Jüdisch in der DDR – Ein Stadtspaziergang durch Berlin-Ost im Rahmen des Schulbeteiligungsprojektes zur Ausstellung „Ein anderes Land“ (Schuljahr 2022/23)
Wie war es „jüdisch in der DDR“ zu sein? Dieser Frage ging 2023 auch ein Schulbeteiligungsprojekt im Vorfeld der Ausstellung Ein anderes Land am Jüdischen Museum Berlin nach. Beteiligt waren Schüler*innen der 9. und 10. Klasse an drei Berliner Schulen – Ost wie West: am Johann-Gottfried-Herder Gymnasium Berlin-Lichtenberg, an der Refik-Veseli-Schule Berlin-Kreuzberg und am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn Berlin-Mitte. Gemeinsam begaben sie sich auf Spurensuche und interviewten Zeitzeug*innen wie Salomea Genin, Hermann Simon, Irene Runge, Jörg Benario oder Esther Zimmering.
Teile der Recherchen flossen in diesen Stadtspaziergang „Berlin-Ost“ ein. Die Route startet an der „Neuen Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ in der Oranienburger Straße, einst wie heute ein Ort der Begegnung und aktiven jüdischen Gemeindelebens. Wie sah es hier zu DDR-Zeiten aus – zwischen Katastrophe und Neubeginn, antifaschistischem Staatsverständnis und gelebtem Judentum? Wo traf sich die kleine Ostberliner Jüdische Gemeinde, wo feierte sie Gottesdienste? Welche jüdischen Orte schwanden aus der öffentlichen Wahrnehmung? Und wo entstanden Orte des politischen wie privaten Gedenkens, so beispielsweise im Umfeld der jüdischen Friedhöfe? Begeben Sie sich auf historische Spurensuche! Die Laufroute endet in der Eberswalder Straße, wo sich einst eine kleine koschere Fleischerei befand…
Oranienburger Straße 30
10117 Berlin
Deutschland
Oranienburger Straße 30
10117 Berlin
Deutschland
Unser Stadtspaziergang beginnt in der Oranienburger Straße, an der Neuen Synagoge Berlin. Als zweite Gemeindesynagoge ab 1859 nach Plänen von Eduard Knoblauch und Friedrich August Stüler erbaut, konnte sie am 5. September 1866, zum jüdischen Neujahrsfest, feierlich eingeweiht werden. Schon damals beeindruckte die Fassade durch ihren orientalisierenden Stil, die goldene Kuppel samt Davidstern war weithin sichtbar, und der reich verzierte Innenraum fasste 3.000 Personen – damals die größte Synagoge Deutschlands!
Zu DDR-Zeiten war davon nicht mehr viel zu sehen: In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 konnte die Synagoge zwar durch den Einsatz der örtlichen Polizei um Wilhelm Krützfeld vor den Flammen bewahrt werden (eine Geschichte, die erst nach 1990 richtig bekannt wurde), in der Nacht vom 22./23. November 1943 – kurz nach Beschlagnahme durch die NS-Behörden – wurde der Gebäudekomplex jedoch durch einen britischen Bombenangriff schwer beschädigt. Ein Nachkriegsfoto der Ruine (um 1948) diente als Vorlage für eine weit verbreitete Fälschung, die sogar in DDR-Schulbücher Eingang fand. Während die Jüdische Gemeinde nebenan, in der Oranienburger Straße 28, wieder ein Zuhause fand, gab es für die zerstörte Synagoge keine Verwendung – außer als illegales Baumaterial. 1958 wurde das rückwärtige Hauptgebäude „infolge hoher Einsturzgefahr“ schließlich gesprengt und abgetragen, die straßenseitige Ruine blieb erhalten. Dass nicht auch diese von den DDR-Behörden beseitigt wurde, war – wie uns Hermann Simon, der Gründungsdirektor des „Centrum Judaicum“, erzählte – nur der Initiative der Jüdischen Gemeinde zu verdanken: Eine Gedenktafel von 1966 erklärte die „Vorderfront dieses Gotteshauses“ kurzerhand zur „Stätte der Mahnung und Erinnerung“. 1977 wurde sie in die Bezirksdenkmalliste eingetragen.
