Ob bereits im Mittelalter Juden*Jüdinnen in Ilmenau lebten, ist nicht vollständig belegt; vermutlich wohnten aber um 1428 Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt. Sicher belegt ist die Anwesenheit einiger Juden*Jüdinnen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. An sie erinnert das in der Mitte des 16. Jahrhunderts errichtete Judentor und die zum Markt führende, noch im frühen 19. Jahrhundert so genannte Judengasse. Erst nach 1870 siedelten sich wieder Juden*Jüdinnen in Ilmenau an und ab 1880 entstand eine jüdische Gemeinde mit eigenem Betsaal. Einen eigenen jüdischen Friedhof besass Ilmenau nicht; auch gibt es keine Spuren einer frühneuzeitlichen Mikwe. Zu hohen Feiertagen kam eine Rabbiner von auswärts; die Kinder erhielten Unterricht von einem Lehrer aus Arnstadt. Zahlreiche der um 1880 zugezogenen jüdischen Familien waren im Handel tätig. Einige Familien prägten mit der Errichtung von modernen Warenhäusern das Stadtbild entscheidend mit. Der Rundgang folgt dieser Chronologie: Er beginnt beim Marktplatz und endet am Wetzlarer Platz beim kürzlich renovierten Berliner Kaufhaus.
Weimarer Straße/Markstraße
98693 Ilmenau
Deutschland
Weimarer Straße/Marktstraße
98693 Ilmenau
Deutschland
Bis etwa 1860 hieß der vordere Abschnitt der Weimarer Straße bis zur Einmündung der Poststraße Judengasse; am Ende dieser Gasse stand das Judentor. Als die Straße zum neuen Bergwerk auf dem Mittelfeld verlängert und befestigt wurde, benannte man sie in Bergstraße und später in Weimarer Straße um. Die Bezeichnung Judengasse weist auf die frühe und vermutlich länger bestehende Ansiedlung von Juden*Jüdinnen hin; die schriftlichen Quellen dazu sind allerdings dürftig. Möglich, aber nicht vollständig belegt ist die Ansiedlung von Juden*Jüdinnen in der Stadt um 1428. Sicher dagegen wohnten und arbeiteten im 16. Jahrhundert Juden*Jüdinnen in Ilmenau. Allerdings waren es nur wenige Familien. Für 1543 ist ein Schutzbrief für Seligmann und – eine Rarität – für eine Frau Freudlein erhalten. Die wenigen Juden*Jüdinnen, die zwischen 1540 und 1560 erwähnt werden, standen in einem engen Verhältnis zum Grafen Poppo von Henneberg, dem sie Kredite verschafften, und von dem sie Schutzbriefe erhielten. Von der allgemeinen Ausweisung aller Juden*Jüdinnen aus dem Henneberger Herrschaftsgebiet, zu dem Ilmenau zählte, blieben 1555 die wenigen Familien in Ilmenau als Kreditgeber*innen anscheinend verschont. Auch im 17. Jahrhundert gab es wenige jüdische Ilmenauer*innen; sie gehörten zur jüdischen Gemeinde Arnstadt und besaßen keine eigene Synagoge. Für den anhaltenden Zuzug von Juden*Jüdinnen mag der Name des im 16.16. Jahrhundert errichteten Judentors sprechen.
Burggasse 4
98693 Ilmenau
Deutschland
Ein jüdischer Betraum ist in Ilmenau erst Ende des 19. Jahrhunderts belegt, da bis zu diesem Zeitpunkt die Anzahl der Gemeindemitglieder gering blieb. 1880 gab es acht jüdische Familien in der Stadt, 1895 wurden 52 jüdische Einwohner gezählt. Die Anzahl der Ilmenauer Juden*Jüdinnen wuchs bis 1910 auf 82. Im Jahr 1933 lebten 90 Juden*Jüdinnen in der Stadt – 60 von ihnen gelang die Flucht, vor allem in die USA und nach Südamerika. Die zum Ende des 19. Jahrhunderts zugezogenen jüdischen Familien eröffneten vielfach Geschäfte: Jacob Cohn aus Wollstein bei Posen gründete 1874 ein Leinen- und Weißwarengeschäft, der Uhrmacher Gustav Josman Grünthal handelte ab 1879 mit Gold- und Silberwaren. 1884 waren in Ilmenau vier jüdische Viehhändler tätig.
