Stadtspaziergang Leer (Ostfriesland)

Wir beginnen den Rundgang auf den Spuren jüdischen Lebens der Stadt Leer hier in der Heisfelder Straße 44, an der Stelle, an der sich früher die große Synagoge befand. Ein erster Nachweis jüdischen Lebens in der Stadt Leer stammt aus dem Jahr 1611. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde 1650 erstmals die erforderliche Zahl für einen Minjan (zehn männliche Gottesdienstbesucher) erreicht und kann somit als Gründungsjahr der Gemeinde angesehen werden. Die jüdische Gemeinde in Leer war die drittgrößte in Ostfriesland. Es gibt sie noch, die Spuren in der Stadt, die vom jüdischem Leben zeugen, doch muss man sie suchen. Auch hier sahen sich die Angehörigen der Gemeinde während der NS-Zeit mit massiven Anfeindungen konfrontiert. Nach den Boykottaufrufen wurde den Geschäftsleuten zunehmend ihre Existenzgrundlage entzogen. In der Pogromnacht im November 1938 wurden die Synagoge, Wohn- und Geschäftshäuser zerstört. Die Jüdinnen*Juden wurden aus ihren Häusern geprügelt und unter wüsten Beschimpfungen zum Viehhof auf der Nesse getrieben, wo man sie ins Schlachthaus sperrte. Mit der im Jahre 1939 abgeschlossenen „Arisierung“ verloren sie endgültig ihr gesamtes Hab und Gut. 107 Gemeindemitgliedern gelang rechtzeitig die Auswanderung ins Ausland. Sie leben heute auf der ganzen Welt verstreut. Ein Großteil der jüdischen Bürger*innen der Stadt – soweit bekannt waren es 236 – kam jedoch im Holocaust ums Leben. Das Schicksal von 61 Personen ist bis heute ungeklärt. Ihnen allen zur Erinnerung wurde 2002 ein Gedenkort auf der gegenüberliegenden Straßenseite errichtet.

Adresse

Heisfelder Straße 44
26789 Leer
Deutschland

Dauer
80.00
Länge
5.70
Stationen
Adresse

Heisfelder Straße 44
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.232640987601, 7.4521233571377
Titel
Synagoge
Literatur
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Raum: Leer (Ostfriesland)/ Niedersachsen, online unter: http://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/k-l/1173-leerostfriesland-niedersachsen
Archivpädagogische Schriften: „...Kein abgelegener Ort am gantzen Fleck vorhanden ist...“. Synagogen in Leer – Eine Sammlung, gesichtet und zusammengestellt von Menna Hensmann, Leer 2005.
Stationsbeschreibung

Schon bald galt die Synagoge aufgrund ihrer schönen Bauweise – romanischer Architekturstil mit maurischen Zierelementen – als Sehenswürdigkeit. Seit der Gemeindegründung wurden die Gottesdienste in verschiedenen Bethäusern in der Stadt abgehalten. 1793 baute man einen über 100 Plätze verfügenden Synagogenraum in der Pferdemarktstraße, der jedoch den gewachsenen Ansprüchen der Gemeinde bald nicht mehr genügte. 1885 wurde das neue Gotteshaus an der Heisfelder Straße nach zweijähriger Bauzeit feierlich eingeweiht. Neben einem Festgottesdienst standen ein feierliches Mahl, ein Konzert und ein Festball auf dem Programm. Eingeladen waren Angehörige aller Konfessionen. Ein Großteil des Inventars wurde aus der Synagoge in der Pferdemarktstraße übernommen, zudem spendeten wohlhabende Jüdinnen*Juden der Gemeinde wertvolle Gegenstände. Die prunkvolle Inneneinrichtung wurde auch in einem von Albert Stockvis erstellten Reiseführer für Ostfriesland und die Umgebung als besonders „sehenswerth“ erwähnt. Im Nebenhaus wohnte der Rabbiner mit seiner Familie; im Keller soll sich die Mikwe, das rituelle Tauchbad, befunden haben. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge vom amtierenden Bürgermeister Erich Drescher und einigen SA-Angehörigen in Brand gesteckt. Der örtlichen Feuerwehr wurden jegliche Löscharbeiten untersagt. Die Synagoge brannte vollkommen aus. In der Nachkriegszeit wurden an dieser Stelle eine Tankstelle und eine Autowerkstatt errichtet. 1961 wurde eine Gedenktafel am Grundstück angebracht. Etwa 20 Jahre später fand man eine der beiden Gebotstafeln wieder, die sich über dem Haupteingang der Synagoge befunden hatten. Die Tafel wurde im Schrebergarten eines SS-Mannes, der am Novemberpogrom beteiligt gewesen war, entdeckt: Er hatte Sie als Treppenstufe genutzt. Heute befindet sie sich in einer Synagoge in Tel Aviv. Eine Kopie hiervon steht auf dem jüdischen Friedhof in der Groninger Straße. Die Tankstelle ist mittlerweile geschlossen und verfällt als Ruine.

