Klassiker deutscher Literatur. Mit 18 bestand er die Matura.

Im Vorjahr hatte er Edith Horowitz kennengelernt, deren Vater Germanist war. In seiner Bibliothek verbrachte der Heranwachsende viele Stunden und lernte die Werke von Georg Heym, Georg Trakl sowie Stefan George kennen. Paul Antschel wurde ein Freund der Familie. Bereits aus seiner frühen Jugend ist bekannt, dass eine Freundschaft mit ihm bedeutete, sich auszutauschen und miteinander viel zu sprechen. Kinderspiele interessierten ihn nur wenig. In Lesezirkeln sprach er mit Freund*innen über die Weltliteratur sowie sozialistische Werke. Seine eigenen Gedichte spielten hier noch keine Rolle.

Titel
Studium in Tours und Beginn des Krieges
Adresse

10 Boulevard Tonnellé
37000 Tours 1
Frankreich

Geo Position
47.385959, 0.66818
Stationsbeschreibung

Auf den Wunsch seiner Eltern hin begann Antschel ein Medizinstudium. Bedenken des Vaters, in Tours zu studieren sei zu gefährlich, konnten Mutter und Sohn besänftigen. Am 9. November 1938, dem Tag der Reichspogromnacht, reiste er über Nazideutschland unter dem Schutz der rumänischen Staatsbürgerschaft nach Frankreich. Wann genau sein Zug in Berlin einfuhr und ob er den Rauch der brennenden Synagogen gesehen habe, ist umstritten. Jedenfalls nahm er das Studium an der École de Plein Exercice de Médecine et de Pharmacie auf. Die Provinzstadt Tours war kostengünstiger als Paris und nach Meinung der Eltern sollte ihm das Medizinstudium ein erfolgreiches Leben sichern.

Er schloss sein erstes Studienjahr erfolgreich mit den Examen in Physik, Chemie und Biologie ab. Mit dem Vorhaben, nach der vorlesungsfreien Zeit nach Tours zurückzukehren, reiste Antschel im Juni 1939 zu seinen Eltern nach Czernowitz. Doch machte der Beginn des Zweiten Weltkrieges seine Pläne unmöglich. Er musste um die Zusendung seiner Unterlagen aus Tours bitten. Das Medizinstudium in Czernowitz fortzusetzen, verhinderte allerdings der für Jüdinnen*Juden eingerichtete Numerus Clausus. So immatrikulierte Antschel sich für Romanistik mit dem Schwerpunkt auf Französisch.

Bis zum Einmarsch der Roten Armee Ende Juni des darauffolgenden Jahres war die Zeit von politischer Ungewissheit geprägt. Die dennoch ruhige Lage und die Unvorstellbarkeit von dem, was noch geschehen würde, veranlassten die Antschels dazu, in ihrer Heimatstadt zu bleiben. Sie verfolgten keine Ausreisepläne. Als im Sommer die sowjetischen Truppen kamen, eignete sich Paul Antschel Russisch an und arbeitete als Dolmetscher. An der russisch-ukrainischen Universität belegte er fortan russische Sprache sowie Literatur.

Titel
Zwangsarbeit und Tod der Eltern
Adresse

Chernivtsi
Czernowitz
Chernivets'ka oblast
58000
Ukraine

Geo Position
48.296238, 25.938427
Stationsbeschreibung

Von den Sowjets als Klassenfeinde betrachtet, wurden 4000 Czernowitzer*innen nach Sibirien deportiert – zwei Drittel von ihnen waren Jüdinnen*Juden. Kurz darauf, am 5. Juli 1941, besetzte das faschistische Rumänien die Stadt. Die zweite Phase des Terrors begann mit der Errichtung des Ghettos und der Zerstörung der Synagogen unter Leitung der Einsatzgruppe D. Sie war eine Spezialeinheit bestehend aus Schutzstaffel sowie Sicherheitsdienst und wurde zur Durchsetzung der „Endlösung der Judenfrage“ eingesetzt.