1894 richteten die jüdischen Familien einen Betsaal im Hintergebäude des Wohnhauses Burggasse 4 ein. Der Raum bot 40 bis 50 Personen Platz und bestand aus zwei Zimmern, zwischen denen die Trennwand beseitigt worden war. Im Toraschrank wurden zwei Torarollen aufbewahrt. Die feierliche Einweihung fand am 30. September 1894 statt. Über 44 Jahre bildete die Burgstraße 4 das Zentrum des jüdischen Gemeindelebens der Stadt. Zu den hohen Feiertagen reiste ein Rabbiner von auswärts an. Die Kinder erhielten von einem Lehrer aus Arnstadt Religionsunterricht; 1931/32 unterrichtete er vier jüdische Kinder. Als Gemeindevorsteher waren in den 1920er und 10930er Jahren die Kaufleute Siegmund Eichenbronner, Max Gabbe und Samuel Gronner tätig. Beim Novemberpogrom 1938 wurde der Betsaal geschändet und geplündert, die Inneneinrichtung und die Ritualien – Torarollen, Gebetsmäntel – auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt. Sechs jüdische Männer wurden verhaftet, zwei davon wurden über mehrere Wochen im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Kurz darauf wurde das ganze Hintergebäude Burggasse 4 als Wohnraum verwendet. Vermutlich wurde es zu einem „Judenhaus“, in dem die Ilmenauer Juden*Jüdinnen, die nicht auswandern konnten, zusammenleben mussten, nachdem sie aus ihren angestammten Wohnungen und Häusern durch das nationalsozialistische Regime vertrieben worden waren. Die noch in Ilmenau verbliebenen jüdischen Einwohner*innen wurden mit drei Deportationen 1942 und 1944 in die Ghettos und Vernichtungslager Belzyze, Theresienstadt und Ausschwitz verschleppt und ermordet.
Das Gebäude des ehemaligen Betsaales wurde auch nach 1945 als Wohngebäude benutzt und um 1987/88 wegen Baufälligkeit abgebrochen.
Straße des Friedens 24
98693 Ilmenau
Deutschland
Herta Levin aus Lauenburg (23. August1881-1943) eröffnete kurz vor dem Ersten Weltkrieg zusammen mit ihrer Schwester an der Straße des Friedens 24 ein Hutgeschäft. Arthur Israel Werschker (29. November1887-1943) kam kurz darauf als Schaufenster-Dekorateur in die Stadt. Die beiden verliebten sich und gründeten eine Familie. Ihre Tochter Felicitas (Fee) Werschker wurde am 19. Dezember 1916 in Weimar geboren, wuchs aber in Ilmenau auf. Fee blieb das einzige Kind der Familie und hatte eine enge Beziehung zu den Eltern. Sie war auch das einzige jüdische Mädchen in ihrem Alter in der Stadt. Nach der Grundschule besuchte sie das Gymnasium in Ilmenau. Die kleine jüdische Gemeinde Ilmenaus bestand in dieser Zeit aus 10-12 Familien, die untereinander befreundet waren. Sie lebten alle nicht sehr religiös. Nur zu hohen Feiertagen kam ein Rabbi von auswärts, und ab und zu kam ein jüdischer Lehrer aus einer anderen Stadt, um die Kinder zu unterrichten.
