Helene „Lola“ Zahn (fortan Lola genannt) ist eine 1910 in Hamburg geborene Kommunistin und Wirtschaftswissenschaftlerin und Tochter des russisch-jüdischen Lazar Golodetz und seiner Frau Malka. Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte sie in der Emigration in Frankreich und den USA und ging danach aus politischer Überzeugung in die Sowjetische Besatzungszone/Deutsche Demokratische Republik. Sie lehrte an der Berliner Humboldt-Universität, musste diese jedoch 1957 als "aufmüpfige Intellektuelle" verlassen, blieb aber bis zu ihrem Tod 1998 wissenschaftlich und publizistisch aktiv. Sie war mit Alfred Zahn verheiratet und hatte mit ihm zwei Kinder.
Sie hinterließ einen umfassenden Lebensbericht, der mit ihrer Kindheit beginnt und in die Ankunft in der SBZ mündet. Die zahlreichen Zitate in den verschiedenen Stationen stammen aus diesem Bericht sowie aus 5 „Wendetagebüchern“, die in den 1990er Jahren von ihr verfasst wurden. Beide Zeugnisse schildern sehr umfassend Lola Zahns Sicht auf das politische Zeitgeschehen und ihr Umfeld, aber auch ihre Eindrücke und Gefühle in den verschiedenen Lebenssituationen- und stationen.
Warum ihre Lebensgeschichte hier eine Erwähnung wert ist, beantwortete sie selbst: „Weil ich meine, daß die Mühen von Millionen Alltagsleben nicht minder Geschichte machen wie die Anstrengungen, Mißerfolge und gelungenen Wegweiseraktionen führend beteiligter Persönlichkeiten, glaube ich über mein Leben schreiben zu sollen. Vielleicht auch, weil die politische Spannweite zwischen Anfang und Ende eine nicht üblich[e] war. Vielleicht auch, weil es als Leben einer Frau und Wissenschaftlerin, die um die Vereinigung dieser beiden Titel zu kämpfen hatte, nicht uninteressant ist und in unsere so bewegte Zeit hineingehört oder auch weil die Lebensschilderung mit kleinen philosophischen oder anderen essayistischen Gedankensplittern angenehm betrachtet werden könnte? Oder ganz einfach, weil sie für alle, die viel später in dieses Jahrhundert hineingeboren wurden, eine für sie nützliche Anschauung bietet?“
Woldsenweg
20249 Eppendorf
Deutschland
„[…] mein Leben wurde weitgehend durch die Schule und die Beziehungen zu Freundinnen und Lehrerinnen bestimmt, durch Begegnungen an Stätten außerhalb des engen Familienkreises.”
Helene Golodetz wurde am 9. August 1910 als Tochter des Doktors der Chemie Dr. Lazar Golodetz und seiner Frau Malka in Hamburg geboren. Ihr Vater war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aus seiner Heimat Russland zum Studieren nach Deutschland gegangen. Aus traditionellen Gründen erhielt Lola bei ihrer Geburt den russischen Namen Jelena Lazarowna. Obwohl sowohl Maries als auch Lazars Familie jüdischen Glaubens war, entwickelte ihr Vater bereits im Laufe seiner Studienjahre in Deutschland eine atheistische Weltanschauung.
Lola und ihr jüngerer Bruder Victor verlebten eine wohlbehütete Kindheit. „Ich litt wahrlich keine Not. Hatte mein Zimmer, mein Essen, meine Kleidung. […] Was mir fehlte, war die Zuneigung meiner Mutter.“ Zeit ihres Lebens war das Verhältnis zu ihrem Vater ein besseres als zu ihrer kränkelnden Mutter.
Trotz der atheistischen Weltanschauung des Vaters war die jüdische Religion in Form religiöser Festtagsbräuche und praktizierter Wohltätigkeit Teil von Lolas Kindheit. Des Weiteren erhielt sie jeden Samstag Tora- und Hebräischunterricht.
