Beruf
Schriftsteller, Philosoph
Geburtsdatum
08.02.1872
Geburtsort
Hannover
Gender
Mann
Stationen
Titel
Unglückliche Kindheit
Adresse

Georgstraße 30
30159 Hannover
Deutschland

Adressbeschreibung
Georgstraße 30 ist die historische Adresse. Das Haus ist nicht erhalten. Das Gebäude, das heute an der Stelle steht, trägt die Hausnummer 27-29.
Geo Position
52.374297, 9.738501
Stationsbeschreibung

In der großbürgerlichen Wohnung des Arztes Sigmund Lessing und seiner Frau Adele, geborene Ahrweiler, in Hannovers nobler Mitte kam Theodor Lessing am 8. Februar 1872 zur Welt. Bereits die Schwangerschaft Adeles stand unter keinen guten Voraussetzungen für eine glückliche Kindheit, denn Sigmund Lessing hatte seiner Ehefrau bereits in der Hochzeitsnacht gestanden, dass er lieber ihre Schwester, die angeblich hübscher und klüger war, geheiratet hätte. Da es sich aber um eine arrangierte Geldehe handelte, hatte sich Sigmund mit dem Verhandlungsergebnis abgefunden, zumal Adele die höhere Mitgift bekam. 

Die Eltern gingen sich so viel wie möglich aus dem Weg. Der Vater war cholerisch bis gewalttätig, die Mutter fügte sich in ihr Schicksal ein. Kurz nach Theodors Geburt zeugten sie ein weiteres Kind – Sophie kam 1873 zur Welt. Theodor Lessing schrieb später in seiner Autobiografie vom Ekel, den er vor seiner Mutter hatte und der Furcht vor seinem Vater. Besonders erschütternd ist diese Beschreibung: „Der Austausch von Zärtlichkeiten war mir von Seiten beider Eltern stets zuwider. Küsse, Streicheln, selbst freundliche Worte waren mir stets eine Pein."

Titel
Schwierige Schulzeit
Adresse

Georgsplatz 1
30159 Hannover
Deutschland

Geo Position
52.370333, 9.743191
Stationsbeschreibung

Theodor Lessing mied seine Eltern und flüchtete sich in die Welt der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte. Dort fand er Vorbilder und verfasste bereits als Zehnjähriger bemerkenswerte Texte und Gedichte. Sie sind vor allem von seinem tief verwurzelten Kummer geprägt. Denn neben der Verachtung, die er für seine Eltern – vor allem für seinen Vater hegte – litt er unter seiner jüdischen Herkunft. In der Schule wurde er von Klassenkameraden und Lehrern verhöhnt, und zu Hause hatte er niemanden, dem er sich anvertrauen konnte. Stattdessen schrieb er – was für einen Jungen seines Alters durchaus ungewöhnlich ist – ausführlich Tagebuch. 
 
Das Elternhaus war nicht religiös und bot ihm keine Möglichkeit einer positiven Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben. Theodor Lessing schrieb später über diese Jahre: „Ein Kind zernagte sich! Es konnte nicht fertig werden mit der Erkenntnis, daß jedes Aufbegehren wider Abkunft, Elternhaus und Heimat just den Boden zerstört, aus dem allein Nahrung zu gewinnen ist."

1888 musste der begabte, aber unangepasste Schüler Theodor Lessing das renommierte Ratsgymnasium in Hannover verlassen. Die anschließende Banklehre brach er ab. Sein Abitur machte er 1892 an einem Internat in Hameln.

Titel
Studienjahre
Adresse

Amalienstraße / Theresienstraße
80333 München
Deutschland

Geo Position
48.147625, 11.576687
Stationsbeschreibung

Nachdem Theodor Lessing 1892 das Abitur geschafft  hatte, bestand sein Vater, der ja Arzt war, auf ein Medizinstudium. Theodor begann ohne große Begeisterung das Studium in möglichst größter Entfernung von seinen Eltern; in Freiburg im Breisgau. Und um sich noch weiter abzugrenzen, trat er aus der Jüdischen Gemeinde aus. Die mangelnde Begeisterung für das Medizinstudium machte er mit großem Fleiß wett und bestand das 1. Examen mit Auszeichnung. Die Doktorarbeit wollte er in München schreiben, denn dort studierte sein alter Schulfreund aus den Tagen am Ratsgymnasium Hannover, Ludwig Klages.