Der Vater war sehr patriotisch. Im Ersten Weltkrieg war er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Die Familie lebte und arbeitete wie die anderen christlichen Familien. Felicitas besuchte mit 16 Jahren wie alle anderen Mädchen die Tanzschule, wo sie auch das erste Mal jungen Männern begegnete. Der Abschlussball war das gesellschaftliche Ereignis der Stadt.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich die Atmosphäre. Anschaulich berichtet Felicitas in einem von der Shoa Foundation aufgezeichneten Interview über ihre Jugend und die beginnende Diskriminierung der jüdischen Bürger*innen: So wurde sie von Schulveranstaltungen ausgeschlossen, und ihre Freundinnen durften sich nicht mehr mit ihr verabreden. 1935 zog sie mit 18 Jahren zu ihrer Tante nach Berlin. Kurz darauf gaben die Eltern das Hutgeschäft in Ilmenau auf, da unter anderem Wachpersonal der Nazis die Kunden am Betreten des Geschäftes hinderte. Sie eröffneten ein neues Geschäft in Berlin, wo aber ebenfalls Scheiben eingeschlagen wurden. Ein englischer Bekannter vermittelte Fee ein Affidavit (Bürgschaftsschreiben), mit dem sie im April 1939 nach England ausreisen konnte.
Ihre Eltern konnten ihr nicht mehr folgen: Sie wurden am 27. November 1941 von Berlin nach Riga deportiert und dort 1943 ermordet. Im gleichen Jahr heiratete Felicitas in London David Werschker. Sie starb 2001 in England.
Straße des Friedens 23
98693 Ilmenau
Deutschland
1901 zogen die aus Wiesenbronn/Unterfranken stammenden Brüder David (1870-1934) und Sigmund Eichenbronner (1872-1941) nach Ilmenau und waren hier mit Erfolg als Kaufleute tätig. Im November 1907 eröffneten sie ihr neu erbautes Kaufhaus an der Lindenstraße (heute Straße des Friedens 23). Das mit Jugendstilornamenten verzierte Gebäude war in sieben Monaten errichtet worden und entwickelte sich bald zum „ersten Haus am Platz“. Das Kaufhaus zeichnete sich neben seinem breiten Warenangebot durch eine kundenfreundliche Bedienung und die ungewöhnliche Präsentation der Waren aus: In den 1920er Jahren ließen die Brüder eine Passage einbauen, mit der die Schaufenster-Auslage rundum begehbar wurde. 1931 gründeten sie ein modernes Einheitspreisgeschäft mit einem reduzierten und auf niedrige, abgerundete Preise beschränkten Sortiment.
Die ganze Familie Eichenbronner war gesellschaftlich gut integriert. Sigmund übte viele Jahre das Amt als Vorsteher der jüdischen Gemeinde aus. Sein Sohn Walter baute eine gut gehende Anwaltskanzlei an der heutigen Karl-Zink-Straße 4 auf. Davids Sohn Stefan (1900-1943) fuhr erfolgreich Autorennen. Siegmunds verheiratete Tochter Marie Naumann (1901-1944) lebte ebenfalls in Ilmenau.
Mit der Naziherrschaft begannen die Repressalien. Die jüdischen Geschäfte wurden boykottiert; die Kunden von der SA fotografiert. David Eichenbronner nahm sich bereits 1934 das Leben, da er sein Lebenswerk zerstört sah. Die restliche Familie blieb in Ilmenau; Walter konnte ab ungefähr 1935 nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten, zog vorübergehend nach Paderborn, kehrte aber wieder zurück. 1938 musste Sigmund das Kaufhaus und das Einheitspreisgeschäft stark unter Wert verkaufen: Es wurde arisiert und von Volkmar übernommen. Er heiratete 1939 in zweiter Ehe Mathilde Wesermann. Die Repressionen und Abgaben wuchsen: Die jüdischen Illmenauer*innen mussten ihr Silber abgeben, die Bank-Konten wurden beschränkt, sie mussten einen gelben Judenstern tragen und in sogenannten Judenhäusern zusammenleben.
1941 starb Sigmund im Ilmenauer Krankenhaus an den Folgen einer Operation; seine Frau, seine Schwägerin Mathilde (1874-1942), seine Tochter Marie sowie sein Sohn Walter mit seiner Frau Flora und der Tochter Gisela (1932-1942) wurden alle deportiert und in Theresienstadt, Belzyze und Majdanek ermordet. Nur Peter Naumann (geb. 1934), der Enkel Davids überlebte den NS-Terror und wanderte 1953 nach Brasilien aus. Von Gisela ist ein berührendes Fotoalbum in der Gedenkstätte Majdanek (Polen) erhalten.