Paul Antschel leistete während dieser Zeit Zwangsarbeit. An einem Wochenende wollte er seine Eltern davon überzeugen, ein Versteck zu suchen. Doch hörten sie nicht auf ihn und blieben in der Wohnung. Als Antschel am darauffolgenden Montag zu ihr zurückkehrte, fand er sie leerstehend. Nicht wissend, was genau mit seinen Eltern geschehen war, teilte man ihn zu einem eigens für jüdische Männer eingerichteten Arbeitsdienst ein. So entging er zwar der Deportation, war aber die folgenden eineinhalb Jahre fern der Heimat. „Fragte man Paul während eines Urlaubs in der Stadt, was er im Lager mache, antwortete er lakonisch: ‚Schaufeln!‘“ (Chalfen, S. 121)

Ende Herbst 1942 erreichte ihn die Nachricht vom Tod des Vaters. Im darauffolgenden Winter berichtete ihm ein geflüchteter Cousin, dass seine Mutter durch einen Genickschuss umgebracht worden war. Kaum vorstellbar ist das Ausmaß seiner Trauer – des Grauens, das er empfand, das fortan nur seine Lyrik zu verarbeiten vermochte.

Als im Februar 1944 die Arbeitslager aufgelöst wurden, kehrte Antschel mit überlebenden Verwandten in die elterliche Wohnung zurück. Er begann bald darauf, Anglistik zu studieren, lernte die Dichterin Rose Ausländer kennen und bereitete eine erste Veröffentlichung vor, zu der es jedoch zunächst nicht kommen sollte.

Titel
Celan in Bukarest und Veröffentlichung der Todesfuge
Adresse

Strada Roma Nr. 74bis
Bukarest
Rumänien

Geo Position
44.457608, 26.093996
Stationsbeschreibung

Im Mai 1945 zog Antschel in die Strada Roma Nr. 74bis in Bukarest ein. An der Universität immatrikuliert, aber nicht wirklich studierend, nahm er eine Arbeit als Lektor und Übersetzer auf. Seine ersten eigenständigen Publikationen waren Übersetzungen vom Russischen ins Rumänische. Veröffentlicht wurden sie unter der rumänisierten Form seines Namens: Paul Ancel. In Bukarest verkehrte er in intellektuellen Kreisen und war im Austausch mit zahlreichen Schriftsteller*innen sowie Künstler*innen. Viel später, am 12. September 1962, erinnerte er sich in einem Brief an Petre Solomon: „Vor langer Zeit aber hatte ich Freunde, die Dichter waren. Das war zwischen 45 und 47 in Bukarest. Ich werde es niemals vergessen.“ Hier sang er wieder bei Festlichkeiten, oftmals sein Lieblingslied: Flandern in Not. Seine Jugendfreundin Edith Silbermann schrieb schon über die Czernowitzer Zeiten: „Gelegentlich wurde nicht nur diskutiert, sondern auch gesungen. […] Paul konnte sehr lustig und ausgelassen sein, aber seine Stimmung schlug oft jäh um, und dann wurde er entweder grüblerisch, in sich gekehrt oder ironisch, sarkastisch.“

Die Zeitschrift Contemporanul veröffentlichte im Mai 1947 die Todesfuge – damals noch in rumänischer Übersetzung, bei der ihm Solomon geholfen hatte. Drei weitere (deutsche) Gedichte konnte er in der Agora herausbringen. Für seine Lyrik wählte er nun das bekannte Anagramm Celan. Antschel nannte er sich nur noch im amtlichen Rahmen. Die Todesfuge thematisiert die Judenverfolgung im Nationalsozialismus und ist geprägt von der Zeit in Czernowitz: Dort „herrschte […] ein überhitzter, literarischer Austausch, in dem ein bestimmtes Metapherngeflecht […] entstand“, resümiert der Literaturkritiker Helmut Böttiger. So griff das Gedicht die Lyrik von Rose Ausländer, Immanuel Weißglas sowie Moses Rosenkranz auf. Es sollte Celans bekanntestes Werk werden.

Obwohl er in Bukarest überaus produktiv war, verließ er Rumänien. Die Ausrufung der Volksrepublik zog Verfolgungen Oppositioneller nach sich und die politische Situation verschärfte sich zunehmend. Als deutschsprachiger Lyriker hatte er hier keine Zukunft.

Titel
„Die Paulownia blüht“ - Zeit in Wien
Adresse

Rathausgasse 20
1010 Wien
Österreich

Adressbeschreibung
In der Literatur wird die Rathausgasse 20 angegeben, die mit der Rathausstraße 20 identisch zu sein scheint.
Geo Position
48.21286, 16.357155
Stationsbeschreibung

Der Weg, auf den Celan sich begab, war gefährlich: An der rumänisch-ungarischen Grenze wurden flüchtige Jüdinnen*Juden festgenommen oder gar erschossen. Fluchthelfer ermöglichtem ihm gegen Zahlung, nach Budapest zu kommen, von wo aus der damals 27-jährige nach Wien reiste. Die österreichische Hauptstadt erreichte er im Dezember 1947 nach einem wochenlangen Fußmarsch. Zunächst einige Tage im Rothschild-Spital untergekommen, bezog er ein Zimmer in der Pension Pohl. Sie befand sich zentral gelegen im 1. Wiener Gemeindebezirk, unweit des Rathauses.