Adresse

Mühlenstraße 137
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.232644, 7.464381
Titel
Koschere Metzgerei Wolf Weinberg
Literatur
Archivpädagogische Schriften: Unsere jüdischen Nachbarn. Aus der Reihe: Unterrichtsmaterialien der APA – Eine Sammlung, online unter: https://www.leer.de/PDF/Unsere_juedischen_Nachbarn.PDF?ObjSvrID=1778&ObjID=57&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts=1360329414,%2005.03.2017,05.03.2017
Shoppen in der Geschichte. Die ehemals jüdischen Wohn- und Geschäftshäuser in der Mühlenstraße, zusammengestellt und erarbeitet von Hanna
Blume, Stadtarchiv Leer 2016/2017.
Stationsbeschreibung

Ein Großteil der jüdischen Bürger*innen der Stadt Leer bestritt den Lebensunterhalt mit Viehhandel. Im Leeraner Stadtgebiet waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts 24 Schlachtereien zu finden, die auch koscheres Fleisch anboten, unter anderem im Haus in der Mühlenstraße 137. Diese Schlachterei betrieb Wolf Nathan Weinberg gemeinsam mit seinem Sohn Herbert. Zudem hatten sie eine zweite Filiale in der Königstraße 13. Glücklicherweise gelang der gesamten Familie Weinberg rechtzeitig die Auswanderung. Herbert war der erste, der seine Heimatstadt Leer verließ. Er wanderte 1938 nach Kapstadt aus. Seine Schwester Gertrud, verheiratet mit dem Sohn des damaligen Lehrers der Jüdischen Schule, folgte ihm wenig später. Auch Wolf Weinberg wanderte 1939 nach Südafrika aus. Nachdem sein Wohnhaus im November 1938 zerstört wurde, zog er für die Zwischenzeit bis zu seiner Ausreise in die jüdische Schule und schlief dort auf dem Boden eines Schulraumes. Ilse Weinberg, die jüngste Tochter der Familie, wanderte zunächst nach London aus und arbeitete dort während des Krieges als britische Armeekrankenschwester, bis sie schließlich 1945 ebenfalls nach Kapstadt zog.

Adresse

Mühlenstraße 100
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.230849, 7.459975
Titel
Zigarrengeschäft und -fabrik Jakob Urbach
Literatur
Shoppen in der Geschichte. Die ehemals jüdischen Wohn- und Geschäftshäuser in der Mühlenstraße, zusammengestellt und erarbeitet von Hanna
Blume, Stadtarchiv Leer 2016/2017.
Stationsbeschreibung