In den 1980er Jahren veränderte sich das politische Klima. Mit der zunehmenden Annäherung der Regierung an die jüdischen Gemeinden in der DDR gab es in Berlin nun auch erste Pläne zum Wiederaufbau der Ruine als Mahnmal, Begegnungsstätte und Museum. Im Vorfeld der staatlichen Gedenkfeiern von 1988 wurde im Juni das Grundstück an die Jüdische Gemeinde rückübertragen und am 5. Juli schließlich die „Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ gegründet. Am 10. November folgte die symbolische Grundsteinlegung. Eine zweite Gedenktafel erinnert heute daran. Dass genau ein Jahr später die Berliner Mauer fallen würde, konnte wohl niemand ahnen. – Die Rekonstruktion der noch vorhandenen Gebäudeteile begann: Ab Juni 1991 zierte wieder der Davidstern die goldene Kuppel, auf der rückwärtigen Freifläche wurde der Grundriss der ehemaligen Hauptsynagoge markiert. Am 7. Mai 1995 wurde das heutige „Centrum Judaicum“ schließlich eröffnet - samt kleinem Gebetsraum im dritten Stock. Und im Hinterhof findet sich heute die Sporthalle des Jüdischen Gymnasiums…
Text: Johannes Valentin Schwarz
Oranienburger Straße 28
10117 Berlin
Deutschland
Zu beiden Seiten der Neuen Synagoge finden sich bis heute noch weitere Verwaltungsgebäude der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Während im Haus Oranienburger Straße 31 von 1933-38 u.a. das Jüdische Museum untergebracht war, fand sich im Gemeindehaus Oranienburger Straße 29, die umfangreiche Gemeindebibliothek mit zuletzt 67.000 Bänden. Diese wurde 1939 vom NS-Reichssicherheitshauptamt konfisziert, das Gebäude beim Luftangriff von 1943 zerstört. Erhalten blieb das Haus Oranienburger Straße 28, rechts daneben, wo sich die Verwaltung für die einst 160.000 Berliner Gemeindemitglieder und das „Gesamtarchiv der deutschen Juden“ befand. Die Akten wurden im November 1938 vom „Reichssippenamt“ beschlagnahmt, die Gemeindeverwaltung ab Oktober 1941 zwangsweise in die Organisation der Deportation von mehr als 55.000 Juden*Jüdinnen aus Berlin eingebunden…
Ende 1946 fanden sich geschätzt 7.900 Juden*Jüdinnen in Berlin (davon etwa ¼ im Ostteil der Stadt): 4.600 hatten in sog. „Mischehen“ überlebt, ca. 1.400 im Versteck, 1.900 kehrten aus den Lagern zurück. Von Anfang an war dabei das alte und neue Gemeindezentrum in der Oranienburger Straße 28 zentrale Anlaufstelle für alle Hilfesuchenden. Ein zweites Büro eröffnete 1946 in der Joachimstaler Straße. Wie sehr die Jüdische Gemeinde im Sowjetischen Sektor Berlins unter politischen Druck geriet, zeigt ein seltenes Bild des Gemeindehauses mit zwei israelischen Flaggen anlässlich der Staatsgründung 1948. Sie verschwanden im Schrank der Gemeindeverwaltung. Die antisemitischen Kampagnen von 1952/53, kurz vor dem Tod Stalins, lösten schließlich eine Massenflucht in den Westen aus, darunter auch der Ostberliner Vorsitzende Julius Meyer. Fortan war die Gesamtgemeinde in Ost und West getrennt. Der Mauerbau 1961 besiegelte die Spaltung. Nach dem Tod von Rabbiner Martin Riesenburger (1896-1965) blieb seine Stelle vakant.
Bis Anfang der 1970er Jahre schrumpfte die Ostberliner Gemeinde auf ca. 450 Mitglieder, bis 1986 auf ca. 200 (davon 2/3 über 60 Jahre). Ab 1971, unter dem langjährigen Vorsitz von Peter Kirchner (1935-2018), reorganisierte sich jedoch die jüngere, meist religionsfernere Generation. 1972 wurde im Hinterhof der Oranienburger Straße 28 ein „Kulturraum“ eingerichtet, wo sich ab 1986 auch die Gruppe „Wir für uns“ zusammenfand. Aus ihr ging 1989/90 der Jüdische Kulturverein Berlin hervor. Auch heute trifft sich dort noch die Gemeinde. 1977 wurde im zweiten Stock zudem wieder eine Gemeindebibliothek eröffnet, die unter Leitung von Renate Kirchner sehr großen Zuspruch von jüdischen wie nichtjüdischen Leser*innen aus allen Bezirken der DDR erlebte, nicht zuletzt wegen ihrer „Sondergenehmigung zur Einfuhr von Literatur aus dem kapitalistischen Ausland“. Bis 1990 wuchs sie auf 7.000 Bände an.
1990, mit Vereinigung beider deutscher Nachkriegsstaaten und Berlins, fusionierten auch die beiden Gemeindehälften in Ost und West – noch bis 1992 unter Vorsitz von Heinz Galinski (1912-92). Berlin wurde nun zur weltweit am schnellsten wachsenden jüdischen Gemeinschaft! Die Gesamtverwaltung der Gemeinde kehrte 2006 an ihren ursprünglichen Ort in der Oranienburger Straße 28-31 zurück. Die offiziellen Rückübertragungsbescheide für die einst enteigneten Grundstücke waren ihr schon 1995 überreicht worden.
Text: Johannes Valentin Schwarz
Große Hamburger Straße 26
10115 Berlin
Deutschland
„Mißtraut den Grünanlagen.“ So begann Heinz Knobloch 1979 sein Buch Herr Moses in Berlin. Und dies mag einem auch heute noch durch den Kopf gehen, steht man am vermuteten Grab Moses Mendelssohns (1729-86) – dem einzigen verbliebenen Stein auf dem Alten Jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße, etwas zurückversetzt zwischen Hinterhäusern. Schon 1672, nach Wiederzulassung jüdischer Familien in der Mark Brandenburg (1671), war der Begräbnisplatz vor dem Spandauer Tor von Model Riess erworben und der neuen Berliner Gemeinde gestiftet worden. (Eine Gedenktafel von 1884 findet sich an der Südmauer.) Bei Schließung 1827 waren noch ca. 2.800 Gräber vorhanden. Der Eingang wurde von der Oranienburger an die Große Hamburger Straße verlegt, wo sich ab 1844 das erste Altersheim der Jüdischen Gemeinde (gegr. 1829) befand. Das Gelände diente nun als Park und, ab 1863, zum Unterricht für die benachbarte Knabenschule.
