Die Messe- und Universitätsstadt Erfurt, an der Gera im südlichen Teil des Thüringer Beckens gelegen, ist heute mit ihren gut 214.000 Einwohner*innen die größte Stadt im Freistaat Thüringen und zugleich Landeshauptstadt. Im Jahr 741/42 bei Gründung des Bistums erstmals urkundlich erwähnt, entwickelte sich Erfurt ab dem 13. Jahrhundert, dank seiner zentralen Lage und des Waidanbaus, zur florierenden Handels- und Handwerkerstadt sowie zu einem europäischen Bildungszentrum. 1331 erhielt Erfurt das Messeprivileg, 1392 öffnete die Universität. Die Ansiedlung jüdischer Kaufleute fällt – nach den Bauuntersuchungen an der Alten Synagoge – in die Zeit vor 1100. Als erster sicherer Beleg gilt der „Erfurter Judeneid“ (vor 1200) bzw. die Verleihung des „Judenschutzes“ an den Erzbischof von Mainz (1212). Mit dem Pestpogrom 1349 wurde die erste Gemeinde vernichtet, doch schon 1354 ließen sich wieder jüdische Familien nieder. Auch der zweiten Gemeinde wurde 1453/54 der Schutz entzogen. Eine neuzeitliche Gemeinde konnte sich erst nach 1800 etablieren. Sie wuchs auf rund 1.300 Mitglieder an – bis zu ihrem Ende unter nationalsozialistischer Herrschaft. Trotz hoffnungsvollen Neubeginns nach 1945 schrumpfte die Jüdische Landesgemeinde Thüringen bis 1989 auf 26 Personen, zählt jedoch heute – dank der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion – wieder rund 700 Mitglieder [Stand: 2018]. Auch die Stadt Erfurt entdeckte nach 1988/90, parallel zur Sanierung der Altstadt, ihr umfangreiches (mittelalterliches) jüdisches Erbe wieder. Im Rahmen des Netzwerkes Jüdisches Leben Erfurt wurden einige Orte sogar touristisch erschlossen…
Domplatz 23
99084 Erfurt
Deutschland
Domplatz 23
99084 Erfurt
Deutschland
Ausgestattet mit bischöflichem Schutzbrief, dürften jüdische Familien schon vor 1100 in Erfurt gelebt haben. Davon zeugen der älteste Friedhof am Moritztor und die Alte Synagoge samt Mikwe.
Als erster schriftlicher Beleg gilt der „Erfurter Judeneid“ aus der Amtszeit des Mainzer Erzbischofs Konrad I. (1183-1200). Wie brüchig der gewährte Schutz jedoch sein konnte, zeigt das Pestpogrom der Erfurter Bürgerschaft von 1349, bei dem die erste jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde. Zweimal noch sollte über die jüdische Bevölkerung Erfurts solch eine Katastrophe hereinbrechen: mit den Vertreibungen von 1453/54 und mit dem nationalsozialistischen Terror. Vor dem Haus Domplatz 23 erinnert seit 2009 eine der Erfurter DenkNadeln an Günther Max Beer (geb. 1938). Seine Mutter Irma und die Großeltern Gitta und Siegmund Klaar wohnten bis 1942 hier im zweiten Stock zur Untermiete bei den Schwestern Cäcilie und Henriette Satonower. Der Vater Kurt Beer war bereits in den Niederlanden, konnte seine Familie jedoch nicht mehr nachholen. Am 1. Mai feierte Günther in Erfurt noch seinen vierten Geburtstag – am 9. Mai wurden alle über Weimar ins Ghetto Bełżyce deportiert, im September nach Majdanek. Niemand von ihnen kehrte zurück.