Nachdem Jakob Urbach im Jahre 1928 verstarb, übernahm sein ältester Sohn Eduard die Zigarettenfabrik in der Mühlenstraße 14. Im hinteren Teil des Gebäudes befand sich die kleine Fabrik, in der Zigarren und Zigaretten hergestellt wurden; der vordere Teil des Hauses verfügte über einen Geschäftsraum, in dem der Verkauf der Produkte stattfand. Eduards jüngerer Bruder Heinrich wurde Jurist und trat nach dem Studium eine Anstellung als Assessor am Amtsgericht Leer an. Als Anwalt setzte er sich beispielsweise für die Familie Aussen ein, über deren Gerichtsfall wir später noch mehr erfahren werden. Zu diesem Zeitpunkt (1936) war es ihm bereits aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr erlaubt, Beisitzer im Gericht zu sein. Er durfte nur noch jüdische Klient*innen vertreten. 1940 wurden Betty und Eduard Urbach in ein „Judenhaus“ in der Berliner Grunewaldstraße 56 zwangsumgesiedelt. Heinrich hatte seine Heimatstadt bereits im August 1938 nach Berlin verlassen. Von dort aus unterstützte er Transporte jüdischer Kinder nach England. Als Reaktion auf die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November hatte sich Großbritannien bereiterklärt, im Zeitraum von Mitte November bis zum Kriegsbeginn Anfang September 1939, insgesamt etwa 10.000 jüdische Kinder aus Deutschland aufzunehmen, denen andernfalls von den Nationalsozialisten weitere Repressalien gedroht hätten. Durch einen dieser Transporte konnten beispielsweise auch zwei jüdische Geschwister der Stadt Leer in Sicherheit gebracht werden. Es handelte sich hierbei um Louis und Astrid, die Kinder von Jakob Lipmann und Johanne/Johanna(?) Pels, die in der Osterstraße 2 (heute Mühlenstraße 2) ebenfalls eine Metzgerei betrieben. Heinrich wurde 1943 erst nach Theresienstadt und später von dort aus in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Sein Bruder Eduard wurde wenig später direkt von Berlin aus nach Auschwitz deportiert. Beide Geschwister fanden in den Gaskammern den Tod. Ihre Mutter Betty verstarb laut Informationen der Reichsvereinigung der Juden am 21. Januar 1943 eines natürlichen Todes in Berlin.

Adresse

Mühlenstraße 24
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.2294936, 7.4534806
Titel
Modegeschäft Harry Knurr
Stationsbeschreibung

In der Mühlenstraße 24 (vormals Osterstraße) befindet sich heute ein Modegeschäft, und auch im Jahr 1929 betrieb Harry Knurr an dieser Stelle bereits eine Modewarenhandlung. Am 15. Juli 1929 übernahm er das Geschäft von dem verstorbenen Gerson Pels, der hier zuvor ebenfalls Kleidung und Stoffe verkauft hatte. Von den insgesamt fünf Kindern des Ehepaares Knurr verstarben zwei bereits sehr früh. Inge, damals gerade drei Monate alt, war bei einem Brand des Geschäftshauses im März 1931 ums Leben gekommen. Nicht einmal zehn Tage zuvor war der achtjährige Sohn Ludolf an einer schweren Krankheit verstorben. Beide Kinder sind gemeinsam im Grab 219 auf dem Jüdischen Friedhof in der Groninger Straße bestattet. Die Familie zog vorübergehend in die Mühlenstraße 10, zwei Jahre später in die 23, danach in die Ubbo-Emmius-Straße 49 bis sie schließlich im Dezember 1934 in ihr Haus zurückkehrten. Da einige Straßen und Plätze der Stadt von den nationalsozialistischen Machthabern in der Zwischenzeit umbenannt worden waren, lautete ihre Adresse nun Hindenburgstraße 24. Der Denkmalsplatz, den wir auf dem Weg hierher vor wenigen Augenblicken passierten, trug in dieser Zeit beispielsweise den Namen „Adolf-Hitler-Platz“. Am 3. Januar 1939 entschied Familie Knurr, Deutschland endgültig zu verlassen. Die Eltern Harry und Goldina und ihr jüngster Sohn Ludwig nahmen ein Schiff vom Bremer Hafen nach New York. Die Kinder Beate und Arno folgten ihnen von Hamburg aus. Die gesamte Familie überlebte den Holocaust in den USA.