In ihren ersten Lebensjahren war sie ein schüchternes Mädchen und hatte fortgehend das Gefühl, dass ihre „besondere national-soziale Herkunft“ sie von anderen Menschen trotz ihrer guten Erziehung isolierte. Mit dem Berufswechsel des Vaters von seiner Anstellung als Chemiker in einer Hautklinik zum Betreiber von Im- und Exporthandel mit Chemikalien, sollte sich schon bald ihre Lebenssituation verändern. Mit elf Jahren zog Lola mit ihrer Familie von der Fünfzimmerwohnung in Eppendorf in eine Villa im vornehmen Stadtteil Harvestehude in Hamburg um. Etwa zur gleichen Zeit legte sie ihre Schüchternheit ab. Vor allem mit ihrem Wechsel auf die Lichtwarkschule sollten sich ihr Leben und ihre Ansichten verändern.
Oderfelder Straße 2
20149 Hamburg
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„Sowohl die mir aufgezwungenen Klavierübungen […] wie der von mir durchgesetzte Besuch der Lichtwarkschule führten mich von ganz unterschiedlichen Seiten in eine kommunistische Richtung.“
Umso älter Lola wurde, umso intensiver hatte sie das Gefühl, dass alles in ihrem Leben sie in Richtung Kommunismus zog. Vor allem der Besuch der Hamburger Lichtwarkschule stellte einen geistigen Einschnitt in ihrem Leben dar: „Die Lichtwarkschule bedeutete eine Wende in meinem Leben; durch sie, ihre Ziele, ihre Lehrer und Schüler fand ich den Weg zur Arbeiterklasse.“ An der Lichtwarkschule wurden Rassismus, Völkerhass und allgemeine Intoleranz nicht geduldet, vielmehr richtete sie „sich gegen Krieg und Faschismus und verstand sich im Sinne eines humanistischen Liberalismus, der für Sozialisten aller Schattierungen und auch für Kommunisten Platz hatte“.
An der Schule erhielt sie Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern, Geschichte, Sport, Werken, Musik und Kulturkunde. Durch den Kulturkundeunterricht und der Beschäftigung mit verschiedenen Denkströmungen, rückte der Kommunismus immer zentraler in ihr Bewusstsein. Nach dem Unterricht las sie Werke von Karl Marx, Wladimir I. Lenin, Max Stirner und Edward Bellamy. Doch das bloße Studieren von kommunistischen Schriften reichte ihr schon bald nicht mehr aus. Sie wollte sich auch in ihrer Freizeit im Namen des Kommunismus engagieren, weshalb sie 1929 dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) beitrat.
Neben Haus- und Hofpropaganda oder der Verteilung von Flugblättern, gehörte auch die Landagitation, bei welcher die Jugendlichen auf LKWs sitzend singend durch die Dörfer fuhren und die Landbevölkerung über ihre Rechte aufklärten, zu ihren Aufgaben als Jungkommunistin. Im Frühjahr 1929 schloss Lola die Lichtwarkschule erfolgreich ab. Bereits kurze Zeit später immatrikulierte sie sich achtzehnjährig an der Juristischen Fakultät der Hamburger Universität.
Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Hamburg
Rothenbaumchaussee 33
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„Ich wollte Rechtsanwalt werden, Strafverteidiger, der angeklagte Proletarier im Rahmen des gesetzlich Möglichen zu verteidigen, vor harten Strafen zu bewahren sucht, die ihnen drohten, weil sie sich an Aktionen zur Verteidigung schon errungener Rechte und sozialen Positionen beteiligt hatten.“
Mit dem ständigen Ziel vor Augen, eine Rechtsanwältin und Strafverteidigerin des Proletariats zu werden, war Lola von Anfang an eine fleißige Studentin. Vorbild für ihren Berufswunsch war der zur damaligen Zeit in Hamburg bekannte kommunistische Anwalt Lothar Hegewisch.