Das ursprüngliche Aussehen lässt sich nur über historische Fotos erschließen, denn 1943 wurde der Friedhof auf Befehl der Gestapo vollständig zerstört, die Grabsteine zerschlagen, die Gebeine entsorgt und quer durch das Areal ein Splittergraben gezogen. Noch im April/Mai 1945 wurden hier ca. 2.500 Kriegsopfer in Massengräbern beigesetzt. (Daran erinnert eine Tafel an der östlichen Mauer.) Erst im September 1948 konnte die Jüdische Gemeinde den Friedhof im Rahmen einer Gedenkfeier wieder übernehmen, die Grabstein-Trümmer wurden zusammengetragen und eine Gedenktafel angebracht – gleich neben einigen der ältesten Epitaphe an der Südmauer. (Sie wurden noch 1988/89 zur Restauration auf den Jüdischen Friedhof Weißensee verbracht und erst 2009 wieder eingefügt.)
An der vermuteten Stelle von Mendelssohns Grab ließ das Ostberliner Stadtgartenamt 1962 einen schlichten Gedenkstein aufstellen, der fortan auch für Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde genutzt wurde – so 1986 zum 200. Todestag Mendelssohns. Der heutige Grabstein (nunmehr in vierter Ausfertigung und wieder nach Osten ausgerichtet, angelehnt an einen Kupferstich von Wilhelm Chodowiecki von 1787) konnte im Mai 1990, noch zu DDR-Zeiten, durch Nachfahren der Familie eingeweiht werden. Drumherum war die ganze südliche Hälfte des Friedhofs schon Anfang der 1970er Jahre zu einem öffentlichen Park umgestaltet und der nördliche Teil, zur Schule hin, durch eine Mauer abgetrennt worden… Erst im wiedervereinigten Berlin sollte das gesamte Areal an der Großen Hamburger Straße 26 mit Mitteln des Senats instandgesetzt, grundlegend umgestaltet und im September 2008 erneut feierlich eingeweiht werden. Aus der Grünanlage war wieder ein Jüdischer Friedhof geworden! An Schabbat und jüdischen Feiertagen ist er geschlossen.
Text: Johannes Valentin Schwarz
Große Hamburger Straße 26
10115 Berlin
Deutschland
Das erste Altersheim der Jüdischen Gemeinde wurde 1829 an der Oranienburger Straße 8 eröffnet. Im Juli 1844 zog es in einen Neubau an der Großen Hamburger Straße 26 um und wurde dank zahlreicher Stiftungen zwischen 1867 und 1874 zweimal erweitert – auf zuletzt insg. 120 Plätze. Unmittelbar dahinter lag der Alte Jüdische Friedhof (1782-1827), der zur Erholung als Park genutzt werden konnte, links daneben wurde 1906 der Neubau der Jüdischen Knabenschule eingeweiht. Das Jahr 1933, in dem auch Rabbiner Martin Riesenburger hier seinen Dienst antrat, veränderte alles. Im November 1942 beschlagnahmte die Gestapo beide Gebäude – Altersheim und Schule – und wandelte sie zu einem gefängnisartigen Sammellager um: mit Gittern, Scheinwerfern und überwachten Hofgängen auf dem Friedhof. Etwa 55.000 Berliner Jüdinnen*Juden wurden von hier und anderswo nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Bei Kriegsende wurde das Haus Große Hamburger Straße 26 durch Bombenangriff zerstört.
Nach 1945 wurde das Grundstück enttrümmert, und nichts erinnerte mehr an das ehemalige Altersheim. Erst in den 1960er Jahren wurde ein erster Gedenkstein auf der Freifläche vor dem zerstörten Friedhofsareal errichtet. (In den Sammlungen des JMB findet sich dazu ein seltenes Bild.) Stück für Stück wurde so aus dem einst „jüdischen Ort“ ein Ort des öffentlichen, politischen Gedenkens in der DDR: „Vergeßt das nie! Wehret dem Krieg! Hütet den Frieden!“ So heißt es auch auf einer zweiten, fast identischen Gedenktafel aus Bronze, die am 8. November 1987 im Auftrag des Ostberliner Magistrats an gleicher Stelle enthüllt wurde. (2008 sollte sie in die Neugestaltung des Gedenkortes einbezogen werden.) Gleichsam um dem Ort noch mehr politisches Gewicht zu verleihen, wurde dort bereits zwei Jahre zuvor, am 3. Mai 1985, eine Figurengruppe von Will Lammert (1892-1957) aufgestellt. Sie war 1957 ursprünglich für die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vorgesehen – zu Füßen der Skulptur „Die Tragende“, für die wiederum die kommunistische Widerstandskämpferin Olga Benario als Vorbild diente. (Ihren Enkel, Jörg Benario, konnten wir im Projekt interviewen.) Wenngleich wenig kämpferisch, wurden die 13 weiblichen Figuren an der Großen Hamburger Straße ab 1985 nun zum überhaupt ersten staatlichen Denkmal für die spezifisch „Jüdischen Opfer des Faschismus“ in Berlin-Ost.