In München fand Lessing ab 1894 schnell Anschluss – doch waren es keine angehenden Mediziner*innen, mit denen er Freundschaft schloss, sondern Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen und Maler*innen, die den Münchener Stadtteil Schwabing zu einem Künstler*innenviertel, das schnell überregionale Bedeutung erlangte. Theodor Lessing fühlte sich endlich anerkannt und in seiner Begabung bestätigt, die sich schon in frühester Jugend im Bereich der Literatur gezeigt hatte. Als sein Vater 1896 starb, gab Lessing die geplante Dissertation in Medizin auf, um sich ganz der Literatur, Philosophie und Psychologie zu widmen. 

Titel
Kurzes Familienglück
Adresse

Stiftung 1
98663 Haubinda
Deutschland

Geo Position
50.337771, 10.645002
Stationsbeschreibung

1899 promovierte Theodor Lessing in Philosophie, und er verliebte sich in die junge Adlige Maria Stach von Goltzheim. Sie heirateten 1900 entgegen dem Widerstand beider Familien. Zuvor war Theodor Lessing wieder in die Jüdische Gemeinde eingetreten, was seinen zukünftigen Schwiegervater noch mehr gegen ihn aufbrachte. In einem unveröffentlichten Manuskript berichtet Theodor Lessing von den Feindseligkeiten: „Der Vater schrieb mir [...], ich möge nicht wagen, meine Hände nach [seiner Tochter Maria] auszustrecken, man wünsche keine ,Judenferkel' in der Familie zu haben, ich solle mir eine Person meines Standes und meiner Rasse suchen; auch wurde ich in den Familienbriefen nie anders als ,schmutziger Jude, Judenlümmel, Dreckjude' und mit ähnlichen Worten benannt."

Das Paar bekam zwei Kinder: Judith wurde 1901 geboren, Miriam kam 1902 zur Welt. Die junge Familie zog von München ins thüringische Haubinda, wo Lessing ab 1901 als Lehrer an einer reformorientierten Schule arbeitete – 1904 verließ Maria ihn und die Kinder. Theodor Lessing war nun alleinerziehender Vater. Wie immer in Krisenzeiten, fand Theodor Lessing auch diesmal Zuflucht in geistiger Arbeit: Er plante eine Habilitation, hielt gegen geringes Honorar Vorträge und begann in Göttingen, Theaterkritiken zu schreiben. 

Titel
Theaterkritiker
Adresse

Theaterplatz 11
37073 Göttingen
Deutschland

Geo Position
51.536661, 9.939929
Stationsbeschreibung

Lessings Liebe zum Theater hatte ihre Wurzeln bereits in seinen Kindertagen: Sein Vater hatte als Arzt nahezu das gesamte Ensemble des hannoverschen Hoftheaters behandelt, und eine Schauspielerin, Grete Ehrenbaum, hatte sich seiner oft mütterlich angenommen. Im konservativen Göttingen sorgten Lessings Kritiken für reichlich Aufregung und Entrüstung. Parallel zu seiner journalistischen Arbeit versuchte Lessing, beim Göttinger Philosophie-Professor Edmund Husserl (1859–1938) zu habilitieren, um den Titel „Professor" zu erlangen. 

Husserl aber stand den Thesen des begabten Mannes skeptisch gegenüber. Lessing war inzwischen 34 Jahre alt, und vielleicht befürchtete Husserl gar eine Konkurrenz. Das Schicksal wollte es, dass Theodor Lessing auf Empfehlung seines Münchener Lehrers Theodor Lipps (1851-1914) eine Empfehlung für die Technische Hochschule Hannover erhielt:

„Und so landete ich 1908 in der Stadt, wo auf jedem Pflastersteine eine Träne und ein Seufzer meiner Jugend lag. Enttäuschter ist nie ein Kind in die Heimat zurückgekehrt. So bin ich denn also Philosoph in Hannover geworden und bin es durch achtzehn Jahre geblieben, ohne je befördert oder besoldet zu sein und ohne irgendeine Aussicht auf Hilfe für mein Alter." 