Große Arche 17
99084 Erfurt
Deutschland
Unweit des alten Waidspeichers liegt das Haus Große Arche 17. Einst von einem Saflorhändler erworben, war es 1939 in jüdischem Besitz – und blieb dies auch nach Erlass des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“. 1941 wurde es auf Anordnung von Oberbürgermeister Walter Kießling in eines der Erfurter „Judenhäuser“ umgewandelt. Bis zum Beginn der Deportationen 1942 mussten hier mehrere Familien auf engstem Raum zusammenleben. Ein Hinweis vor Ort fehlt bis heute…
Benediktsplatz 1
99084 Erfurt
Deutschland
Im Keller des „Steinernen Hauses“ am Benediktsplatz stapeln sich die Funde vom ältesten jüdischen Friedhof am Erfurter Moritztor. Das Areal des Friedhofs wurde nach 1453/54 eingeebnet, die Steine verbaut…
Von der Großen Arche sind es nur wenige Schritte zur Marktstraße, die einst Teil der Handelsroute „Via Regia“ war. Sie endet am Fischmarkt, dem mittelalterlichen Stadtzentrum, wo sich neben einigen prächtigen Bürgerhäusern (nach 1550) auch das Erfurter Rathaus (1869-82) findet. Gleich dahinter, zur Gera hin, lag das alte „Judenviertel“ mit beiden Synagogen und der Mikwe bis zur Vertreibung der zweiten jüdischen Gemeinde 1453/54. Auch das Steinerne Haus am Benediktsplatz 1, um 1250 erbaut und heute Sitz der Erfurt Tourist Information, war bereits um 1300 in jüdischem Besitz. Über die Tordurchfahrt gelangt man zu einem Schaudepot im Keller, in dem seit 2018 die erhaltenen Grabsteine vom mittelalterlichen jüdischen Friedhof aufbewahrt werden. Dieser war vermutlich schon vor 1200 am Moritztor im Nordwesten, südlich der heutigen Großen Ackerhofsgasse / Ecke Moritzstraße, angelegt worden. Nach 1453/54 wurde das Areal vollständig eingeebnet und mit der städtischen Scheune, ab 1465 dann mit dem Kornhofspeicher bebaut. Die Grabsteine wurden als Baumaterial zweckentfremdet. Wie schon bei Abbruch der Stadtbefestigung ab 1873, so kamen auch bei der Altstadtsanierung nach 1988/90 wieder diverse Fragmente zum Vorschein. Die beiden ältesten Grabsteine datieren auf die Jahre 1244 und 1245. Das Schaudepot ist bislang nur im Rahmen einer Führung zugänglich.
Waagegasse 8
99084 Erfurt
Deutschland
Die Alte Synagoge Erfurt zeugt von der Präsenz einer jüdischen Gemeinde seit dem 11. Jahrhundert. 1349 wurde sie völlig ausgelöscht. Das Gebäude blieb erhalten. Erst nach 1988 wurde es wiederentdeckt…
Vom Steinernen Haus am Benediktsplatz sind es nur wenige Schritte entlang der Michaelisstraße zur Alten Synagoge Erfurt. Sie ist heute ein Highlight jeder Tour durch die Erfurter Altstadt. Zudem ist sie die älteste „vom Keller bis zum Dach“ erhaltene Synagoge Mitteleuropas. Bis zum Pestpogrom vom 21. März 1349 schlug hier das Herz der ersten jüdischen Gemeinde. Danach wurde das Gebäude mehrfach umgebaut und als Lager- bzw. Gasthaus genutzt, zuletzt als Kegelbahn und Ballsaal. Im Vorderhaus (Michaelisstraße 3-4) findet sich bis heute ein „Altthüringer“ Lokal. Die ursprüngliche Funktion des Hinterhauses wurde erst bei der Sanierung nach 1988/90 wiederentdeckt. Seit 2009 beherbergt es nun ein städtisches Museum. Das Erdgeschoss informiert zur Baugeschichte: Tatsächlich lassen die ältesten Teile der Westfassade auf eine erste Synagoge vor 1100 – also lange vor dem „Erfurter Judeneid“ – schließen. An gleicher Stelle entstanden zwei Nachfolgebauten bis die Gemeinde 1349 völlig ausgelöscht wurde. Kurz zuvor müssen im Haus Michaelisstraße 43 Hunderte von Münzen, Silberbarren und Schmuck, darunter auch ein wunderschöner Trauring, versteckt worden sein. 1998 entdeckt, ist der „Erfurter Schatz“ heute im Keller der Alten Synagoge Erfurt zu sehen. Das Obergeschoss ist den 15 „Erfurter Hebräischen Handschriften“ gewidmet. Sie zeugen von der einstigen Bedeutung der Erfurter Gemeinde. Die Originale lagern heute in der Staatsbibliothek zu Berlin.