2007 wurde auf Initiative des Heimatgeschichtlichen Vereins Ilmenau eine Gedenktafel mit dem folgenden Text angebracht: „Zum Gedenken an die Brüder David und Sigmund Eichenbronner, die dieses Geschäft 1907 erbauten. Die gesamte Familie Eichenbronner fiel dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer.“ Die Einweihung der Gedenktafel fand am 6. Juni 2007 durch Peter Naumann, den Enkel von David und letzten Überlebende der Familie statt.
Schwanitzstraße 7
98693 Ilmenau
Deutschland
Die Eheleute Jakob (1888-1942) und Johanna Münz (1897-1942) führten in der Schwanitzstraße ein Textilgeschäft und hatten dort auch ihre Wohnung. Der gelernte Ingenieur stammte aus Wiesenbronn bei Würzburg. Die Eheleute und ihr 1925 geborene Sohn Herbert waren bis 1933 geschätzte Leute, die Kunden und Geschäftspartner zuvorkommend behandelten. Herbert besuchte das Goethegymnasium.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 setzten die Repressalien gegen jüdische Bürger*innen ein. Noch 1936 zeigte sich die Familie zuversichtlich und im Familienkreis gelöst, wie ein erhaltenes Foto des „Jüdischen Kegelclubs Ilmenau 1933“ zeigt.
1938 wurde das Geschäft arisiert; Jakob musste sein Auto verkaufen und wurde im November für einige Wochen in Buchenwald inhaftiert. Nach seiner Rückkehr nahm die Entrechtung weiter ihren Lauf. Ausgegrenzt und erniedrigt musste Herbert das Gymnasium verlassen, wo er im Biologieunterricht als „Beispiel für die jüdische Rasse“ herhalten musste.
Mit der ersten Deportation vom 9. Mai 1942 wurden Jakob, Johanna und der zu diesem Zeitpunkt 17-jährige Herbert ins Ghetto Belyze gebracht, wo Johanna vermutlich umgebracht wurde. Jakob und Herbert kamen weiter nach Majdanek und wurden dort am 9. September 1942 ermordet. Vor dem ehemaligen Textilgeschäft erinnern drei Stolpersteine, die am 06. Mai 2008 verlegt wurden, an die Familie Münz.
Friedrich-Hofmann-Straße 3
98693 Ilmenau
Deutschland
1926 ließ sich der praktische Arzt, Internist und Kinderarzt Dr. Ewald Czapski in Ilmenau nieder und wohnte zeitweilig an der Friedrich-Hofmann-Straße 3. Er war am 10. November 1892 als Sohn des jüdischen Physikers Siegfried Czapski (ab 1891 einer von drei Geschäftsführern der Firma Carl Zeiss) und einer christlichen Französin in Jena geboren worden, und hatte nach dem Abitur Medizin in Jena, Leipzig und München studiert. Im Ersten Weltkrieg diente er als Feldhilfsarzt und erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse.
Seine Praxis war gut besucht und Czapski gesellschaftlich gut integriert: Er galt als „hinreißender Gesellschafter“. Das änderte sich nach der Machtergreifung der Nazis 1933. Da Czapski in den Augen der Nazis ein „Halbjude“ war, erschien sein Bild in einem antisemitischen Hetzblatt auf Ilmenauer Juden*Jüdinnen an fünfter Stelle. Er behielt jedoch die kassenärztliche Zulassung und konnte weiter als Arzt arbeiten. Allerdings unterstützte er im Geheimen die Kommunistische Partei und beteiligte sich an der Verbreitung von verbotenen kommunistischen Flugschriften. Trotz weiterer Diffamierungen, unter anderem wegen seiner mehrfachen Ehen, wurde er im Zweiten Weltkrieg zwangsdienstverpflichtet.