Ein weiterer Grund für ihre Berufswahl war, dass ihr aufgrund ihrer fehlenden deutschen Staatsangehörigkeit weder eine juristische Staatsanstellung, noch eine Anstellung als Justitiarin in einem Unternehmen möglich war. Zu Beginn ihres juristischen Studiums kam ihr der Umstand, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, noch sehr einfach vor. Um diese zu erlangen, galt es vier Bedingungen zu erfüllen: „eine gesicherte soziale Existenz; die Beherrschung der deutschen Sprache; einen unbescholtenen Leumund und, was in meinem Fall entfiel, die Zustimmung sämtlicher rund zwanzig Staaten des Weimarer Deutschen Reichs. Wer in Deutschland geboren ist, konnte die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen, wenn sie ihm allein von seinem Geburtsstaat - in meinem Fall Hamburg - gewährt würde.“
Sie war davon überzeugt, dass sie alle Bedingungen erfüllte, doch aufgrund ihrer offenen kommunistischen Aktivitäten und Weltanschauung wurde ihr Einbürgerungsantrag abgelehnt. Durch die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit konnte sie das bevorstehende staatliche Referendarexamen an der Universität nicht ablegen. „Die juristische Laufbahn war mir jetzt ganz verschlossen.“
ABC-Straße
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„Das Jahr 1931, in welchem ich meinen späteren Mann kennen lernte, schien noch ein ruhiges Jahr zu sei, aber unter der ruhigen Oberfläche brodelte es.“
Im Jahr 1931 lernte Lola ihren späteren Ehemann Alfred Zahn im KJVD kennen. Alfred kam aus einer Arbeiterfamilie und hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich: Die Ausbildung zum Lehrer hatte er abgebrochen und war stattdessen journalistisch und politisch aktiv. Nach seiner Teilnahme am Hamburger Aufstand 1923 wurde er steckbrieflich gesucht und ging in die Sowjetunion, wo er u.a. als Schulinspektor und für die Rote Hilfe arbeitete. Nach einer Amnestie konnte er 1927 nach Deutschland zurückkehren und blieb der Sowjetunion beruflich verbunden.
Das Paar versuchte sich nun eine gemeinsame Existenz aufzubauen: „Völlig in Verkennung der […] eingeleiteten Reaktion, die im Hitlerfaschismus enden würde, eröffneten wir 1932 mit finanzieller Hilfe meines toleranten Vaters die ‚Bücherstube Neue Zeit‘“. Die antiquarische Buchhandlung betrieben sie in der Hamburger Innenstadt gegenüber dem Arbeitsamt, um Arbeiter*innen für ihre Sache zu gewinnen. Der für die politische Überzeugungsarbeit eingerichtete Zeitschriftenleserzirkel konnte aber nicht gewinnbringend betrieben werden und auch die politische Situation verkannte das Paar: „Politische und geschäftliche Ahnungslosigkeit – das war entschieden zu viel. Wir betrieben eigentlich mehr kulturelle Wohltätigke[it] ohne das so gewollt zu haben.“
Der Buchladen wurde, insbesondere nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, immer mehr zum kommunistischen Treffpunkt und Ort für illegale Aktivitäten wie Passfälschung. Bei einer Durchsuchung wurde Alfred Zahn verhaftet und wegen Hochverrats und Urkundenfälschung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Lola befand sich zu diesem Zeitpunkt bei ihren Verwandten im Rheinland und entschied bei einem Ausflug nach Paris, dort zu bleiben - wohl mehr aufgrund der politischen Verfolgung als wegen der zunehmenden antisemitischen Diskriminierung.
17 Rue de Sommerard
75005 Paris
Frankreich
„Würde einer mich nach dem glücklichsten Jahr in meinem Leben fragen, würde ich sagen: 1937."