Der junge Dichter bemühte sich umgehend um Arbeit und konnte über einen Freund Kontakt zu Otto Basil aufnehmen. Dessen Avantgardezeitschrift Plan veröffentlichte ohne langes Zögern einen Teil seiner Gedichte in der kommenden Januarausgabe. Ihre Büroräume befanden sich direkt über der Galerie Agathon. Hier, am Opernring 19, lernte Celan die Wiener Surrealist*innen kennen, hielt Lesungen und nahm im März 1948 sogar an einer Ausstellung teil. Eine Rezension der Österreichischen Zeitung zu seinem künstlerischen Debut fiel jedoch schlecht aus: „Über Paul Celans Abstecher (soll man die mit zwei Reißnägeln auf ein Blatt Papier genagelte Augenmaske als Werk bezeichnen?) wollen wir hinwegsehen.“

Im Kreis der Wiener Surrealist*innen angekommen, traf Celan im Mai auf Ingeborg Bachmann. Wie er war sie Dichterin und galt ab den 50er Jahren als eine der bedeutendsten Autorinnen des Jahrhunderts. Die beiden verbrachten nur sechs Wochen miteinander, denn Celan reiste weiter nach Paris. Es ist nur wenig aus dieser Zeit bekannt. Doch deutet der anschließende Briefwechsel auf ein Auf und Ab der Gefühle hin. So erinnert sich Bachmann: „Sei ganz ruhig, denk an den Stadtpark, denk an das Blatt, denk an den Garten in Wien, an unseren Baum, die Paulownia blüht.“ Wegen seines Vornamens fühlte sich Celan zu diesem Baum hingezogen. In einem Brief an ihre Eltern, schrieb Bachmann, dass sich Celan in sie verliebt habe und sie mit Mohnblumen überschüttete – der Pflanze, die für ihn ein zentrales Motiv war: „Wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis“, lautet ein Vers aus dem Gedicht Corona, das er seiner neuen Liebe widmete.

Titel
Erste Pariser Jahre im Hôtel d'Orléans
Adresse

31 Rue des Écoles
75005 Paris
Frankreich

Stationsbeschreibung

Mitte Juli 1948 traf Celan in Paris ein und wohnte die ersten Jahre im schlichten Hôtel d’Orléans. Bereits in Bukarest hatte er beschlossen, hier zu bleiben. Deutschland kam für ihn als Wohnort nicht in Frage. Warum er dennoch auf Deutsch schrieb, wurde in der Forschung oft diskutiert. Vorrangig gilt Celans Liebe zur deutschen Sprache und Literatur als Grund dafür.

Erneut immatrikulierte er sich an einer Universität: Diesmal für Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft. Das Studium schloss er nach zwei Jahren ab. Wenige Monate nach seiner Ankunft erschien in Wien der Band Der Sand aus den Urnen, dessen Gedichte in Bukarest entstanden waren. Zunächst war er in Paris aber noch unbekannt. Seine Einsamkeit drückte er in einem Brief an Max Rychner im März 1949 aus: „[...] daß ich sehr einsam bin, und mir keinen Rat weiß mitten in dieser wunderbaren Stadt, in der ich nichts habe als das Laub der Platanen“. Sein Leben spielte sich im studentischen Milieu des Quartier Latin ab, finanziert durch ein Stipendium und kleinere Nebentätigkeiten als Übersetzer.

Noch im selben Jahr freundete er sich mit dem Ehepaar Goll an. Yvan Goll war an Leukämie erkrankt und Celan besuchte ihn oft am Krankenbett. Für ihn fertigte er Übersetzungen an, auch noch nach seinem Tod im Februar 1950. Seine Witwe Claire Goll dankte Celan und anderen jungen Dichtern, die ihrem Mann noch beigestanden hatten. Dass sie Celan später vorwarf, er habe bei ihrem Mann abgeschrieben, und ihn dabei öffentlich denunzierte, hatte er nicht ahnen können.