Adresse

Mühlenstraße 17
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.2295863, 7.452637
Titel
Uhren-, Gold- und Silberwarenhandung Hermann Gans
Literatur
Shoppen in der Geschichte. Die ehemals jüdischen Wohn- und Geschäftshäuser in der Mühlenstraße, zusammengestellt und erarbeitet von Hanna
Blume, Stadtarchiv Leer 2016/2017.
Stationsbeschreibung

Das Haus in der Mühlenstraße 17 (ehemals: Osterstraße 17) wurde durch einen Neubau ersetzt. Das ursprüngliche Gebäude war identisch mit dem linken Nebenhaus, das heute noch steht. 1864 hatte Jacob Nathan Gans das Geschäft als Uhrmacherei und Gold- und Silberwarenhandlung eröffnet und dieses nach seinem Tod an seinen Sohn Hermann vererbt. Jacob N. Gans ist auf dem Jüdischen Friedhof in der Groninger Straße begraben. Der ganzen Familie gelang es, 1938 über Le Havre in Frankreich mit dem Dampfer „De Grasse“ nach New York auszuwandern. Aus Wilhelmshaven schreibt die Gestapo am 13. August 1938 an die Ortspolizeibehörde Leer: „Sofern die Familie Gans die Absicht hat, nach Amerika auszuwandern, liegen hier keine Gründe für die Entziehung des Reisepasses vor. Es wird angenommen, daß die steuerlichen Angelegenheiten erledigt sind, Über die erfolgte Abreise ist mir zu gegebener Zeit zu berichten […].“ Die Kinder Karla und Manfred waren zu diesem Zeitpunkt 18 und 14 Jahre alt. Manfred Gans, über den im weiteren Verlauf des Stadtrundganges noch mehr erzählt wird, war 1995 in Leer zu Gast und äußerte sich in einem von der Ostfriesen-Zeitung geführten Interview zu der Frage nach seiner Heimat wie folgt: "Meine Heimat ist New York. Dort leben unsere fünf Kinder und unsere 15 Enkelkinder. Aber die Stadt, in der man geboren wurde, hat immer einen besonderen Platz im Herzen. Meine Familie hat hier lange gelebt. Wir waren Ostfriesen. […] Natürlich waren meine Eltern sehr patriotisch, und mein Vater war im Ersten Weltkrieg vier Jahre in Frankreich an der Front gewesen.“ Von Hermann Gans' Können als Uhrmacher zeugt noch heute die im Jugendstil gefertigte große Uhr, die am gegenüberliegenden Bankgebäude angebracht ist. Sie war sein Gesellenstück und hing bis zur Auswanderung der Familie an der Außenwand seines Geschäftes.

Adresse

Rathausstraße 22
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.227229, 7.450951
Titel
Manufakturengeschäft Louis Aron und Wohnhaus der Familie Aussen
Literatur
Archivpädagogische Anlaufstelle: Liesel Aussen, 7 Jahre, ermordet in Sobibor... Lebens- und Leidenswege jüdischer Bürger und Bürgerinnen der Stadt Leer in der NS-Zeit, zusammengestellt von Menna Hensmann, Leer 2008.
Stationsbeschreibung

In der Rathausstraße 22-24 lebte Alfred Aussen mit seiner Frau Paula . Ihr Vater Louis Aron betrieb hier eine Manufaktur- und Modewarenhandlung. Am 8. März 1936 kam die einzige Tochter der Familie zur Welt. Einen Tag nach der Geburt fand sich ihr Vater im Rathaus ein. In Gedenken an die Großmütter des Kindes (Lina und Selma) entschieden sie sich für Liesel. Die Eintragung dieses Namens wurde jedoch vom diensthabenden Standesbeamten mit der Begründung abgelehnt, dass es sich hierbei um einen deutschen Vornamen handele und das Mädchen diesen durch ihren jüdischen Glauben – zudem als niederländische Staatsangehörige – nicht tragen dürfe. Nachdem das Amtsgericht Leer und der Landrat des Landkreises eingeschaltet wurden, wies man den Standesbeamten schließlich an, eine Eintragung des Vornamens Lisel (statt Liesel) zu gestatten, da „die im deutschen Reiche lebenden Juden durch gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich des Gebrauchs deutscher Vornamen [im Jahr 1936 noch] nicht beschränkt“ seien. Die ersten beiden Lebensjahre verbrachte Lisel in Leer. Die Lebenssituation ihrer Familie verschärfte sich in dieser Zeit enorm – ihr Großvater Louis Aron musste sein Geschäft bald schließen, da die Kundschaft ausblieb. Im Mai 1938 zog Alfred Aussen mit seiner Familie ins nahegelegene Winschoten in Holland, in der Hoffnung dort ein besseres Leben führen zu können. Die Großeltern entschieden, zunächst in ihrem Haus in der Rathausstraße zurückzubleiben, da sie ihre Heimatstadt nicht verlassen wollten. Das Haus wurde während der Novemberpogrome zerstört. Kurz danach wurde es von der Stadt Leer übernommen, nun zogen auch Louis und Karolina Aron nach Winschoten. Vier Jahre später wurden sie von hier aus über das Durchgangslager Westerbork nach Sobibor deportiert. Die gesamte Familie wurde umgebracht. Liesel war gerade einmal sieben Jahre alt. Zum Gedenken an ihr Schicksal soll der nahegelegene Platz, an dem sich die Kirch-, Brunnen- und Rathausstraße treffen, bald den Namen „Liesel-Aussen-Platz“ tragen.