In der Emigration verbrachte Lola die ersten zwei Jahre ohne Alfred, aber mit der (finanziellen) Unterstützung ihrer Verwandten, weshalb Lola sich von Beginn an politisch in Paris betätigen und andere Emigrant*innen unterstützen konnte. Ihrer Beschreibung nach bot die deutsche Emigration in Frankreich „ein sehr buntes Bild. Nur ein geringer Teil waren politische Emigranten, nur eine relativ kleine Zahl waren Kommunisten. Da waren Autoren verbrannter Bücher, Leute vom Theater, [...] die Schöpfer moderner Bildwerke, als entartete Kunst bezeichnet, später als Weltkunst anerkannt. Unter ihnen waren Intellektuelle jüdischer und nichtjüdischer Herkunft, hatte es doch für sie gar keine Rolle gespielt, welche Religion in der Familientradition eine Rolle spielte.“
1935 wurde Alfred aus der Haft entlassen und es gelang ihm die Flucht über die Schweiz und nach Frankreich. Lola verfolgte die politische Situation in Deutschland wie in Frankreich: „Wir wollten wenigstens in eigener Sache, also soweit es Deutschland anging, das Unsrige tun und dazu gehörte, daß wir uns an die französische Öffentlichkeit wandten, um das faschistische Regime in unserem Heimatland zu entlarven.“ Sie glaubte „Berufsrevolutionärin werden zu sollen“ und unterstützte die französische Volksfront. Sie bildete sich schnell ein umfassendes Netzwerk an Kommunist*innen und Literat*innen wie Anna Seghers, Bruno Frei, Egon Erwin Kisch, uva. Dieses Netzwerk erwirkte nicht nur ihre Freilassung aus dem Gefängnis, sondern konnte auch ihre Ausweisung verhindern, nachdem sie sich an einer Unterschriftensammlung zur Freilassung Ernst Thälmanns beteiligt hatte.
In Paris setzte Lola Zahn schließlich auch ihr Studium fort, erhielt zunächst ihr Diplom an der philosophischen Fakultät und promovierte 1937 an der Pariser Sorbonne. 6 Wochen später brachte sie ihren Sohn Edgar auf die Welt.
14 Rue du Docteur Roux
75015 Paris
Frankreich
„Ich war gerade einunddreißig Jahre alt geworden, von Feiern war natürlich keine Rede gewesen. Aber feierlich konnte einem in dieser Zeit schon zumute sein, wenn man gesund und munter ein weiteres Lebensjahr hinter sich gebracht hatte.”
Nach Lolas Dissertation lebte die Familie Zahn von den Einkünften aus ihrer Forschungsarbeit und Alfreds Tätigkeit in verschiedenen politischen Komitees. Die angespannte politische Situation beschreibt Lola in ihrem Lebensbericht als „Nervenkrieg.“ „Überall mehrten sich Anzeichen, die auf Krieg deuteten. [...] Hatten wir im Herbst 1938 mit den Franzosen in der Hoffnung auf die Erhaltung des Friedens aufgeatmet, so zerrte die nachfolgende psychologische Kriegsführung der kriegstreiberischen Kräfte, die bange Frage, bleibt der Frieden erhalten oder kommt der Krieg, an den Nerven.“
Bereits kurz vor Kriegsbeginn wird Alfred Zahn zusammen mit anderen als feindlich eingestuften Ausländern und Kommunisten verhaftet und interniert. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen und der Ablehnung verschiedener Visa-Anträge schließt sich Lola mit dem dreijährigen Edgar den vielen aus Paris Flüchtenden an: „Ein ganzes Land trat die Flucht an, die Flucht vor dem ‚Erbfeind‘, die Flucht vor der Geschichte, die Flucht vor sich selbst. Es begann das sichtbare Debakel Frankreichs.“