Kreuzgasse 11
99084 Erfurt
Deutschland
„Inter Iudeos – Unter den Juden“
Im „Kreuzsand“ am Ufer der Gera lebten jüdische und christliche Familien Tür an Tür – bis zur Vertreibung 1453/54. Fünf Jahrhunderte später konnte dort ab 2007 die mittelalterliche Mikwe ausgegraben werden.
Nur wenige Schritte von der Alten Synagoge entfernt, in der heutigen Kreuzgasse, findet sich ein weiterer Mosaikstein im touristischen Netzwerk Jüdisches Leben Erfurt: die Mikwe (Ritualbad) der jüdischen Gemeinde aus dem 12./13. Jahrhundert. Erst 2007/08 wurde sie hier, am Westufer der Gera, bei Ausgrabungen wiederentdeckt und ab 2011, geschützt durch eine von oben jederzeit einsehbare Umbauung, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Führungen im Innern werden wöchentlich angeboten. Schriftliche Erwähnung fand die Erfurter Mikwe erstmals 1248/49, archäologische Untersuchungen der Südwand (zur Krämerbrücke hin) deuten jedoch auf einen ersten Bau vor 1200 hin, der danach erweitert wurde (Grundfläche: ca. 3 x 9 Meter). Das Tauchbecken lag entlang der kürzeren Ostwand (zur Gera hin) und wurde durch Grund- und Flusswasser gespeist. Licht kam durch eine Nische in der Nordwand, der Eingang befand sich im Westen, zur Kreuzgasse hin. Von dort gelangte man auf direktem Wege zur Alten Synagoge. Bereits vor dem Pestpogrom 1349 war das dicht bebaute Wohngebiet als „Inter Iudeos“ („unter den Juden“) bekannt, und auch nach Wiederansiedlung 1354 lebten hier jüdische und christliche Familien Tür an Tür. Die Mikwe wurde noch bis zur Vertreibung von 1453/54 genutzt, danach verfüllt und als Keller zweckentfremdet. Nach dem verheerenden Stadtbrand 1472 diente der westliche Teil des Areals sogar als Friedhof der nahen Benediktikirche. Die Häuserfront zur Gera hin wurde schließlich 1944/45 abgerissen und der Kreuzsand 1960 zur Grünanlage umgestaltet. Die jüdische Geschichte blieb darunter begraben…
An der Stadtmünze 5
99084 Erfurt
Deutschland
„[…] ein schöner, deutscher Choral, das Gebet für König und Vaterland, eine Weiharie, […] vom Chore mit Posaunen trefflichst exekutirt.“ (Pressebericht zur Einweihung am 10. Juli 1840)
Hinter dem Erfurter Rathaus stand bis 1453/54 die zweite mittelalterliche Synagoge. Schräg gegenüber, am Ufer der Gera, wurde 1840 die „Kleine Synagoge“ eingeweiht – heute eine Begegnungsstätte. Über Benediktsplatz und Rathausgasse gelangt man zur verwinkelten Altstadtgasse „An der Stadtmünze“. Ihr einstiger Name „An der Judenschule“, 1939 per Ratsbeschluss aus dem Erfurter Straßenverzeichnis getilgt, verwies auf die mittelalterliche Synagoge von 1357. Sie war der zweiten jüdischen Gemeinde bei Wiederansiedlung (ab 1354) hinter dem Rathaus – samt eigenen Reihenmietshäusern – zur Verfügung gestellt worden. Nach den Vertreibungen von 1453/54 zum Zeughaus umgewandelt, brannte das Gebäude 1736 nieder. Der alte Standort, links neben dem „Haus zur Narrenschelle“ (Nr. 13), ist heute mit Garagen überbaut. Der Schlussstein fand sich 2012, archäologische Grabungen stehen noch aus. In unmittelbarer Nähe kam ab 1806, nach über 350 Jahren der Abwesenheit, auch die dritte jüdische Gemeinde Erfurts in einem kleinen Betsaal im „Haus zur Weinkrause“ (Nr. 5) zusammen. 