Beruf
Journalistin, Aktivistin
Geburtsdatum
27.02.1859
Geburtsort
Wien
Gender
Frau
Stationen
Titel
Eine Kindheit in Wien
Adresse

Liechtensteinstraße 2
1090 Wien
Österreich

Adressbeschreibung
Die heutige Liechtensteinstraße 2 entspricht auch der historischen Liechtensteinstraße. Benannt wurde sie 1862 nach Johann Adam Andreas Fürst von Liechtenstein.
Geo Position
48.215837, 16.364046
Stationsbeschreibung

Bertha Pappenheim wurde am 27. Februar 1859 als Tochter von Sigmund (1824-1881) und Recha Pappenheim (1830-1905), geborene Goldschmidt, in Wien geboren. Pappenheim wuchs als ältestes Kind mit ihrem Bruder Wilhelm (1860-1937) auf. Mit ihren Eltern lebten sie ein zurückgezogenes orthodox-jüdisches und wohlhabendes Leben. Sie wuchs in dem Spannungsfeld der Jüdinnen*Juden auf, sich, auf der einen Seite, ihrem christlichen Umfeld anpassen und, andererseits, den Bestrebungen der zugezogenen Jüdinnen*Juden aus dem Osten, auch ihrem Vater, an ihren orthodox-jüdischen Traditionen festhalten zu wollen. Ihre Sozialisation im Elternhaus zielte vorrangig auf die Einhaltung religiöser Gebote ab. Sie erlernte die hebräische Sprache, Gebete,  religiöse Riten und vertiefte das Erlernte in der von ihrem Vater mitbegründeten Wiener „Schiffschul", einer Synagoge. Später klagte sie an: „Der dreizehnjährige Knabe, ein Kind, empfängt die Weihe der Selbstverantwortung; er wird in die Gemeinde aufgenommen, bei Gebetsversammlungen zählt er mit, an Ritualgebräuchen nimmt er teil, er hat Anspruch und Anteil an der Tora, er kann die reine Lehre aufnehmen, sich in ihr stärken und begeistern, sein sittliches Empfinden verfeinern!" wohin gegen sie nur in der korrekten Ausführung religiöser Riten unterrichtet wurde. Pappenheim verbrachte ihren Alltag mit dem Klavierspielen, was ihr zuwider war. Das Reiten und die Stickarbeiten waren hingegen etwas, was sie über ihre Kindheit hinaus noch im Erwachsenenalter gerne mochte. 

Titel
Zwischen Tradition und Moderne
Untertitel
Bertha Pappenheim wird zur jungen Frau
Adresse

Große Schiffgasse 8
1020 Wien
Österreich

Adressbeschreibung
Die heutige Große Schiffgasse entspricht auch der historischen Großen Schiffgasse. Die Synagoge „Schiffschul" wurde nach der Straße benannt.
Geo Position
48.216206, 16.375635
Stationsbeschreibung

Pappenheims Vater, der Getreidehändler Sigmund Pappenheim, war ein konservativer Mann. Im Zwiespalt zwischen den Orthodoxen und Reformern der jüdischen Gemeinde in Wien im 19. Jahrhundert plädierte er für das Festhalten an traditionellen Formen des Glaubens. Die „Schiffschul" war es, die seinen Einsatz für ein orthodoxes und konservatives Judentum in Wien prägte. Diese Synagoge, gelegen in der Wiener Schiffgasse 8 und feierlich eröffnet am 16. September 1864, sozialisierte Bertha Pappenheim. Ab ihrem sechsten Lebensjahr besuchte Pappenheim, wie viele jüdische Kinder aus wohlhabenden Familien, eine katholische Privatschule. Sie lernte Englisch, Französisch, Italienisch sowie Jiddisch und Hebräisch und bildete sich auch in weltlichen Dingen fort. So beklagte sie bereits im Jugendalter immer wieder die Ungleichbehandlung der Geschlechter. Bertha Pappenheim wuchs in starken gesellschaftlichen Umbrüchen auf. Sie balancierte stets in dem Konflikt zwischen einem traditionellen jüdischen Frauenbild einer liebenden vielfachen Mutter und Hausfrau sowie einer gebildeten emanzipierten Frau. Mit sechzehn Jahren beendete Bertha Pappenheim 1875 ihre Schule, wonach traditionell eine Ehe folgen sollte. Hierauf wurde Bertha Pappenheim insbesondere von ihrer Mutter, durch das Zubereiten von koscheren Speisen und das Erlernen der Speisevorschriften, vorbereitet. Heiraten sollte Bertha Pappenheim heiratete nie. 