Nach Kriegsende praktizierte er wieder als Arzt in Ilmenau, bevor er von der Thüringischen Landesregierung nach Weimar berufen wurde, um am Aufbau eines neuen Gesundheitswesens mitzuwirken. Die DDR-Regierung erkannte Czapski als Opfer des Faschismus an. Neben seiner Tätigkeit als Arzt übersetzte er regelmäßig französische Bücher ins Deutsche. Ewald Czapski starb am 4. Dezember 1976 in Erfurt.
Friedrich-Hofmann-Straße 7
98693 Ilmenau
Deutschland
Wilhelm Sandler gab nach der Heirat seiner Schwester Helene mit Samuel Gronner im Jahr 1911 sein Geschäft in der Poststraße in den Besitz des Ehepaares. Sandler hatte zuvor in Coburg eine Kette von Bekleidungsgeschäften gegründet. Eineinhalb Jahrzehnte lang beaufsichtigten die beiden mehrere Ableger des Unternehmens und bauten es somit weiter aus. 1927 erwarb das Ehepaar Gronner ein Grundstück, auf dem zwei Jahre später ein Neubau nach dem zeitgenössischen Bauhaus-Entwurf des Architekten Willy Ilgen in der heutigen Friedrich-Hoffman-Straße entstand. Der Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit ließ Form und Funktion miteinander verschmelzen, um das moderne Leben zu vereinfachen. In der Presse und Bevölkerung Ilmenaus fand der Bau und der anpackende sowie moderne Kaufmannsgeist der Gronners rückhaltlose Anerkennung. Das Kaufhaus war berühmt für seine edle Auswahl an Herren- und Knabenbekleidung und zog einen Käuferkreis an, der weit über Thüringen hinausreichte.
Nach dem Tod seiner Frau Selma 1935 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Wilhelm Sandler. Für kurze Zeit wohnte er bei den Gronners in Ilmenau, dann zog er in ein Altersheim in Frankfurt. Im Oktober 1938 wurde das Ilmenauer Kaufhaus Sandler-Gronner arisiert und von dem NSDAP-Mitglied Hilmar Näder übernommen. Nach der Zwangsversteigerung konnten Helene und Samuel nur noch die Wohnung über den Verkaufsräumen mieten. In der Nacht vom 9. November 1938 wurde Samuel Gronner in Schutzhaft genommen und daraufhin einen Monat lang im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert.
Anfang 1940 zwangen die repressiven Gesetze der Nazis Samuel und Helene, die von ihnen errichteten Wohnräume zu räumen: Sie wurden angewiesen, auf engstem Raum in ein „Judenhaus“ in der Goethestraße 11 umzuziehen. Am 28. November 1941 wurde Samuel zur Zwangsarbeit ins Konzentrationslager Buchenwald geschickt, weil er „mit einem Polen über den Krieg diskutiert“ hatte. Er wurde am 21. Januar 1942 entlassen. Zusammen mit anderen in Thüringen verbliebenen Jüdinnen*Juden wurden die Gronners im Mai deportiert und an den angeblichen Zielort in das Ghetto Belzyce gebracht. Aufzeichnungen über ihre Ankunft existieren nicht.
Am 18. August 1942 wurde Wilhelm Sandler nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Seiner Tochter Ruth und ihrem Mann Fritz Weil gelang 1939 die Emigration in die USA.
Der ältere Sohn Rudolf Gronner verließ 1933 das Reich und überlebte den Krieg in Frankreich. Sein Bruder Joachim war ab 1937 Student in Palästina und diente während der Kriegsjahre bei der britischen Armee. 1957 kehrten er und seine Frau mit ihren in Israel geborenen Kindern nach Deutschland zurück und zogen zwei Jahre später in die Vereinigten Staaten. 1992, nach einem halben Jahrhundert des Strebens nach Gerechtigkeit, wurde dem amerikanischen Staatsbürger John Gronner, dem einzigen noch lebenden Sohn von Samuel und Helene Gronner, in Ilmenau erfolgreich sein Geburtsrecht zugesprochen. Eine Gedenktafel über den Schaufenstern wurde 1993 eingeweiht, um den Widerstand gegen Intoleranz zu fördern. In den Bürgersteig sind drei Stolpersteine eingelassen, um an das Leben der ehemaligen Bewohner*innen zu erinnern: Samuel und Helene Gronner und Wilhelm Sandler.