1823 ließ der Gemeindevorsitzende Dr. Ephraim Salomon Unger [sein Vater hatte 1810 als erster das städtische Bürgerrecht erhalten] das Haus erwerben und samt Mikwe und Gemeindewohnungen ausbauen. Wegen Baufälligkeit entschied man sich 1838 für einen Neubau an gleicher Stelle: Am 10. Juli 1840 konnte die Kleine Synagoge durch den Magdeburger Rabbiner Ludwig Philippson eingeweiht werden. Die Allgemeine Zeitung des Judenthums berichtete. Die Gemeinde wuchs weiter, und so wurden die Torarollen 1884 in die Große Synagoge am Kartäuserring überführt. Das alte Gebäude verkaufte man 1885 an den Erfurter Destillateur Carl Römpler, der es zur Produktion und Lagerung von Essenzen und Spirituosen nutze. Ab 1918 ließ die Stadt Wohnungen einbauen… Erst um 1988 wurde die einstige Synagoge wiederentdeckt, 1992 unter Denkmalschutz gestellt und bis 1998 im Rahmen des Netzwerkes Jüdisches Leben Erfurt zur Begegnungsstätte ausgebaut.
Anger 30/32
99084 Erfurt
Deutschland
„Keine Zuflucht, nirgends.“
Am Anger 30-32 fand die jüdische Gemeinde 1945 ein neues Zuhause. Gegenüber erinnert eine der Erfurter DenkNadeln an die Familie Dublon. 1939 floh sie mit der „St. Louis“ nach Kuba, und musste später jedoch umkehren…
Auf halbem Wege von der Kleinen zur Großen Synagoge gelangt man zum Anger, Erfurts Hauptgeschäftsstraße. Einst Gemeindeweide, wurden hier schon im Mittelalter Wolle, Weizen, Waid und Wein gehandelt. Ab dem 19. Jahrhundert kamen die Geschäftslokale jüdischer Kaufleute hinzu, so auch das von Isaak Lamm (Anger 54), dem Begründer der Erfurter Konfektionsbranche. Am Anger 46 hatte die Schuhhandelsfirma Dublon (gegr. 1898) ihren Sitz. Zu ihr gehörte auch das Schuhhaus Salamander schräg gegenüber (Anger 27). Seit 2012 erinnert eine der Erfurter DenkNadeln an die Familie: die Brüder Erich (1890-1942) und Wilhelm Dublon (1889-1944?), dessen Frau Erna geb. Beermann (1903-44?) und die Töchter Lore (1927) und Eva (1933). 1938 wurde der Firma die Handelskonzession entzogen. Eine Emigration in die USA scheiterte, also entschieden sich die Dublons für Kuba. Am 13. Mai 1939 gingen auch sie in Hamburg an Bord der „St. Louis“, mit insgesamt 937 Flüchtlingen. Erich führte Tagebuch. In der Bucht von Havanna wurden sie abgewiesen, und so endete die „Irrfahrt der St. Louis“ via Florida wieder in Europa. Die Dublons fanden Aufnahme in Belgien, gerieten dort jedoch in die Fänge der Gestapo. 1942 wurde Erich von Mechelen nach Auschwitz deportiert, 1944 auch Wilhelm, Erna, Lore und Eva. Sie alle wurden ermordet. – Im Juni 1945 kehrten nur 15 frühere Gemeindemitglieder nach Erfurt zurück. Im Geschäftshaus Anger 30/32 konnte ein erster Betsaal eingerichtet werden. Die Gemeinde wuchs zunächst, jedoch angesichts neuer antisemitischer Tendenzen 1952/53 entschlossen sich die meisten einmal mehr zur Emigration…
Juri-Gagarin-Ring 16
99084 Erfurt
Deutschland
„Pitchu-li Scha'arej Zedek – Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit“ (Psalm 118:19)
Am heutigen Juri-Gagarin-Ring wurde 1952 der erste und einzige Synagogenneubau der DDR eingeweiht. An gleicher Stelle war im Novemberpogrom 1938 die Große Synagoge niedergebrannt worden.