2007/08, im vereinigten Berlin, wurden Friedhof und Gedenkort mit Mitteln des Senats von Berlin und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nochmals völlig umgestaltet. Das einstige Begräbnisareal wurde eingefriedet, das Grundstück des ehemaligen Altersheimes neu vermessen und die freigelegten Fundamente aufgemauert. Mit der alten Raumstruktur sind heute nun wieder alle historischen Schichten vor Ort sichtbar – samt allen Widersprüchen des Gedenkens zu DDR-Zeiten.
Text: Johannes Valentin Schwarz
Große Hamburger Straße 27
10115 Berlin
Deutschland
Vor dem Weg in den Prenzlauer Berg lohnt noch ein kurzer Stopp in unmittelbarer Nachbarschaft: Im Haus Große Hamburger Straße 27 findet sich heute das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn – versteckt hinter einem stählernem Sicherheitszaun. Beim Blick hindurch ist ganz links, über dem Hauptportal, noch die verzierte Inschrift „Knabenschule der Jüdischen Gemeinde“ zu erkennen. Wie durch ein Wunder hat sie das ganze 20. Jahrhundert überdauert. Das Gebäude, entworfen vom Gemeindebaumeister Johann Hoeniger, war am 26. November 1906 eingeweiht worden, die Geschichte der Knabenschule geht jedoch weiter zurück: bis zur Gründung der „Jüdischen Freyschule“ von 1778, damals noch in der Klosterstraße. Das Versprechen der Aufklärung findet sich auch an der Fassade von 1906 wieder: Bildung für alle, Essen und Kleidung, auch für die Armen. Nachfolgerin wurde 1825/26 besagte Knabenschule der Jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße. 1863 zog diese in die Große Hamburger Straße 27 um, 1906 in den Neubau von Hoeninger. 1923 folgte die Umwandlung in eine öffentliche Mittelschule, 1931 dann der Zusammenschluss mit der Mädchen-Mittelschule (gegr. 1835).
Nach 1933, unter der Direktion von Dr. Heinemann Stern (1878–1957) und zuletzt Georg Feige (1877–1944), verdoppelte sich die Zahl der Schüler*innen zunächst auf über 1.000 – bis die Schule im April 1942 geräumt und im Juni endgültig geschlossen werden musste. Wie das Altersheim nebenan wurde nun auch das Schulgebäude zum Deportationslager umgewandelt, später zum Militärlazarett, überstand jedoch alle Kriegszerstörungen.
An eine Rückübertragung war nach 1945 zunächst nicht zu denken. Ab 1960 zog hier die Kommunale Berufsschule für Industriekaufleute „Prof. Dr. Richard Fuchs“ ein. Jeglicher Hinweis auf die jüdische Vorgeschichte der Schule und ihren geistigen Mentor, Moses Mendelssohn, fehlte. Dabei war bereits 1909 eine Büste Mendelssohns von Rudolf Marcuse im Vorgarten aufgestellt, 1941 jedoch von der SA zerstört worden. Voller Bitterkeit und Ironie schrieb daher Heinz Knobloch in seinem Buch Herr Moses in Berlin von 1979 – erschienen im 250. Geburtsjahr Mendelssohns: „Ich frage laut und hörbar: Warum ist diese Schule nicht nach ihrem Gründer benannt worden? Vielleicht ist der frühkapitalistische Industriekaufmann Moses Mendelssohn kein Vorbild für sozialistische Industriekaufleute. Aber vielleicht der Mensch? »Eine Gedenktafel für Moses Mendelssohn ist in unserem Hause nicht vorhanden«, ein fürchterliches Armutszeugnis, dem der Nebensatz fehlt, sechs Millionen ermordete Juden betreffend, von denen einige tausend hier zur Schule gegangen sind, in diesem Gebäude, in diesen Räumen. Staatsbürgerkunde…“ Auf Knoblochs Initiative hin konnte schließlich am 18. März 1983 – zum 250. Geburtstag Friedrich Nicolais – besagte Gedenktafel samt einem Porträtrelief Mendelssohns von Gerhard Thieme am Gebäude angebracht werden. Beide Bronzeplatten sind dort auch heute noch zu finden.
Ab 1992 wurde die ehemalige Jüdische Knabenschule schließlich saniert. Am 20. Oktober 1993 zog hier die Jüdische Oberschule (JOS) ein – als erste weiterführende, staatlich anerkannte jüdische Gemeindeschule nach der Schoa in Deutschland. 2012 wurde sie in Jüdisches Gymnasium Moses Mendelssohn (JGMM) umbenannt. Heinz Knobloch (1926-2003) hätte es gefreut.