Adresse

Kampstraße 37
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.225369, 7.446133
Titel
Wohnhaus Familie David Hirschberg
Literatur
Archivpädagogische Anlaufstelle: Liesel Aussen, 7 Jahre, ermordet in Sobibor... Lebens- und Leidenswege jüdischer Bürger und Bürgerinnen der Stadt Leer in der NS-Zeit, zusammengestellt von Menna Hensmann, Leer 2008.
Stationsbeschreibung

David Hirschberg war viele Jahre lang im Vorstand der Synagogengemeinde. Neun Jahre nach seiner Eheschließung mit Esther, geb. Cohen, eröffnete er 1909 eine Gastwirtschaft in der Kampstraße. Nach der Fertigstellung der neuen Viehhofanlage auf der Nesse (heute Ostfrieslandhalle) übernahm er 1927 die Gaststätte auf dem Gelände, bis ihm schließlich durch die restriktiven Gesetze der Nationalsozialisten die Kundschaft ausblieb und er die Gastwirtschaft schließen musste. Nach der Zerstörung der Synagoge 1938 hielten die in Leer verbliebenen Jüdinnen*Juden in den oberen Räumen des Hauses Kampstraße 37 heimlich Gottesdienste ab. Nachdem das Gebäude der jüdischen Schule in der Ubbo-Emmius-Straße im Juni 1939 von der Stadt gekauft Worden war, sah sich die jüdische Gemeinde dazu gezwungen, das Haus mit den wenigen finanziellen Mitteln, die ihnen mittlerweile zur Verfügung standen, eigenhändig zu räumen. Der Synagogenvorsteher Hirschberg stellte fortan Räumlichkeiten in seinem Haus zur Verfügung, damit die Kinder nach wie vor die Möglichkeit bekamen, unterrichtet zu werden. Auch der letzte Lehrer der Synagogengemeinde, Seligmann Hirschberg, lebte hier gemeinsam mit seiner Frau Goldina, bis sie das sogenannte Räumungsgebots zwang, nach Frankfurt am Main zu ziehen. Dort lebte das Ehepaar, bis es schließlich 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Die jüdische Gemeinde in Leer löste sich nach den Novemberpogromen schnell auf. Im Verlauf des Jahres 1938 wurde die „Arisierung“ jüdischen Besitzes abgeschlossen und den jüdischen Bürger*innen ihre Besitztümer entzogen. 1939 wurden die Jüdinnen*Juden der Stadt gezwungen, in sogenannten Judenhäusern zu leben; so unter anderem in der Kampstraße 37. Ein weiteres „Judenhaus“ soll sich in der Pferdemarktstraße 22 befunden haben. Im Januar 1940 erging von der Gestapo-Leitstelle Wilhelmshaven die Anweisung, dass alle Jüdinnen*Juden Ostfriesland bis zum 1. April 1940 zu verlassen hätten. David Hirschberg, seine Frau Esther und die gemeinsamen fünf Kinder verließen Leer am 20. März 1940 als letzte jüdische Familie. Danach wurde die Stadt für „judenfrei“ erklärt. Ihr ehemaliges Haus wurde fortan als „Ghetto“ für die Jüdinnen*Juden der Region benutzt, die dort auf engstem Raum zusammengepfercht leben mussten. Von hier aus brachte man die verbliebene jüdische Bevölkerung nach „Osten“ in die Vernichtungslager. Nach dem erzwungenen Abschied von seiner Heimatstadt Leer gelang Hirschberg und seiner Familie noch im Mai 1941 die Ausreise nach Argentinien, wo sie gemeinsam den Holocaust überlebten.