Wetzlarer Platz
98693 Ilmenau
Deutschland
Die Brüder Sally (1874-1944) und Max (1877-?) Gabbe stammten aus Adlig Briesen (Wąbrzeźno, Pomerania; damals Westpreußen, heute Polen). 1903 eröffnete Max Gabbe an der Ecke Post- und Friedrich-Hofman-Straße das „Berliner Warenhaus“. Das mit Jugendstilelementen verzierte Haus besaß im Erdgeschoss durchgehende Schaufenster. Mit „99-Pfennig“-Tagen wurde das Warenhaus weit über Ilmenau hinaus bekannt. Sally Gabbe baute eine Korsettfabrik auf.
Sally heiratete Jeanette Baron (1875-1938). Das Paar bekam 1903 in Pösnick, Thüringen, wo sie vermutlich um diese Zeit wohnten, einen Sohn, Heinz (1903-1992, Ramat Gan, Israel). Max war verheiratet mit Elka Helene. Sie hatten drei Kinder: Hildegard (1905-1990, São Paulo, Brasilien), Manfred und Walter. Hildegards Mann Max Nussbaum unterstützte seit 1930 als Mitinhaber des „Berliner Warenhaus“ seinen Schwiegervater Max Gabbe. Dieser war, neben Sigmund Eichenbronner, zweiter Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Als Schatzmeister fungierte ein weiterer Kaufhausbesitzer: Samuel Gronner. Alle hatten diese Ämter seit mindestens 1924 inne. Nach der Machtübernahme durch Hitler erließen die Nazis im April 1933 die ersten „Judengesetze“ und die Repressalien setzten ein. Das Kaufhaus bestand noch bis 1938, was unter anderem die kontinuierliche Nachfrage der Ilmenauer*innen nach den angebotenen Produkten bezeugt. Während der Pogromnacht am 9./10. November 1938 sammelte sich, wie die Ilmenauer Tageszeitung berichtet, vor dem Berliner Warenhaus „eine gewaltige Menschenmenge … und gab ihrer Einstellung in Sprechchören Ausdruck. Das Geschäftshaus musste geschlossen werden. Die Schaufenster und später auch die Aushängekästen wurden geräumt.“ Zu Übergriffen sei es – anders als beim Bethaus – nicht gekommen.
Kurze Zeit darauf, noch im November 1938, starb Sallys Frau Jeannette im Ilmenauer Krankenhaus. Ihr Sohn Heinz war in der zionistischen Bewegung aktiv. Bereits zwei Monate vor dem Pogrom 1938 wanderte er mit Frau und Tochter nach Palästina aus. 1930 hatte er Lotte Gattel (1909-2002), Tochter eines Berliner Hutfabrikanten, geheiratet. 1932 war Tochter Ruth geboren worden. In Palästina baute Heinz zusammen mit seiner Schwägerin eine Büstenhalterfabrikation auf. Die von seinem Vater in Ilmenau gegründete Korsettfabrik Ilmenau war 1938 arisiert und von Alfred Zimmer übernommen worden. Zimmer floh später aus der DDR in die BRD. Sally Gabbe blieb in Ilmenau und wurde am 20. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort am 23. April 1944 ermordet. Sein Hungertod – eine beabsichtigte Vernichtungsmethode in den Konzentrationslagern – wurde in den Akten vom KZ Theresienstadt am 23. April 1944 akribisch „registriert".
Das Gebäude des ehemaligen „Berliner Warenhauses“ wurde auf Veranlassung von Marek Schramm (Unternehmer und Sohn des gegenwärtigen Vorsitzenden des jüdischen Landesgemeinde Thüringen) umfassend restauriert und eine Gedenktafel zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Besitzer und ihr Schicksal angebracht.
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