Text: Johannes Valentin Schwarz
Schönhauser Allee 25
10435 Berlin
Deutschland
Über die Neue und Alte Schönhauser Straße gelangt man an der Torstraße – einst die alte Berliner Stadtgrenze – zur Schönhauser Allee (vor 1841: Pankower Chaussee). Eben hier, vor dem Schönhauser Tor, erwarb die Jüdische Gemeinde schon 1824 einen neuen Begräbnisplatz, nachdem der kaum mehr ausreichte. Mit der ersten Beisetzung von Sara Meyer geb. Benda wurde der neue Friedhof am 29. Juni 1827 durch Rabbiner Jacob Joseph Oettinger eingeweiht. Nach Plänen des Stadtbaurats Friedrich Wilhelm Langerhans wurden eine eigene Trauerhalle und Gebäude für rituelle Leichenwaschung errichtet. Bis 1880 blieb dies der einzige Bestattungsort in Berlin mit rund 22.800 Einzelgräbern und 750 Erbbegräbnissen, entlang der Friedhofsmauern auch mit imposanten Einzel- und Familiengrabstätten.
An der Ostseite führt bis heute ein Tor zum sog. „Judengang“, einem sieben Meter breiten Grünstreifen zwischen Metzer Straße und Knaackstraße. Ohne die königliche Kutsche auf ihrem Weg zum Schloss Schönhausen zu stören, war der Friedhof so auch durch den „Hintereingang“ zu erreichen. Zu DDR-Zeiten freuten sich die Anwohner*innen der Kollwitzstraße über den zusätzlichen Freiraum (eine Geschichte, die uns auch Jörg Benario erzählte), 2003 wurde der „Judengang“ jedoch als Gartendenkmal neu hergerichtet.
Nach 1880, mit Eröffnung des dritten Jüdischen Friedhofs in Weißensee, gab es nur noch einzelne Bestattungen auf Erbbegräbnissen oder reservierten Flächen. Die alten Friedhofsbauten am Haupteingang wurden ab 1890 durch eine neue Feierhalle nach Entwürfen von Johann Hoeniger ersetzt – samt separater Leichenhalle, Gärtnerei, Wohn- und Verwaltungsgebäuden. Gleich daneben war 1883 durch eine Stiftung der Familie Moritz und Bertha Manheimer in der Schönhauser Allee 22 die II. Altersversorgungsanstalt der Jüdischen Gemeinde eröffnet worden. Während dieses Gebäude den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstand, wurde das Friedhofsgelände schwer getroffen: Die Eingangsgebäude wurden 1943 weitestgehend zerstört, Metallteile wurden geraubt und eingeschmolzen, Schützen- und Splittergräben mit Grabsteinen befestigt, ein Bombentrichter diente als Massengrab.
Nach 1945 verwahrloste der Friedhof zunehmend – nicht zuletzt wegen weiterer Beschädigungen und Diebstähle, fehlender Arbeitskräfte und Finanzen. Erst in den 1950er Jahren wurden die Ruinen am Eingang beseitigt. Am Ort der zerstörten Feierhalle ließ die Jüdische Gemeinde 1961, in Abstimmung mit dem Ostberliner Magistrat, ein Ehrenmal aus Sandsteinquadern von Ferdinand Friedrich errichten: „Hier stehst Du schweigend – Doch wenn Du Dich wendest, schweige nicht.“ (2005 musste das Ehrenmal dem Neubau des Lapidariums weichen. Der Text befindet sich heute gleich rechts neben dem Eingang.) Zusätzlich erinnerte seit den 1970er Jahren eine Gedenktafel an der Friedhofsmauer an die Geschichte des Ortes: „Dieser Jüdische Friedhof wurde 1827 seiner Bestimmung übergeben. In der Zeit von 1933-1945 wurde er von den Faschisten zerstört. Der Nachwelt soll er als Mahnung erhalten bleiben.“ Eine weitere Tafel an einem umzäunten Schacht im nordwestlichen Teil (Feld L) ehrte einige junge Deserteure: „Den Tod anderer nicht zu wollen, das war ihr Tod. Hier verbargen sich Ende des Jahres 1944 Kriegsgegner. Sie wurden von der SS entdeckt, an den Bäumen erhängt und hier verscharrt.“
1975 wurde der Friedhof schließlich unter Denkmalschutz gestellt. Ab 1977 bemühten sich Freiwillige der „Aktion Sühnezeichen“ und aus Kirchengemeinden um eine Freilegung der überwucherten Grabstellen. Bei ihrer Erfassung half Friedhofsgärtner Detlef Thieke mit seinem umfangreichen Wissen. Ernsthafte denkmalpflegerische Instandsetzungsarbeiten begannen erst ab 1984/85 – nun auch mit verstärkter staatlicher Unterstützung. Die Backsteinmauer an der Westseite konnte 1988/89 restauriert werden. Zuvor waren Anfang 1988 weit über 200 Gräber von rechtsradikalen Jugendlichen aus der gegenüberliegenden Oberschule geschändet worden… Auch nach 1990 wurden die Restaurierungsarbeiten fortgesetzt. Mit Einweihung des Lapidariums am 10. Juni 2005, errichtet auf den Fundamenten der kriegszerstörten Feierhalle, fanden sie ihr vorläufiges Ende.