In Paris besuchte ihn auch Ingeborg Bachmann, mit der er erneut eine Liebesbeziehung einging. Doch wollte die Verbindung nicht gelingen, weil „wir aus unbekannten, dämonischen Gründen uns gegenseitig die Luft wegnehmen“, wie Bachmann an Hans Weigel schrieb. Nur wenig später lernte Celan die Französin Gisèle Lestrange kennen, die aus einem alten französischen Adelsgeschlecht stammte. Sie war streng katholisch erzogen worden und sprach kein Deutsch. Zeitgenoss*innen beschrieben sie als „eine souveräne, selbstbestimmte, von Vorurteilen freie Frau“ (Emmerich, S. 74). Celan selbst nannte sie liebevoll „Fräulein Seltsam“.

Titel
Die Gruppe 47
Adresse

78 Rue de Longchamps
75016 Paris
Frankreich

Geo Position
48.865429, 2.284532
Stationsbeschreibung

Das Paar heiratete am 23. Dezember 1952 in Paris. Lestranges Familie hatte zuvor erheblichen Widerstand geleistet. Doch war es der Rückzug ihrer Mutter in ein Kloster und das damit verbundene Erbe, das die wirtschaftliche Zukunft des Paares zwei Jahre später sicherstellte. 

Im Jahr der Heirat reiste Celan auch erstmals in die Bundesrepublik, von der er sich sonst ferngehalten hatte. Unter Konrad Adenauer wirkte der Faschismus unterirdisch weiter, in der Öffentlichkeit verdrängte man ihn. Diese Beobachtung war für Celan zentral und sie hatte Einfluss auf den Umgang mit seinem Jüdischsein sowie dem Tod seiner Eltern. Bei einer Tagung der Gruppe 47, zu der der deutsche Schriftsteller Hans Werner Richter seit 1947 einlud, las Celan vor. In einem Brief an seine Frau in spe schrieb er danach: „Ich habe ein gutes Drittel der deutschen Schriftsteller kennengelernt. […] Doch unter diesen findet man eine große Zahl Ungebildeter, Aufschneider und Halbversager, und sie haben es nicht versäumt, mich aufs Korn zu nehmen.“ Celans pathetische Vortragsweise stieß in der Gruppe auf Widerstand: „Der liest ja wie Goebbels!“, äußerte sich Richter. Dass das Pathos des Dichters in diese Ecke gedrängt wurde, hatte mit der Verdrängung des Nationalsozialismus zu tun. Die Mitglieder der Gruppe 47 stammten meist aus kleinbürgerlichem Milieu, waren in der Hitlerjugend gewesen und hatten ihre Vergangenheit nie aufgearbeitet.

Doch war Celans Deutschlandaufenthalt nicht gänzlich von Ablehnung überschattet. In Stuttgart unterschrieb er einen Vertrag und konnte Mohn und Gedächtnis veröffentlichen. Zurück in Paris setzte sich das Kennenlernen deutscher sowie auch französischer Schriftstellerkolleg*innen fort (darunter Wolfgang Bächler und Günter Grass). 1955 kam Sohn Eric zur Welt. François war zwei Jahre zuvor geboren worden, verstarb aber kurz darauf. Auf das neue Familienglück folgte das Erscheinen des Bands Von Schwelle zu Schwelle sowie die Einbürgerung als französischer Staatsbürger. Zu dieser Zeit war sein Beziehungsnetz gut entwickelt und er wurde sowohl von Verleger*innen als auch Kritiker*innen geachtet.

Titel
Spätwerk und Depression
Adresse

6 Avenue Emile Zola
75015 Paris
Frankreich

Geo Position
48.846024, 2.278481
Medien
Stationsbeschreibung

Die Wiederaufnahme der Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann sorgte für die erste Krise in Celans Ehe. Daraufhin beendete er die Liaison mit Bachmann und ging mit der Familie auf eine längere Reise. Celan arbeitete mittlerweile auch als Lektor an der École normale supérieure Saint-Cloud, hatte aber keine feste Anstellung inne. Der Gedichtband Sprachgitter erschien Ende der 50er Jahre und Die Niemandsrose 1963. Sie wurden einerseits euphorisch gelobt, stießen andernorts aber auf völliges Unverständnis. Der Dichter bezog sich in seiner Lyrik nun deutlicher auf das Judentum sowie auf die Schrecken der Shoah. Dies wurde nicht nur gelobt. Kritiker*innen warfen ihm vor, sich unzulässigerweise an der Katastrophe zu bedienen. Hinter der Kritik an seiner literarischen Auseinandersetzung mit der Shoah vermutete Celan antisemitische Motive – „empfindlich, aber keineswegs überempfindlich“ (May, S. 26).