Titel
Wieder in Hannover: bewegte Jahre
Adresse

Am Welfengarten 1
30167 Hannover
Deutschland

Geo Position
52.3826, 9.717733
Stationsbeschreibung

1907 habilitierte sich Lessing an der Technische Hochschule Hannover und im Oktober 1908 wurde er dort als Privatdozent für Philosophie angestellt. Das Honorar war sehr gering und so arbeitete er freischaffend weiter als Publizist. Im Jahr 1907 wurde seine Ehe geschieden und er begegnete ausgerechnet in Hannover der Liebe seines Lebens: Ada Grothe-Abberthern (1883–1953); Sie hatte ebenfalls eine gescheiterte Ehe hinter sich. 

„Die Niederlassung in der Heimatstadt brachte aber ein großes Glück. Zunächst: meine Kinder konnten nun zu mir (sie waren bis dahin in einem Landerziehungsheim), um auf immer bei mir zu bleiben, denn im Forsthaus im Walde fand ich meinen Lebensgefährten, meinen Kameraden; von nun ab in allen Lebensnöten mir zur Seite."  

Die Beziehung wurde bald auf eine harte Probe gestellt: Im April 1912 verunglückte Lessings Tochter Miriam aus erster Ehe tödlich. Ada stand ihm zur Seite und im Juli 1912 gaben sich die beiden das Ja-Wort. 1913 kam die gemeinsame Tochter Ruth zur Welt. 

Titel
Die Freie Volkshochschule in Hannover
Adresse

Theodor-Lessing-Platz 1
30159 Hannover
Deutschland

Adressbeschreibung
Himmelreich lautet die historische Adresse. Der Platz ist nicht erhalten.
Geo Position
52.368565, 9.738089
Stationsbeschreibung

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich Theodor Lessing als Lazarettarzt, um dem Militärdienst an der Front zu entgehen. Außerdem nahm er seine Lehrertätigkeit wieder auf. Der Universitätsbetrieb war weitgehend eingestellt. 

Mit seiner Frau Ada entwickelte Theodor Lessing Pläne für eine Erwachsenenbildungsstätte, die sich vor allem auch Menschen mit geringem Einkommen wandte, um ihnen einen Zugang zu Wissen und Bildung zu ermöglichen. 1920 war es soweit: Im Arbeiter-Stadtteil Hannover-Linden eröffneten Theodor und Ada Lessing die Freie Volkshochschule. Bildungsarbeit, Kreativität und soziales Engagement standen im Zentrum der Kurse. Ada Lessing wurde Geschäftsführerin. Die Geschäftsstelle befand sich in Hannovers Mitte: Am Himmelreich. Der Platz existiert heute nicht mehr. Die heutige Volkshochschule in Hannover bewahrt das Andenken an Ada und Theodor Lessing: Seit 2006 heißt sie Ada-und Theodor-Lessing-Volkshochschule, die Adresse lautet Theodor-Lessing-Platz 1.

Zur Jahresfeier des fünfjährigen Bestehens hielt Theodor Lessing eine Ansprache zur Bedeutung der „Volkshochschule als Kulturwert". Dort fasste er die Grundsätze der Bildungsarbeit zusammen: „Wissen ist Macht! – Wissen macht frei! – Bildung ist Schönheit!"

Titel
Der Haarmann-Prozess
Adresse

Volgersweg 65
30175 Hannover
Deutschland

Adressbeschreibung
Am Justizgebäude 1 lautet die historische Adresse. Der Neubau des Landgerichts Hannover aus den 1950er Jahren steht in unmittelbarer Nähe.
Geo Position
52.378194, 9.745736
Stationsbeschreibung

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm Theodor Lessing seine Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Hannover wieder auf. Außerdem arbeitete er journalistisch. Seine Texte erschienen in überregionalen Zeitungen wie dem „Prager Tagblatt". 1924 berichtete er als Gerichtsreporter über einen spektakulären Mordprozess am Landgericht Hannover, der als „Haarmann-Prozess" in die Geschichte eingegangen ist. Angeklagt war ein 45 Jahre alter Mann, Fritz Haarmann, der mindestens 24 junge Männer ermordet hatte. Der scharfsinnige und gesellschaftskritische Prozessbeobachter Theodor Lessing schrieb über die Mitschuld der Gesellschaft an der Mordserie und wurde am elften Verhandlungstag wegen seiner kritischen Berichterstattung vom weiteren Prozess ausgeschlossen.