Vom Anger gelangt man über Neuwerk- und Eichenstraße zum Juri-Gagarin-Ring. Er markiert den alten Verlauf der „Wilden Gera“, südlich der mittelalterlichen Stadtmauer. Nach Bau des Flutgrabens wurde sie 1898 zugeschüttet und die Ringstraße angelegt. Plattenbauten prägen heute das Straßenbild. Am Juri-Gagarin-Ring 21, in der „Wohnscheibe C“ am Löbertor, findet sich das Kultur- und Bildungszentrum der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Nachdem vor 1990 fast deren Auflösung drohte, zählt sie aktuell wieder 700 Mitglieder [Stand: 2018]. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Familien aus der ehemaligen Sowjetunion. Die wöchentlichen Gottesdienste werden gegenüber in der Neuen Synagoge am Juri-Gagarin-Ring 16 gefeiert. An gleicher Stelle hatte die Erfurter Gemeinde am 4. September 1884 bereits die Große Synagoge eingeweiht, einen ausgeschmückten Kuppelbau im maurischen Stil, entworfen vom Frankfurter Architekten Siegfried Kusnitzky. Die neue Orgel war so umstritten, dass sich der orthodoxe Teil der Gemeinde in einem separaten Betsaal traf. Schon ab 1923 wurde die Synagoge wiederholt Ziel antisemitischer Angriffe bis sie im Novemberpogrom 1938 durch die SA ausgeplündert, verwüstet und niedergebrannt wurde. Die Kosten für die Zerstörung und Einzäunung musste die Gemeinde selbst tragen. 1939/40 errichtete die Stadt hier einen Kohleschuppen. Es war maßgeblich Max Cars, dem ersten Vorsitzenden der 1945 wiederbegründeten Gemeinde, zu verdanken, dass das Grundstück 1947 an die jüdische Gemeinde zurückgegeben wurde. Ein erster Entwurf des Architekten Willy Nöckel wurde als „zu sakral“ abgelehnt. Am 31. August 1952 konnte die Neue Synagoge am damaligen Mao-Tsetung-Ring schließlich eingeweiht werden. Sie sollte der erste und einzige Synagogenneubau in der DDR bleiben, denn schon kurz danach setzte (rund um den „Slánský-Prozess“ in Prag) eine massive Fluchtwelle ein. Zurück blieben das Gebäude und die kleine Erfurter Landesgemeinde, als einzige in Thüringen…
Cyriakstraße 2-3
99094 Erfurt
Deutschland
Von 1811-78 fanden die Toten der jüdischen Gemeinde zunächst an der Cyriakstraße ihre letzte Ruhe. 1926 wurde der „Alte Jüdische Friedhof“ erstmals geschändet. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt...