Auf der abenteuerlichen Flucht vor dem Voranschreiten der deutschen Armee legte sie innerhalb von 10 Tagen eine Strecke von über 800 Kilometer größtenteils mit dem Fahrrad zurück und erreichte schließlich ein Flüchtlingslager in der Nähe vom Internierungslager „Le Vernet“, in dem Alfred sich befand. Nach mehreren Monaten gelangen sie schließlich an die nötigen Unterlagen zur Ausreise. Diese Zeit der Ungewissheit erlebt sie in innerer Zerrissenheit: „Bleiben und gehen wollen, sich der Verantwortung für das Große Ganze stellen oder sich ihr entziehen, zwischen extremen Entscheidungsmöglichkeiten hin und her geschleuderte Gefühle und Gedanken.“
„In unserem Hinterkopf spukt auch auf der Flucht der Gedanke an Rückkehr in ein menschlicher zu ordnendes Europa.“
Im Frühjahr 1941 entschied sich die kleine Familie Europa vorerst zu verlassen, um „[…] der nationalsozialistischen „Neuordnung“ […] zu entkommen.“ Nachdem sie in Marseille das französische Ausreisevisum und ein spanisches sowie portugiesisches Transitvisum erhalten hatten, ging es in Portbou nach Spanien. Ihr Weg führte sie weiter mit dem Zug über Barcelona und Madrid nach Portugal, wo sie über Lissabon schließlich in Porto anlangten. Von hier aus sollte der Frachter nach Amerika ablegen. Immer wieder hatten Lola Zahn und ihr Mann dabei die Möglichkeit, Spanien auf den „[…] Spuren des Kampfes gegen den Francofaschismus“ zu erkunden oder „[…] extreme[r] Lebensgegensätze in der Gesellschaft […]“ Portugals kennenzulernen.
Nach einer vierzehntägigen Wartezeit am Hafen von Porto hieß es Abschied nehmen. Lola, Alfred und Edgar Zahn bestiegen im Februar den portugiesischen Frachter „San Miguel“, der hauptsächlich Kork geladen hatte, in Richtung der USA. Doch auch auf der Überfahrt kämpften sie stets mit ihren vom Krieg genährten Ängsten: „Wenn wir ein Unglück ins Auge fassten, so bestand es darin, dass wir trotz der auf dem Schiffsdeck gross [sic] aufgemalten Farbe des neutralen Portugals zur Zielscheibe deutscher Bomber werden könnten.“
Nach zwei Wochen erreichte die Familie Zahn an einem kalten Februartag New York, wo Lola der Anblick der Freiheitsstatue nach eigener Aussage nicht nur aufatmen, sondern auch hoffen ließ. Unter Bemühungen von Freund*innen und Verwandten reisten sie mit einem Emergency-Visitor-Visum schließlich in den USA ein: „Mit neugierigen Augen, mit Gefühlen zwischen Erwartung und Zweifel traten wir dem Neuen entgegen.“
Da keine Informationen über die genaue Lage des Hafens im Jahr 1941 vorliegen, wurde hier als Ort symbolisch Porto genommen.
56 West 93rd Street
New York, NY 10025
Vereinigte Staaten
„Dann verschluckte uns die Metropole New York.“
Ohne Arbeit verbrachte die Familie ihre ersten Wochen in New York wie „im Urlaub“. Lola Zahn beschrieb ihre Eindrücke der amerikanischen Metropole dabei als „[…] verwirrend, erdrückend, luxuriös und weitschweifig.“ Mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 erhielten sie ihre Arbeitserlaubnis. Daraufhin nahm Alfred Zahn verschiedene Jobs an, bevor ihn eine Beschäftigung als Redakteur des German American, der Wochenzeitung des linken Flügels der Deutsch-Amerikaner*innen, in Lolas Worten „erlöste“. Kurz nach dem japanischen Luftangriff auf Pearl Harbor, durchsuchte das FBI die kleine Wohnung der Familie Zahn und nahm Alfred schließlich fest. Lola sah zwischen beiden Ereignissen einen Zusammenhang: „Wieder war ein Anlass gefunden, den Kommunisten […] [Alfred] Zahn […] hinter Schloss und Riegel zu bringen, als ob er irgend etwas [sic] mit der Versenkung der fast vollständig versammelten Kriegsflotte der USA zu tun gehabt hätte!“ Nach sechs Wochen Haft wurde Alfred Zahn freigesprochen und konnte mit der schwangeren Frau nach Hause zurückkehren.