Titel
„Während alle sie anwesend glaubten, lebte sie Märchen durch"
Untertitel
„Anna O." und das Sanatorium Bellevue
Adresse

Hauptstrasse
8280 Kreuzlingen
Schweiz

Adressbeschreibung
Die "Villa Belle-Vue" liegt heute an der Hauptstraße in Kreuzlingen. Ein Gebäude beherbergt heute die private „Venenklinik Bellevue".
Geo Position
47.64887, 9.17491
Stationsbeschreibung

Als ihr Vater 1880 schwer erkrankte, wurde auch die 21-jährige Bertha Pappenheim schlagartig krank. Als „Anna O" ging sie in die Geschichte der Psychoanalyse nach Siegmund Freud ein. Ein ausführlicher Krankenbericht zeugt von ihrem zweijährigen Aufenthalt bei Dr. Breuer am „Sanatorium Bellevue" und wurde durch Siegmund Freud, seinem Kollegen, in den „Studien über Hysterie" 1895 veröffentlicht. Schwer traumatisiert „halluzinierte sie schwarze Schlangen, die aus den Wänden kröchen, und eine, die am Vater hinkroch, ihn zu töten. Ihr rechter Arm war durch die Lage taub geworden […] Als die Halluzinationen verschwunden war, wollte sie in ihrer Angst beten aber ihre Sprache versagte, sie konnte keine sprechen, bis sie endlich einen englischen Spruch fand und nur in dieser Sprache fortdenken und beten konnte." Als ihr Vater am 5. April 1881 verstarb, wurde Dr. Josef Breuer zur wichtigsten Vertrauensperson. Dr. Breuer diagnostizierte eine „Hysterie", damals keine seltene Diagnose, die insbesondere bei jungen, unverheirateten Frauen gestellt wurde. Die „Redekur", die ihr zur Heilung verhalf, ein von Pappenheim selbst erfundener Begriff, wurde später von Sigmund Freud zur „Gesprächstherapie" weiterentwickelt. In dem einzigen erhaltenen Dokument, in dem sich Pappenheim selbst zu ihrer Krankheit äußert, schrieb sie im September 1882: „I, a native German girl, am now totally deprived of the faculty to speak, to understand or to read German. […]"

Titel
„Mich tröstet der Gedanke, daß ich einen dummen Mann oder ein mißratenes Kind hätte haben können"
Untertitel
Umzug nach Frankfurt
Adresse

Theobald-Christ-Straße 21
60316 Frankfurt am Main
Deutschland

Geo Position
50.114633, 8.69779
Stationsbeschreibung

Schon in der frühen Jugend prangerte Bertha Pappenheim die Ungleichbehandlung jüdischer Mädchen und Jungen an, so schrieb sie in „Das jüdische Mädchen": „Trotzdem den alten Juden die Erfahrung der Unentbehrlichkeit der Frau nicht entgangen sein konnte, wird das weibliche Kind als ein Geschöpf zweiter Güte betrachtet". Ermutigt durch ihre entfernte Cousine Anna Ettlinger, die sie immer wieder in Karlsruhe besuchte, schmiedete Pappenheim schon während ihres Aufenthalts im „Sanatorium Bellevue" Pläne für die Zukunft. Ende der 1880er Jahre zog Pappenheim zusammen mit ihrer Mutter in deren Heimat Frankfurt am Main. Hier erwuchs ab 1888 eine handfeste Idee: Unter männlichem Pseudonym und gelöst aus dem Stigma ihrer Erkrankung veröffentlichte Pappenheim Bertha Pappenheim ihr zuvor nur für sich behaltenes „Privattheater", wie  „Kleine Geschichten für Kinder" oder „In der Trödelbude". Motiviert durch die traditionelle Wohltätigkeit des Judentums, setze sie sich für die Schwächsten der Gesellschaft ein. Sei es mit dem Ausschank in der Armenküche oder der Fürsorge der neuankommenden Jüdinnen*Juden aus dem Osten: für Bertha Pappenheim galt in ihrer Arbeit stets das Credo: „Hilfe zur Selbsthilfe". Nach dem Tod der Leiterin 1897 übernahm Pappenheim – sie hatte zuvor das Waisenhaus als Krankheitsvertretung geleitet – die Leitung des Hauses, gelegen in der Theobaldstraße 21.