Wer noch Zeit und Lust hat, dem sei ein Besuch der beiden neuzeitlichen jüdischen Friedhöfe empfohlen. Der erste wurde 1811 an der heutigen Cyriakstraße angelegt. Zwischen Haus 3 und 4 führt dort ein Fußweg bis zur Gera. Schnell wurde das Areal zu klein, jedoch konnte erst 1878, nach diversen Widerständen, ein zweiter Begräbnisplatz im Süden der Stadt eröffnet werden. Auch der alte Friedhof blieb vielen ein Dorn im Auge. Nationales wie internationales Aufsehen erregte die brutale Friedhofsschändung von 1926: In der Nacht vom 12. auf den 13. März zerstörten drei Mitglieder des „Wikingbundes“ 95 von 130 noch erhaltenen Grabsteinen. Die Täter wurden gefasst und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, und ihre Namen und Adressen in der Presse veröffentlicht. Im November 1938 folgte die zweite große Schändung – diesmal ohne juristische Konsequenzen. Während des NS-Terrors musste das Areal 1939 an die Stadt abgetreten werden, 1944 wurden die Grabsteine abgeräumt. Nach der Restitution 1948 ging das Grundstück 1951 erneut an die Stadt über, die es 1952 einebnen und Anfang der 1960er Jahre mit Garagen bebauen ließ. Noch 1989 protestierte die jüdische Gemeinde gegen die Verwendung einzelner Grabsteine als Fundament. 1996 wurde an der Cyriakstraße ein erster Gedenkstein gesetzt. Es folgte eine Diskussion um die Wiederherstellung des Friedhofes. Erst 2007-2009 wurde das Gelände beräumt, umzäunt und mit den 24 erhaltenen Grabsteinen neu gestaltet. Nicht weit entfernt, in der heutigen Straße des Friedens 13, findet sich eine der Erfurter DenkNadeln für Blondina Schüftan, die Witwe des Erfurter Rabbiners Max Schüftan. In ihrer Erdgeschosswohnung kam die Gemeinde nach dem Novemberpogrom 1938 zuletzt zusammen. Am 2. März 1943 wurde Dina nach Auschwitz deportiert.
Werner-Seelenbinder-Straße 3
99096 Erfurt
Deutschland
Nur gut fünf Jahrzehnte nach Anlage ihres ersten Friedhofes an der Cyriakstraße (1811) machte sich die wachsende Erfurter Gemeinde erneut auf die Suche: Östlich des Schützenhauses, an der heutigen Werner-Seelenbinder-Straße, konnte 1871 schließlich ein zweiter, größerer Begräbnisplatz erworben werden. Die Nutzung des Geländes stieß auf massiven Widerstand der Nachbarn, des Erfurter Bürgerschützenkorps. Erst nach Vorlage eines sanitätspolizeilichen Gutachtens, wonach keine „Vergiftung“ des Grundwassers zu befürchten sei, konnte der Neue Jüdische Friedhof am 10. September 1878 eingeweiht werden. Entlang einer zentralen Baumallee (bergauf Richtung Süden) wurden zunächst zwei Gräberfelder angelegt, auf denen auch zahlreiche Erfurter Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe fanden. Mitte der 1930er Jahre wurde ein drittes Feld Richtung Osten erschlossen. Richtung Westen wirkt der Friedhof eigentümlich verkürzt: 1939-42 wurde ein Teil des Areals, im Auftrag des Bürgerschützenkorps, mit der „Thüringenhalle“ bebaut. Am Ende der Hauptallee findet sich die Trauerhalle, 1894 von Hugo Hirsch im maurischen Stil errichtet. Im Novemberpogrom 1938 geschändet, wurde sie 1994, wie der gesamte Friedhof, unter Denkmalschutz gestellt und ab 1998 wiederhergestellt. Im Eingangsbereich erinnern zwei Namenstafeln an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Links Unterhalb der Treppe erinnert ein Gedenkstein von 1948 an die Opfer der Schoa. Östlich der Trauerhalle befanden sich bis 2009 zudem 28 Grabsteine, die vom zerstörten Friedhof an der Cyriakstraße gerettet werden konnten. Nach der Einwanderung vieler russischsprachiger Jüdinnen*Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wurde der Friedhof nach 1990 mehrfach Richtung Osten auf heute etwa 1,44 ha erweitert. Jedes einzelne der inzwischen über 900 Gräber erzählt dabei seine ganz eigene Geschichte…
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