Im Juni 1942 erblickte die Tochter Evelyn das Licht der Welt. Nun begann Lola Zahn als Schreibkraft im Buchdienst der YMCA, der Vereinigung Christlicher Junger Männer, oder bei der Cooperative Wholesale Company, einer Unternehmenskette im Einzel- und Großhandel, zu arbeiten. Dabei fand sie immer wieder deutliche Worte für die US-amerikanische Arbeitswelt: „Time is money [...] Blässe strahlt keinen Optimismus aus. Keep smiling!“ Nebenbei engagierte sie sich beim German American, besonders in der Rubrik „Hier spricht die Frau“.
Ihre Anstellung als Statistikerin im Bellevuehospital, einem psychiatrischen Krankenhaus im Armenviertel Manhattans, kündigte sie aufgrund der anstehenden Rückkehr nach Deutschland. 1946 kehrte die nun vierköpfige Familie auf dem Truppentransporter Ernie Pyle nach Europa zurück und erreichte am 31. Dezember Bremerhaven.
Wossidlostraße 51
19059 Schwerin
Deutschland
„Ein hoffnungsvoll erwartetes neues Leben im wiederaufzubauenden Deutschland“
Die Ankunft in Deutschland gestaltete sich aus zweierlei Gründen unerwartet schwierig. Zum einen wurden die Ankömmlinge weder über ihre nächsten Aufenthaltsorte informiert noch mit ausreichend Nahrungsmitteln versorgt: „Wir, freiwillige Rückkehrer in unsere Heimat, wurden wie Gefangene behandelt.“ So landeten die vier Zahns schließlich im früheren Militärlager Ludwigsburg, wo sie die ersten vierzehn Tage unter US-amerikanischer Kontrolle verbrachten. Zum anderen bot sich ihnen ein Bild der Kriegszerstörung, das Lola Zahn auf der nächsten Reisestation in Stuttgart beschrieb: „Da blieb auch uns das Lachen im Halse stecken. Wir standen am Hauptbahnhof: ein Bild des Grauens. So weit das Auge vom Bahnhof aus blicken konnte, ein einziges Trümmerfeld, Riesenbrocken neben kleineren Trümmern.“
Schließlich trat die Familie die Weiterfahrt nach Berlin an. In Bruchsal passierten sie daraufhin die Zonengrenze: „Der amerikanische Grenzoffizier liess [sic] uns in seinem Dienstzimmer Platz nehmen, prüfte den uns in Stuttgart von Schlotterbeck mitgegebenen Zettel, die aus den USA mitgebrachten Papiere, gab uns eine Adresse – es war die Adresse des Büros der SED in Eisenach – sowie Brot und andere Lebensmittel für die Weiterreise mit. Das war alles andere als ein Eiserner Vorhang, das war noch ein Stück amerikanisch-sowjetischer Zusammenarbeit.“ Für Lola Zahn stand jedoch stets fest, „[…] der Vergleich zwischen West und Ost […] [fiel] zugunsten der damaligen sowjetisch besetzten Zone, nicht der amerikanisch besetzten aus.“
Im Februar 1947 erreichten sie Berlin und begannen sich ein neues Leben aufzubauen: Lola zunächst als Hausfrau und ihr Mann als Leiter eines Journalistenlehrgangs in Liebenwalde, später als Intendant am Landessender Schwerin. Aus diesem Grund zogen die Zahns bis 1949 schließlich nach Mecklenburg.