Titel
„Als hätte es Anna O. nie gegeben"
Untertitel
Mädchenwohnheim Neu-Isenburg
Adresse

Taunusstraße 9
63263 Neu-Isenburg
Deutschland

Adressbeschreibung
Die historische Taunusstraße 9 entspricht der heutigen Taunusstraße 9. Das Gebäude wurde aber um andere Häuser erweitert.
Geo Position
50.057398, 8.68572
Stationsbeschreibung

1904 gründete Bertha Pappenheim den Jüdischen Frauenbund und das Mädchenheim in Neu-Isenburg (1907) bei Frankfurt am Main.  Es sollte ein modernes Heim „unweit einer mittelgroßen Stadt und leicht erreichbar“ sein, „kein Zögling wäre mit Gewalt in der Anstalt zurückzuhalten", gleichzeitig richtete sie sich gegen das zu dieser Zeit konventionelle Bild von Autorität, indem sie forderte: „Die Leiterinnen der Anstalt hätten Arbeit und Muße mit ihren Hausgenossinnen zu teilen und sich eines freundlichen Tones zu bedienen, der jede herrische Selbstüberhebung und Verachtung der Moralkranken ausschließt." Damit rüttelte Bertha Pappenheim gewaltig an dem vorherrschenden Frauenbild ihrer Zeit, sollten die Frauen sich doch „bemühen, an leitender Stelle mit klarem Verstande und ungetrübten Sinnen in ein Gebiet einzudringen, um mit Erfolg bearbeitet zu werden." Sie bewies großen Mut, als sie sich auch für junge Prostituierte einsetzte, denn „diese Mädchen wissen, daß sie nur einen Geschlechtswert haben. Ihre Individualität, ihre Wünsche und Neigungen können sie nur in den seltensten Fällen geltend machen, weil dazu eine Kraft und eine sittliche Größe gehört, die nicht alltäglich ist." Im Mädchenwohnheim Neu-Isenburg etablierte Pappenheim ihre aus der Kindheit erlernten jüdischen Riten und Bräuche, nicht ohne die „Deformationen und Verkrustungen" zu prüfen und aufzudecken. 

Titel
Letzte Lebensjahre und Nachwirken
Adresse

Rat-Beil-Straße 10
60318 Frankfurt am Main
Deutschland

Adressbeschreibung
Alter Jüdischer Friedhof
Geo Position
50.13315, 8.690613
Stationsbeschreibung

Die aufgrund des Aufstiegs der Nationalsozialisten 1933 aus dem Staatsdienst entlassene Getrude Ehrenwerth, später auch Stellvertreterin des Heimes, beschrieb  Pappenheim in dieser Zeit so: „[…] die fröhlichen Abende, an denen Bertha Pappenheim von Dr. Doolittle und seinen Tieren oder vom „Fliegenden Klassenzimmer" und ähnliche lustige Geschichten vorlas […] Immer wieder unterbrach sie sich beim Lesen, regte die Kinder zu eigener Stellungnahme und Erklärung des Gelesenen an. […] In ihrer Nähe und durch ihr Wesen fühlte man sich auch geborgen vor den Nöten der heutigen Zeit. Sie war immer wieder zukunftsgläubig.". Ab 1934 bereiteten sie gemeinsam die Ausreise und Adoption der Heimkinder nach England, Holland, in die Schweiz oder nach Dänemark aktiv vor. Nach einem Verhör durch die Geheime Staatspolizei im Januar 1936 kehrte Bertha Pappenheim nicht mehr in ihr mühevoll aufgebautes Heim in Neu-Isenburg zurück. Bertha Pappenheim starb am 28. Mai 1936. Noch sechs Jahre bestand das Heim, bis es zuerst 1938 während der Novemberpogrome fast gänzlich zerstört und 1942 schließlich aufgelöst wurde. Die Heiminsassen wurden deportiert. Gerade als unverheiratete jüdische Frau verschaffte sich Bertha Pappenheim durch ihr berufliches und gesellschaftliches Wirken Anerkennung in der jüdischen Gemeinschaft. Spannend war dies vor allem in der Symbiose zwischen ihrem orthodox-jüdischen Elternhaus und ihren emanzipatorischen Zielen.

Sterbedatum
28.05.1936
Sterbeort
Neu-Isenburg

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Autor
Ksenia Eroshina
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