Text: Johannes Valentin Schwarz
Rykestraße 53
10405 Berlin
Deutschland
Renovierung nach NS-Regime
Die Synagoge in der Rykestraße war die einzige Synagoge Ost-Berlins und somit ein wichtiger Ort für die jüdische Bevölkerung der DDR. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands musste die Synagoge einige Male renoviert werden. Nach dem Bau im Jahr 1904 wurde die Synagoge einige Jahre danach von den Nationalsozialisten zweckentfremdet. Laut der BZ wurde die Synagoge als Pferdestall benutzt, es gibt außer dem Artikel keine weiteren Beweise dafür. Außerdem wurde die Synagoge als Lagerhalle benutzt und von der Feldpost beschlagnahmt. Die Synagoge war die einzige Synagoge der DDR und wurde “Friedenstempel” genannt. Nach dem NS-Regime wurde die Synagoge umfangreich renoviert, da die Nationalsozialisten einige Schäden hinzugefügt haben. Zwischen 1967 und 1978 wurde die Synagoge aufgrund Sturmschadens erneut renoviert.
Leben in der jüdischen Gemeinde in der DDR
Die Synagoge in der Rykestraße 53 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg wurde 1904 errichtet und eingeweiht. Es wurde unter anderem zunächst eine religiöse Schule eingerichtet mit bis zu 500 Schülern, die sich dann bis zum Jahr 1922 zu einer privaten Volksschule entwickelte. Der Prenzlauer Berg galt bis zum Dritten Reich als Zentrum des jüdischen Lebens in Berlin. In der Progromnacht 1938 wurde die Synagoge in Brand gesteckt, allerdings nicht vollständig zerstört. Rabbiner und andere Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden in das KZ Sachsenhausen deportiert. Das Gebäude der Synagoge wurde dann als Lager für die Wehrmacht benutzt. Noch bis zu diesem Zeitpunkt fanden dort Gottesdienste statt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Synagoge renoviert und schließlich 1953 wiedereröffnet und von Riesenburger eingeweiht. Der sogenannte „Friedenstempel“ war die einzig erhaltene Synagoge in Ost-Berlin. Sie war fortan das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin. Ein Großteil der Holocaust- Überlebenden, ursprünglich aus Deutschland stammende Juden, wollte nicht zurückkehren in das Land der Täter. Ein Teil jedoch entschied sich zurückzukehren, da sie die Erwartung hatten, in einem sozialistischen und antifaschistischen Land zu leben und es vielleicht auch mit aufzubauen zu können. Der einzige Anlaufpunkt für diese Rückkehrer waren die jüdischen Gemeinden. Das Engagement der Gemeinden beschränkte sich nicht nur auf das Religiöse. Die Gemeinde in Ost-Berlin veranstaltete zum Beispiel auch Ferienlager für die Kinder oder Konzerte. Nach der Staatsgründung Israels und aufgrund der sich im Kalten Krieg immer mehr verhärtenden Fronten zwischen Ost und West, entwickelte sich ein neuer Antizionismus im gesamten Ostblock, so auch in der DDR. Da sich viele Juden nicht willkommen gefühlt haben, begann in den 1960er Jahren eine Auswanderungswelle aus der DDR. Die Gemeinde der Synagoge in der Rykestraße zählte im Jahre 1961 circa 3000 Mitglieder. Nach der Auswanderung sank diese Zahl auf rund 200 Gemeindemitglieder. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Synagoge zu Gottesdiensten und Feiertagen Gastrabbiner und Gastkantoren, oft aus Westberlin oder Ungarn, ausleihen musste. Die Synagoge Rykestraße wurde in den Jahren 1976 und 1986 bis 1987 noch weiter renoviert. Nach der Wende wurde die Synagoge wieder Teil der Berliner Gesamtgemeinde, und viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sind nach Deutschland immigriert, auch nach Ost-Berlin. 2015 waren 80% der Berliner Gemeindemitglieder Juden, die aus der Sowjetunion eingewandert waren. Dadurch stieg die Anzahl der Gemeindemitglieder wieder und der Vorstand der Synagoge in der Rykestraße war wieder stabil. Heute ist die Synagoge in der Rykestraße eine von acht Synagogen in Berlin.
Jörg Benario als Zeitzeuge
Wir haben uns noch mit Jörg Benario unterhalten. Er ist ein jüdischer Stadtführer in Berlin. Wir haben ihn folgende Fragen gestellt: Waren Sie in ihrer Jugend schon mal in der Synagoge Rykestraße? „Ja, da war ich, um Hebräisch zu lernen“, antwortete er. Wir haben uns noch allgemein die Frage gestellt, wie es eigentlich ist, jüdisch zu sein. „Ich gehöre zu dem sogenannten ethnischen Judentum oder halachischen.“ Er fügte hinzu: „Ich bin nicht religiös.“ Nur wenn „religiöse Handlungen stattfinden“, trägt Jörg Benario die Kippa aus Respekt. Unsere letzte Frage war, ob er benachteiligt wurde in der DDR. „Es war immer schwierig, man wusste nicht, wer deinen Banknachbarn erzogen hat.“ Als Benario zum ersten Mal bei der jüdischen Gemeinde in der Synagoge Rykestraße war, hatte er ein „Nachhausegefühl“. Als Jörg Benario Abitur machen wollte, hat er sich in der 7. Klasse beworben, um zur 8. Klasse auf eine sprachspezielle Schule zu wechseln. Es wurde ihm damals „von meiner Direktorin versaut, ohne Angabe von Gründen, und da hat man sich nicht weiter gewundert, dass war in der DDR normal.“
Autor*innen: Justus Arms, Bruno Schwartz und Osgur O’Raghaill (Herder-Gymnasium Lichtenberg)
Eberswalderstraße 20
10437 Berlin
Deutschland
Für viele Personen jüdischer Herkunft waren die Produkte der koscheren Fleischerei in der Eberswalder Straße 20 ein fester Bestandteil ihres Lebens. Alle 14 Tage wurde ein Schächter aus Ungarn eingeflogen, um die Tiere traditionell koscher zu schlachten. Besonders ist, dass es sich bei der Fleischerei um kein Wirtschaftsunternehmen handelte, es wurde viel mehr von der in Berlin ansässigen Religionsgemeinschaft betrieben. Zur Kundschaft gehörten neben Personen jüdischen Ursprungs auch Muslim*innen und Adventist*innen (Christen).