Adresse

Schleusenweg 4
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.217795, 7.444902
Titel
Jüdischer Friedhof
Stationsbeschreibung

Als sich die jüdische Gemeinde in Leer gründete, verfügte sie vermutlich noch nicht über einen eigenen Friedhof, und bestattete verstorbene Mitglieder zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Aurich. Nach einer Überlieferung aus dem Jahr 1822 wurde schließlich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts ein eigener Friedhof außerhalb der Stadtgrenzen zwischen Leer und Leerort angelegt. Das Gelände befand sich nahe des Galgens, weshalb es in den Synagogenbüchern auch als „Galgenhöchte“ auftaucht. Die Bezeichnung „Israelischer Friedhof“ setzte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch. In der NS-Zeit kam es mehrfach zu Schikanen bei Beisetzungen jüdischer Gemeindemitglieder. Bei der Bestattung des Leeraners Jakob Pels ordnete die Stadt in letzter Minute an, die Pferde, die den Leichenwagen ziehen sollten, wieder auszuspannen und den Trauernden damit keine andere Möglichkeit zu lassen, als den Wagen eigenhändig den beinahe vier Kilometer langen Weg durch die Stadt bis hin zum Friedhof zu ziehen. Mit der Beisetzung Sophie Rosenbooms am 11. Juni 1939 enden die Aufzeichnungen. Nachdem Leer im Jahre 1940 für „judenfrei“ erklärt wurde, wurde der Friedhof geräumt und ein Teil der Grabsteine entfernt. Diese wurden nach Kriegsende an anderer Stelle wieder aufgestellt. 1951 ging der Friedhof in den Besitz der Jewish Trust Corporation über, die das Grundstück später an die Stadt Leer und den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen übergab. Auf dem jüngeren Friedhofsteil, der nach einer Geländeerweiterung im Jahr 1896 hinzugekommen war, wurden zwischen 1946 und 1985 insgesamt sechs jüdische Personen bestattet, die nach Kriegsende in ihre Heimatstadt Leer zurückgekehrt waren. Heute lassen sich auf dem Jüdischen Friedhof noch 237 Grabsteine finden. Außerdem wurde hier eine Gedenktafel zum Andenken an die ehemalige jüdische Gemeinde angebracht. Ein weiterer, kleinerer Friedhof mit 13 erhaltenen Grabsteinen befindet sich in Leer-Loga im Logaer Weg 224 / Ecke Eichendorffstraße.

Adresse

Kirchstraße 4
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.227967, 7.449812
Titel
Bethaus "Drei Kronen"
Literatur
„... Kein abgelegener Ort am gantzen Flecken vorhanden ist...“. Broschüre zur Ausstellung 340 Jahre jüdische Geschichte in Leer, online auf der Homepage der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
Stationsbeschreibung

