Karoline „Chaile“ Kaulla ist eine der berühmtesten Hoffaktorinnen der Frühen Neuzeit. Heute ist sie vor allem unter dem Namen Madame Kaulla bekannt. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie dessen Geschäfte als Hoffaktor und führte das Familienunternehmen weiter. Zu ihrem Verantwortungsbereich zählten Heereslieferungen sowie der Handel mit Pferden, Luxuswaren und die Vergabe von Krediten. Durch ihren Erfolg als Hoffaktorin, galt sie als wohlhabendste deutsche Frau ihrer Zeit. Nur wenige jüdische Männer erhielten die Privilegien, die mit der Stellung als Hoffaktor einhergingen. Noch deutlich weniger jüdische Frauen hatten die Möglichkeit, durch eigene Unternehmen wirtschaftlich und gesellschaftlich aufzusteigen. Umso außergewöhnlicher ist die Biografie von Karoline Kaulla, die sich als Geschäftsfrau bis in den Dienst des Kaiserhofes bewährte.
Den dadurch gewonnen Einfluss nutzte sie auch für soziale sowie wohltätige Zwecke und für den Schutz und die Unterstützung der jüdischen Gemeinde.
Schussenrieder Straße 17
88422 Bad Buchau
Deutschland
Karoline Kaulla wurde 1739 als ältestes Kind von Raphael Isaak ben Benjamin und seiner Frau Rebecca Wassermann in Buchau geboren; Ihr genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. Sie war das älteste von sechs Kindern. Ihr Vater war jüdischer Gemeindevorsteher in Buchau am Federsee und Landesvorsteher in Haigerloch. Außerdem bekleidete er die wichtige Stellung eines Hofjuden, auch Hoffaktor genannt, des Fürsten Joseph Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen.
Die Aufgabe der Hoffaktoren bestand im 17. und 18. Jahrhundert darin, Hof und Heer eines Landesherrn mit Material und Ausrüstungsgegenständen zu beliefern. Sie arbeiteten zudem als Bankiers und Finanzberater. In dieser privilegierten Stellung standen Hofjuden und ihre Familien unter dem Schutz des Landesherrn, mussten aber dennoch stets befürchten, ihre Ansiedlungspatente zu verlieren. Umso wichtiger war es, die erworbene Stellung durch wachsenden Reichtum zu festigen.
Karoline Kaulla hieß als Kind nicht ‚Karoline’, sondern ‚Chaile’; Es war der Name ihrer Großmutter. Dieser hebräische Name wandelte sich im Laufe ihres Lebens zu ‚Chaula’, ‚Kaula’ und auch ‚Kaulla’. Als Vornamen nahm sie ab ihrem 30. Lebensjahr den Rufnamen ‚Karoline’ an, was ein Zugeständnis an christliche Geschäftspartner war.
Goldschmiedstraße 22
72379 Hechingen
Deutschland
Im Jahr 1747, als Chaile acht Jahre alt war, wechselte ihr Vater Raphael Isaak die Stellung. Er wurde Hofjude des Fürsten Friedrich Ludwig von Hohenzollern-Hechingen und drei Jahre später in derselben Position beim Sohn des Fürsten Joseph Wilhelm. Die kleine Familie – noch hatte Chaile keine Geschwister – zog von Buchau nach Hechingen. Die Kleinstadt lag an einer wichtigen Handelsstraße, der Schweizerstraße, die von Stuttgart über Tübingen, Hechingen und Balingen nach Schaffhausen und zu den Alpenpässen führte. Für die Warentransporte, die Raphael Isaak in seiner Funktion als Hofjude organisierte, war Hechingen ein günstiger Wohnort.
Ärmere Jüdinnen*Juden lebten außerhalb der Stadt in einem Ghetto - Nur zehn wohlhabende Familien, darunter die von Raphael Isaak, durften innerhalb der Stadtmauern wohnen.
Raphael Isaak sorgte für eine außergewöhnliche Erziehung seiner erstgeborenen Tochter und der weiteren fünf Geschwister. Sie hatten neben dem jüdischen Hauslehrer auch einen christlichen, der die Kinder in deutscher Sprache unterrichtete. Raphael Isaak selbst gab ihr den Unterricht in Wirtschafts-Disziplinen, und da Karoline elf Jahr lang ohne Geschwister blieb, wuchs sie früh mit einem großen Selbstverständnis für den Beruf des Vaters heran.
Schloßstraße 11
72379 Hechingen
Deutschland
1757 heiratet Chaile den Pferdehändler Akiba (Kieve) Salomon Auerbacher, der aus Nordstetten stammte. Zwar war es eine arrangierte Ehe, dennoch sie war glücklich. Dem Paar wurden fünf Kinder geboren: vier Söhne und eine Tochter.
Akiba Auerbacher war sehr vermögend und besaß bei der Eheschließung bereits ein Haus in der Schlossstraße 11 in Hechingen. Er war jedoch nicht besonders an Geschäften interessiert und widmete sich lieber religiösen Studien, weshalb er seiner Ehefrau umgehend die Leitung der Pferdehandlung überließ. Die junge Frau war im männerdominierten Pferdehandel außerordentlich erfolgreich.
1760 starb Chailes Vater Raphael Isaak bei einem Unfall. Der älteste Sohn Jakob war erst 10 Jahre alt, und damit war es an Chaile, neben der Leitung der Pferdehandlung auch die Verantwortung für das elterliche Unternehmen der Hoffaktorei zu übernehmen. Hier bewährten sich die frühen Erfahrungen, die sie bereits als Heranwachsende im Geschäft ihres Vaters machen konnte.