In der inzwischen geschlossenen Fleischerei wurden Ende der 1970er Jahre monatlich etwa 1,5 Tonnen koscheres Fleisch verkauft. Vermutlich wurde die Fleischerei von dem Ministerium für Staatssicherheit beobachtet. Inzwischen ist die Fleischerei aufgrund fehlender Kundschaft geschlossen worden. Heutzutage gibt es mehrere koschere Fleischereien, jedoch meist im Westen Berlins.
Zu der Kundschaft zählt in der Zeit auch Salomea Genin. Sie wurde 1932 im Jüdischen Krankenhaus, Berlin-Wedding geboren. Seit ihrem achten Lebensjahr ist sie Atheistin. Im Jahr 1939 wanderte sie nach Australien ins Exil aus. Dort trat sie in den kommunistischen Jugendverband ein. 1951 kehrte sie erstmals nach Deutschland zurück. Ihr Einreiseprozess zog sich über neun Jahre hin, weil die SED ihr unterstellte, sie sei eine Spionin. Angekommen in der DDR, trat sie in die SED ein. Die Ideologie des Regimes der DDR entwickelte sich für sie zu einem Religionsersatz. Zu dieser Zeit kaufte sie regelmäßig in der koscheren Fleischerei ein, weil es dort: „einfach das beste Fleisch gab.“ (Interview mit Salomea Genin am 20.03.2023) Ein Foto ihrer Berechtigungsbescheinigung findet sich in der Sammlung des Jüdischen Museums. Diese Bescheinigung ermächtigte sie dazu, in der Fleischerei einkaufen zu gehen. Mit annähernd 50 Jahren erkannte sie, dass sie mit ihrem Eintritt in die SED beim Aufbau eines Polizeistaates mitgeholfen hat. Sie hatte zwischenzeitlich Suizidgedanken, entschied sich dann aber gegen einen Suizid, da sie es nicht ertragen konnte, dass ihre Eltern ohne eine Mutter aufwachsen müssten.
Autor*innen: Levin von Wedemeyer, Nikita Eckert und Tim Eichstädt (Herder-Gymnasium Berlin-Lichtenberg)
Herbert-Baum-Straße 45
13088 Berlin
Deutschland
Auf dem Friedhof Weißensee befindet sich ein namenloses Grab, zugewachsen und kaum mehr auffindbar. Es gehört Anna Katz, einer Westberlinerin, die – trotz der Trennung zwischen DDR und BRD – doch auf dem im Osten liegenden Jüdischen Friedhof begraben werden wollte. Ihrer Entscheidung (und der vieler anderer jüdischen Menschen in Berlin) liegt der Einfluss einiger sehr wichtiger Menschen zugrunde.
1953 war die jüdische Ost- und Westgemeinde schon getrennt. Ein paar Jahre später, 1961, führte der Mauerbau zur scheinbaren vollkommenen Trennung. Wären da nicht Martin Riesenburger und Heinz Galinski gewesen, die für Kontakt zwischen den jüdischen Gemeinden der BRD und DDR sorgten. Auch Estrongo Nachama, der Oberkantor, verband den Osten und den Westen, da er mit seinem griechischen Pass hin- und herreisen konnte. Martin Riesenburger engagierte sich als Landesrabbiner schon lange für die Jüdische Gemeinde. Während der Kriegszeit half er, den Friedhof instand zu halten, und nach dem Kriegsende war er derjenige, der die erste öffentliche Predigt hielt. Seine Eltern ließen sich auch auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee begraben.
Gleich am Eingang des Friedhofs erkennt man das Grab Herbert Baums und eine Gedenktafel für die Getöteten der Gruppe in der Ehrenreihe. Auch er hatte einen Einfluss auf die DDR. Herbert Baum lebte von 1912-1942 und war ein deutsch-jüdischer Widerstandskämpfer. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gründete er zusammen mit alten Schulfreunden die „Herbert-Baum-Gruppe“. Am 18. Mai 1942 verübten sie einen Brandanschlag auf eine antikommunistische Propagandaausstellung, wofür sie später auch bekannt wurden. Ein Großteil der Gruppe, darunter auch Herbert Baum, wurden jedoch schnell festgenommen und zum Tode verurteilt. Er selbst erhängte sich, nachdem er fast zu Tode gefoltert wurde. Die Straße am Hauptportal des Friedhofs heißt seit 1951 Herbert-Baum Straße. In der DDR galt Baum als Symbol gegen den Faschismus und wurde daher idolisiert.