Da zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch keine eigene Synagoge existierte, fanden die Gottesdienste zunächst in einem Gebäude in der Kirchstraße statt. In seiner „Chronik von Leer“ berichtet der Pastor Wessel Onken 1765 über das erste jüdische Bethaus der Stadt: „Ehemals bildete die dem Kaaksbrunnen zugekehrte Hälfte des in der Kirchstraße gelegenen Packhauses des Herrn Ch. G. Theune – damals „die drei Kronen“ genannt – eine Art Synagoge“, heißt es hier. Die andere Haushälfte diente einem nicht namentlich bekannten jüdischen Bürger als Wohnraum. Ein Gitterwerk trennte das Innere des Hauses in zwei Teile. Der vordere Teil war den Frauen vorbehalten, der hintere den Männern. Im letzteren wurden zudem allerlei Gerätschaften wie Betpulte, Leuchter und ähnliches aufbewahrt. Als die Gemeinde allmählich anwuchs, wurde das bisherige Bethaus bald zu klein und die Suche nach einem geeigneten größeren Gebäude begann. 1766 kaufe Meyer Isaacs ein Grundstück in der Dreckstraße 2 (heute Norderstraße), das fortan – wie er sagte – „für die ganze Gemeinde“ als Synagogengebäude genutzt werden sollte. Im vorderen Teil befand sich sein Wohnhaus, im hinteren Teil wurde die Synagoge errichtet, die sich „durch Größe und Gestalt weit von dem alten Gebäude“ unterschied. Die jüdische Gemeinde erhielt jedoch die ausdrückliche Anweisung, sich binnen eines Zeitraums von zehn Jahren „in einer abgelegenen Straße ein anderes Gebäude zur Synagoge“ anzuschaffen, „da doch kein abgelegener Ort am gantzen Flecken vorhanden ist, als wo jetzt die Synagoge stehet.“ Dennoch konnte die Gemeinde das Gebäude bis 1794 weiterhin nutzen, bis schließlich die Planungen für den ersten eigenen Synagogenbau begannen.

Adresse

Ubbo-Emmius-Straße 12
26789 Leer
Deutschland

Geo Position
53.232053, 7.449292
Titel
Ehemalige Jüdische Schule
Literatur
„Wir wollen den Wolf in seiner Schlucht ausräuchern!“. Die Pogromnacht in Leer, online unter: https://www.leer.de/media/custom/2586_285_1.PDF?1501066869
Stationsbeschreibung

1803 eröffnete die Gemeinde eine erste jüdische Elementarschule in Leer, die sich vermutlich in der Kirchstraße befand. Im Eröffnungsjahr wurde die Schule von 17 Kindern besucht, die von einem Lehrer aus Posen unterrichtet wurden. Der Schulbesuch war für Kinder der Gemeindemitglieder verpflichtend. Im Oktober 1909 erwarb die Gemeinde schließlich ein Grundstück an der Deichstraße 12 (heute Ubbo-Emmius-Straße) und errichtete dort ein Schulgebäude mit dazugehöriger Lehrerwohnung. Drei Jahre später wurde der Bau fertiggestellt und konnte fortan von etwa 25 Kindern besucht werden. Aufgrund von Lehrermangel während des Ersten Weltkrieges wurde der Lehrer Lasser Abt an die staatliche Volksschule der Stadt beordert, woraufhin die jüdische Schule für ein Jahr schließen musste. In der Zeit der Weimarer Republik sanken die Schülerzahlen weiter ab, sodass 1926 nur noch 16 Kinder die Schule besuchten. In der sogenannten Reichspogromnacht wurden die Türen des Schulgebäudes von vier SA-Angehörigen mit Beilen aufgebrochen, die Wohnung des Lehrers Seligmann Hirschberg und seiner Frau gestürmt und beide Eheleute gewaltsam niedergeschlagen. Trotz der Schäden am Gebäude wurden die Schulräume fortan zur Abhaltung der Gottesdienste genutzt. Nach der erzwungenen Schließung der Schule musste die Gemeinde das Gebäude im Sommer 1939 an die Stadt Leer zwangsverkaufen. Die verbliebenen Schüler*innen wurden fortan im Haus von David Hirschberg in der Kampstraße unterrichtet, ehe diese am 23. Februar 1940 vollständig geschlossen wurde. 2011 erwarb der Landkreis Leer das Gebäude, um es nach alten Plänen wiederherzustellen. Am 1. September 2013 eröffnete die Ehemalige Jüdische Schule als Kultur- und Gedenkstätte. „Als letzter steinerner Zeuge der Synagogengemeinde Leer widmet sie sich dem Gedenken an die jüdische Bevölkerung aus dem Landkreis“, heißt es auf der Homepage. Der Stadtspaziergang endet an dieser Stelle. Gerne kann die Tour mit einem Besuch der Dauerausstellung in der Gedenkstätte verbunden werden.

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Autor
Laura Zimmermann

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