Erich-Weinter-Straße
10439 Berlin
Deutschland
„Wir waren bereit!“
Nachdem Lola bis 1949 als Dozentin im Fachbereich Politische Ökonomie an der Universität Rostock unterrichtet hatte, kehrte die Familie nach Berlin zurück. Während Alfred in den folgenden Jahren verschiedenen Anstellungen nachkommt (leitende Tätigkeiten u.a. beim Berliner Rundfunk, dem Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst und dem Dietz-Verlag), habilitierte sich Lola an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität und wurde dort Professorin für Politische Ökonomie und später auch Prodekanin. Sie wurde Mitglied zahlreicher DDR-Organisationen und war ein angesehenes Mitglied der DDR-Gesellschaft, später erhielt sie den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze.
Lola beteiligte sich an den umfangreichen Diskussionen, nachdem 1956 auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion die stalinistischen Verbrechen bekannt geworden waren. Geschockt von diesen Enthüllungen, setzte sich Lola bei den daraus erwachsenden Debatten vor allem für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ein und kritisierte die Einmischung der SED in diese Bereiche. Daraufhin geriet sie wieder in Bedrängnis, wurde des „Versöhnlertums“ bezichtigt und wegen „mangelhafter Informationen“ in ihren Vorlesungen gerügt. Nach „eingehenden Diskussionen innerhalb der Partei und der Universitätsleitung“ musste Lola Zahn 1957 die Humboldt-Universität als „aufmüpfige Intellektuelle“ verlassen (Ruschhaupt, 2001, S. 74f).
Nach vorübergehender Tätigkeit als Hausfrau und Mitarbeiterin des Finanzministeriums, konnte sie ihre wissenschaftliche Laufbahn 1961 in der Akademie der Wissenschaften der DDR fortsetzen, wo sie bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1971 am dortigen Institut für Wirtschaftswissenschaften blieb.
Berolinastraße 4
10178 Berlin
Deutschland
„Gerade in bewegten Zeiten braucht man viel Kraft u. Zeit, Schritte zu seiner Selbstbehauptung zu unternehmen. [...] Nachdenken über sich selbst und seine Zeit kostet Zeit u. Kraft, die man sich absparen muss.“
Ein gemeinsamer Ruhestand war dem Ehepaar Zahn nicht vergönnt, Alfred Zahn starb am 14.04.1972. Lola blieb jedoch auch in der Rentenzeit wissenschaftlich, publizistisch und als Herausgeberin tätig, beging zahlreiche Forschungsreisen nach Frankreich und Belgien und beteiligte sich an öffentlichen Diskussionen.
Die Wende beobachtete Lola bereits im hohen Alter und mit wechselnden Gefühlen. Sie schreibt in ihren Wende-Tagebüchern, dass sie die „Enttäuschung, dass der Versuch zu einer besseren Gesellschaft zu gelangen, jetzt gescheitert ist […] im Denken in historischen Dimensionen” einigermaßen verarbeitet habe, und „’mit neuem Denken’ politisch und persönlich begonnen” habe, aber auch, dass ihr „traurig zu Mute“ sei und ihr „das einige Deutschland [...] nicht so sehr am Herzen liegt“. Vor allem die mit dem Ende der DDR einher gehenden wirtschaftlichen Veränderungen verfolgte sie gespannt: „Im Krieg fällt ein Land, wenn seine Fahne in den Dreck des Schlachtfeldes sinkt.[...] Im Frieden versinkt ein Land ins Nirwana, wenn sein Geld an Wert verliert, und wie erst wenn sein Geld zu gelten aufhören, zu Nichtgeld, [...] Spielgeld, Erinnerungszeichen wird.“
Nachdenklich beschrieb sie das Zusammenbrechen ihres gesamten politischen und professionellen Umfeldes aus Partei, Gewerkschaft, Akademie und VVN und fühlte sich von ihren Genoss*innen enttäuscht - „Geld weg? Mission weg?”. Dennoch versuchte sie aber alles „auf sich zukommen zu lassen“, zieht sich ins familiäre Umfeld zurück und widmet sich in den folgenden Jahren der Verfassung ihres Lebensberichtes. Sie überlebte ihren Mann Alfred um 26 Jahre und starb am 17.02.1998.
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