Zum Hechinger Fürsten Joseph Wilhelm, einem passionierten Jäger und Pferdeliebhaber, unterhielt sie beste Beziehungen, was dazu führte, dass sie am 29. Februar 1768 das Patent als Hoffaktorin am Fürstenbergischen Hof zu Donaueschingen erhielt. Sie änderte ihren Namen von „Chaile“ in „Chaula“ und unterschrieb nachfolgende Dokumente fortan mit „Kaula, Hoffaktorin“. Der Name Auerbach findet hier nun keine Erwähnung mehr, was deutlich macht, dass ihr Mann völlig hinter sie zurückgetreten war.
Solitude 1
70197 Stuttgart
Deutschland
Madame Kaullas guter Ruf als Hoffaktorin in Hechingen und in Donaueschingen drang schnell bis an den Württembergischen Hof in Stuttgart. Am 7. Juli 1770 wurde ihr der Titel „Herzoglich Württembergische Hoffaktorin“ verliehen. Ihr Auftraggeber war Herzog Carl Eugen, der den Stuttgarter Hof seit über 20 Jahren zu einer der prächtigsten Residenzen Deutschlands ausgebaut hatte. Da er dabei allerdings ständig sein Budget überzog, bedrückte eine große Steuerlast die Untergebenen.
1770 traten gleich zwei Frauen in das Leben des Herzogs, die einen stabilisierenden Einfluss auf ihn hatten: Während Madame Kaulla über die Ausgaben wachte, beeinflusste Franziska von Leutrum, die ab 1772 auch offizielle Mätresse des Herzogs war, ihn in seiner Lebensführung. Carl Eugen zeigte nun Interesse an der Wohlfahrt seines Landes, an der Verbesserung der Schulbildung und an Steuerentlastungen für seine Untertanen*innen.
Inzwischen war Madame Kaullas Bruder Jakob in die Firma eingetreten, wo sie ihm die Stellung als ihr Stellvertreter anvertraut hatte. Da in Europa infolge der Französischen Revolution verschiedene Kriege geführt wurden, belieferte das Familienunternehmen nun auch den Kaiserhof in Wien mit Pferden, Sätteln, Waffen, Uniformen sowie Munition. Der Gefahr in den Kriegsgebieten trotzend, unternahm sie selbst zum Wohl der Firma Pferdelieferungen dorthin.
Schmale Str. 11
70173 Stuttgart
Deutschland
Die Gewinne aus der Truppenversorgung machten es ihr möglich, Kredite zur Kriegsfinanzierung zu vergeben und dabei Millionen zu verdienen. 1802 eröffneten Karoline Kaulla und ihr Bruder Jakob in Stuttgart in der Schmalen Straße 11 ein eigenes Bankhaus: M. & J. Kaulla, wobei M. und J. für Madame und Jakob stehen. Es war in erster Linie eine Bank zur Abwicklung der enormen Finanzgeschäfte, die die eigene Firma „Kaulla et Cie" erwirtschaftete.
Als sich der württembergische Herzog Friedrich noch im selben Jahr zur Gründung einer Hofbank entschloss, konnte er auf die Geschwister Kaulla zählen. Als Gründungskapital stellten der Hof und das Wechsel- und Handelshaus Kaulla je 150.000 Gulden bereit. Bald wurde das Kapital auf 500.000 Gulden aufgestockt. Für Karoline Kaulla und ihre Familie brachte die Kooperation enorme Vorteile und Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung Württembergs. Über die Hofbank liefen die Geldtransfers des Hofes, und hier wurde das Privatvermögen Friedrichs verwaltet, der 1806 die Königswürde annahm, wodurch Württemberg zum Königreich wurde. Noch über Generationen hinweg haben die Nachkommen von Karoline Kaulla eine bedeutende Rolle im Stuttgarter Bankwesen gespielt. Die Geschäftstradition der Deutschen Bank in Stuttgart lässt sich bis zur 1802 gegründeten Hofbank zurückverfolgen.
1806 erhielten Karoline Kaulla, vier weitere Familienmitglieder und deren Angehörige die bürgerliche Gleichstellung und durften sich in Stuttgart ansiedeln. Doch die Chefin des Unternehmens hatte längst wichtige Aufgaben in Hechingen wahrzunehmen. Von ihrem Vater hatte sie „in der Münz“ in Hechingen ein Haus geerbt, das sie zum Wohnhaus der Familie ausbaute und zudem im Haus selbst eine Talmud-Schule und eine Stiftungssynagoge einrichtete. Sie wurde bis 1848 genutzt. Seither befinden sich die Torarollen und die Vorhänge für den Toraschrein in der Hechinger Synagoge in der Golschmiedstraße.
Am 18. März 1809 starb Madame Kaulla und wurde in Hechingen beerdigt. Die Grabinschrift lautet: „Hier liegt geborgen ein seltenes, reines Weib. Als Vorbild ihres Stammes wurde sie betrachtet. Eine vornehme Frau, die nach Gerechtigkeit strebte. Unter Königen erwarb sie sich einen guten Namen. An Weisheit, an Rat war sie bedeutender als jeder Mann. Ihr Haus zierte sie mit einem guten Namen. Einen guten Namen für die Ewigkeit hat sie vererbt."
Neuen Kommentar hinzufügen