Verstärkte Anschuldigungen in der Goll-Affäre ließen Celan darüber nachdenken, seine Tätigkeit als Lektor aufzugeben und Paris zu verlassen, wozu es allerdings nicht kam. Im Herbst 1961 erlitt er eine erste Depression, die im Folgejahr stationär behandelt werden musste. Bis zu seinem Tod plagte sie ihn immer wieder. Erstaunlicherweise wurde seine Produktivität davon nicht eingeschränkt: Celan schrieb mehrere Gedichte, die später im Zyklus Atemkristall erschienen. Gisèle Lestrange veröffentlichte darin acht Radierungen.

Ihre Ehe mit Paul Celan wurde von dessen immer wiederkehrenden Depressionen stark belastet. Im November 1965 eskalierte ein Streit und Celan versuchte, seine Frau mit einem Messer zu töten. Sie konnte mit dem Sohn zu den Nachbarn fliehen und Celan begab sich erneut in stationäre Behandlung. Mit einer Unterbrechung von mehreren Monaten nahm er diese 1967 wieder auf, nachdem er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Auf Bitten von Lestrange bezog Celan eine eigene Wohnung in der 24 Rue Tournefort. Durch die Übersetzung seiner Gedichte ins Französische wurde sein Werk nun auch in Frankreich verstärkt wahrgenommen. Eine besondere Rolle spielte dabei die Zeitschrift L’Éphémère. In Deutschland folgten ebenfalls weitere Veröffentlichungen.

Nach seiner Israel-Reise im Oktober 1969 erkannte Celan trotz erfolgreicher Lesungen, dass er auch dort ein Fremder war. Unter schweren Depressionen leidend stürzte er sich in der Nacht vom 19. zum 20. April 1970 vermutlich von der Pont Mirabeau in die Seine. Seine Leiche fand man Tage später zehn Kilometer stromabwärts.

Titel
Celans Rezeption
Adresse

Lindenstraße 9-14
10969 Berlin
Deutschland

Geo Position
52.501787, 13.395194
Stationsbeschreibung

Wie ein roter Faden zieht sich in Celans Frühwerk seine Czernowitzer Herkunft durch. Auf der Suche nach einem eigenen Stil ist es beeinflusst von seiner Jugend, der Zwangsarbeit in den rumänischen Lagern und den Aufenthalten in Bukarest sowie Wien. Sein späteres Werk gilt als eines der bedeutendsten und einflussreichsten des 20. Jahrhunderts. Zentral war fortwährend die Beziehung zum Surrealismus, der nach dem Krieg in Frankreich seine Hochphase erreichte. Celan thematisierte das Judentum, die Fremde im Exil und das Grauen der Shoah. Seine jüdische Identität war anfangs nicht das Leitbild seiner literarischen Entwicklung, dennoch war sie präsent: Celan hatte Jiddisch gelernt und las es auch. In seinem Spätwerk – in Folge der tieferen Auseinandersetzung mit der Shoah – kam auch die zunehmende Orientierung an jüdischer Tradition.

Die Erforschung der Lyrik Paul Celans und seiner Person selbst hat in Deutschland sowie auch in Frankreich einen besonderen Stellenwert eingenommen. Gefüttert wurde die Rezeption dabei immer wieder von neu erschienenen Briefwechseln. Auch der Tod Gisèle Lestranges 1991 und der damit verbundene Verkauf des Nachlasses an das Literaturarchiv Marbach brachten neues Material an die Oberfläche, das es zu analysieren galt. Für Celans Schaffensphasen konnten dabei diverse Motive seiner Lyrik herausgearbeitet werden.

Die Rezeption geht über die Forschung hinaus
Die Gartenachitekt*innen Cornelia Müller und Jan Wehberg erfuhren im Gespräch mit dem Architekten Daniel Libeskind davon, wie sich dieser mit der Lyrik Celans für seinen Bau des Jüdischen Museums Berlin beschäftigt hatte. Sie beschlossen, eine Arbeit von Gisèle Lestrange in ihre Pläne einzubeziehen. Für Celans Texte im Gedichtband Atemkristall hatte seine Frau die Grafiken gestaltet. So wurde eines der Werke Vorlage für ein Bodenrelief aus Naturstein. Der Hof ist nach Paul Celan benannt. Dahinter befindet sich der Garten des Exils, an dessen Rand eine Paulownia gepflanzt wurde, zu Ehren des Dichters.

Sterbedatum
20. April 1970
Sterbeort
Paris

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Autor
Constantin Köhler
Epoche universalgeschichtlich