„Heute ist die Menschheit entsetzt über Haarmann. Dieselbe Menschheit, die nach den Materialschlachten mit fünfhunderttausend Toten ihre Feldherren mit Orden schmückte, ist über einen Mann entsetzt, der vielleicht zwanzig, dreißig Menschen umgebracht hat. [...] Sehen Sie, das meine ich mit unserer Schuld, von der in diesem Prozess gesprochen werden muss." Lessing ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte 1925 das Buch „Haarmann – Die Geschichte eine Werwolfs". 

Titel
Die Hindenburg-Affäre
Adresse

Jägerstraße/Wickopweg
30167 Hannover
Deutschland

Geo Position
52.382174, 9.712757
Stationsbeschreibung

1925 zog Lessing mit einem weiteren Text antisemitische Hetze auf sich. Er hatte am 25. April 1925 im „Prager Tagblatt" einen Aufsatz veröffentlicht, der sich kritisch mit der Wahl des betagten Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg (1847-1934) zum Reichspräsidenten auseinandersetzte. Eine Kurzfassung erschien am 8. Mai 1925 im „Hannoverschen Kurier" und löste die Hetzkampagne gegen Lessing aus: Studenten*innen boykottierten seine Lehrveranstaltung und er wurde auf offener Straße körperlich angegriffen. 

Die Unruhen dauerten über ein Jahr. Im Frühsommer drohten 1500 Studierende damit, sich an der Technischen Universität Hannover zu exmatrikulieren, sollte Lessing weiterhin Professor bleiben. Er wurde als „Skandal-Professor", „Schmutzfleck im Lehrkörper" und als „mit deutschfeindlichen Zeitungen schachernder Jude" beschimpft. Unter diesem Druck entzog das Kultusministerium Lessing die Festanstellung an der Technischen Universität Hannover.

Titel
Flucht aus Deutschland
Adresse

Am Tiergarten 44
30559 Hannover
Deutschland

Adressbeschreibung
Die historische Adresse ist die Tiergartenstraße 165. Das Haus ist erhalten.
Geo Position
52.362274, 9.848475
Stationsbeschreibung

In den späten 1920er Jahren spürte Theodor Lessing, dass seine Zeit in Deutschland dem Ende zuging. Er reiste nach Ägypten, Palästina und Griechenland, er erwog die Möglichkeit, mit seiner Familie nach Spanien ins Exil zu gehen. Auf Empfehlung von Albert Einstein engagierte er sich für die Gründung einer Flüchtlingsuniversität in England. Aber er blieb in Hannover – noch. Ende Februar 1933 entschloss er sich zur Flucht. Zwei Tage nach dem Reichstagsbrand verließ Lessing in Begleitung seiner Tochter Ruth Hannover und reiste mit ihr ins vermeintlich sichere tschechische Marienbad. Ada Lessing blieb noch in der Stadt, um organisatorische Dinge zu regeln. Sie hatte in der Wohnung ihrer Tochter Unterschlupf gefunden, denn bereits in der Nacht der Abreise wurde das Wohnhaus der Familie von Nationalsozialisten verwüstet. 

Ada Lessing verließ Hannover im Juli 1933 und reiste zu ihrem Mann und ihrer Tochter nach Marienbad. Sie wohnten in der Villa Edelweiß, wo sie planten, ein Landerziehungsheim für Mädchen zu eröffnen. Am Abend des 30. August 1933 wurde Theodor Lessing durch das geschlossene Fenster an seinem Schreibtisch von Nationalsozialisten niedergeschossen und schwer verletzt. Er erlag wenige Stunden später seinen Verletzungen.   

Sterbedatum
31.08.1933
Sterbeort
Marienbad

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Autor
Ulrike Brenning