Autorinnen: Henrike Leitow, Pauline Koscheljew, Jolina Garrasch und Elisa Louise Viek (Herder-Gymnasium Berlin-Lichtenberg)
***
Wie haben die Jugendlichen während und nach der Nazizeit den Friedhof Weißensee damals wahrgenommen?
Im Juni 1942 wurden alle jüdischen Schulen in Berlin geschlossen. Viele 13- bis 15-Jährige kamen zur Zwangsarbeit auf den Friedhof Weißensee. Die Schüler sollten damals Unkraut jäten, Efeu stecken, Grabstätten bepflanzen und noch vieles mehr. Die kräftigen Jungs mussten schwere Arbeit vollziehen. Sie mussten täglich eine 60 cm breite, 2 m lange und 1,80 m tiefe Gruft ausheben. Die Arbeit war generell sehr beschwerlich und deprimierend für die Jugendlichen.
Der Friedhof diente den Jugendlichen auch als Schutz und bot ihnen Normalität. Sie duften sich auf dem riesigen Gelände frei und ungezwungen bewegen. Durch die Anhäufung von Jugendlichen entstanden neue Freundschaften und Liebschaften, in denen sich die Schüler gegenseitig unterstützten.
Die jugendlichen Arbeiter waren auf dem Friedhof sich selbst überlassen, denn es gab keine Lehrer. Harry Kindermann, der damals selber jugendlicher Zwangsarbeiter auf dem Friedhof war, berichtete Folgendes über den Sommer 1942: „Rabbiner Heinz Meyer hatte es sich zur Aufgabe gemacht, uns jüdischen Kinder zu betreuen. Er hat Turngeräte, Hochsprungständer und solche Sachen aus Schulen, die geschlossen waren, heimlich mitgebracht. Es gab ja eine große freie Rasenfläche, die durch den Friedhof ging, auf der nicht beerdigt wurde. Da haben wir Fußball spielen können und uns getummelt.“
Harry Kindermann berichtet Folgendes, als er das Schwarzweiß-Foto der beiden Mädchen sieht: „So herzlich haben jüdische Kinder im Jahr 1942 lachen können! Aber das konnten sie eben nur auf dem Friedhof, weil es ihnen keiner verbieten konnte!“ Der damals 15-jährige Harry hatte sich sofort in das linke Mädchen, Marion Ehrlich, verliebt. Sie kam aus der Schule in der Wilsnacker Straße zur Zwangsarbeit auf dem Friedhof und wurde Harrys erste Freundin. Es blieb Ihnen jedoch nicht viel Zeit. Im November 1942 wurde Marion nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde. Zu ihren Ehren nannte Harry seine erste und einzige Tochter „Marion“. Auch das rechte Mädchen, Ruth Preuss, hat die Nazizeit nicht überlebt. Nur wenige Wochen nach der Entstehung des Bildes, wurde sie in Riga umgebracht.
Michaella Panske erzählte über die Zeit um 1980, als sie 11-12 Jahre alt war. Sie spielte auf dem Friedhof gerne Verstecken. „Als Kinder haben wir da öfter Zeit verbracht, weil´s so schön gruselig war. Der Friedhof war ja total zugewachsen. Wenn man einen Weg lang geguckt hat, konnte man am Ende nur einen kleinen hellen Punkt sehen.“
Nicht nur Kinder nutzten Weißensee für ihre Abenteuer, sondern der Ort zog auch reifere Menschen an. Die Mauer des Friedhofes grenzte an das Getränkekombinat. Michaella Planske kann sich erinnern, wie es die älteren Jungs jeden Abend Richtung Friedhof zog: „Es ging nur um diese Getränkekisten. Und es scheint generationsübergreifend zu sein“, kommentierte sie das Bild aus den 1970er Jahren.
Fazit: Wie man erkennen kann haben die Jugendlichen den Friedhof Weißensee als gute Erinnerung im Kopf behalten. Zwar wurden sie während der Nazizeit dort zur Zwangsarbeit hingebracht, doch trotzdem haben sie das Beste daraus gemacht. Sie haben gelacht und hatten viel Spaß miteinander. Es entstanden sowohl Freundschaften als auch Liebschaften. Dieser Ort war so was wie ein geheimer Unterschlupf, indem sie vor der Angst und dem Schrecken jener Zeit fliehen konnten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben nicht nur Kinder und Jugendliche ihren Spaß auf dem Friedhof gehabt, sondern auch die älteren Generationen hatten ihn. Wäre der Friedhof Weißensee nicht gewesen, wären die Jugendlichen wahrscheinlich in Angst und Trauer versunken. Unserer Meinung nach hat dieser Friedhof die jungen Arbeiter und Kinder positiv geprägt und wird mit ziemlich guten Erinnerungen assoziiert.
Autor*innen: Amina Dzafiv und Nini Gubeladze (Herder-Gymnasium Berlin-Lichtenberg)
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