Gröbzig, eine Kleinstadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, hat heute ca. 2300 Einwohner*innen. Diese engagieren sich in über 20 Vereinen. Zahlreiche Feste und drei Museen sind Anlaufpunkt für Besucher*innen. Die erste urkundliche Erwähnung Gröbzigs fand im Jahr 1176 in den Lehnbüchern der Erzbischöfe von Magdeburg statt. Damals noch unter dem Namen „Grobiske“. Eine Urkunde von 1291 bezeugt, dass Gröbzig als „Castrum Grobceke“ bereits eine befestigte Burganlage besaß und Mittelpunkt eines Rechtsbezirks war. Bereits 1465 erhielt Gröbzig durch Fürst Bernhard VI. von Anhalt Bernburg das Stadtrecht, welches sie auch heute noch besitzt. Das Marktrecht folgte im Jahre 1587, woraufhin die Stadt jährlich zwei Jahrmärkte abhielt. 1718 kaufte Leopold I. von Dessau die Güter der Stadt, der bedeutenden Familie von dem Werder, ab.
Jüdinnen* Juden spielten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Stadt und prägten das Leben in Gröbzig in allen Bereichen. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde arbeiteten vor allem als Händler und Hausierer sowie Wissenschaftler. Erst seit der Revolution 1848/1849 standen ihnen andere Berufszweige offen und sie erhielten die Möglichkeit öffentliche Ämter zu begleiten und Entscheidungs- und Würdenträger innerhalb der städtischen Gemeinde zu werden. In diesem Rundgang liegt der Fokus vor allem auf den Geschichten einzelner bedeutender Gröbziger Persönlichkeiten, die auch weit über die Grenzen der Stadt hinaus wirkten. Hierbei ist vor allem der Sprachwissenschaftler und Judaist Chajim Steinthal zu nennen, der seine Wirkungsstätte in Berlin hatte. Aber auch in Gröbzig selbst war z.B. Leo Löwenthal mit seinen Heimatgeschichten sehr geschätzt und der „Kleene Meester“, der Schlossermeister Hirsch Wolf Blumenthal mit seinem Können hoch angesehen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Erkundung unserer Stadt und ihrer Persönlichkeiten.
Lange Straße 10
06388 Gröbzig
Deutschland
Lange Straße 10
06388 Gröbzig
Deutschland
„Judenjreeb’zch“ – diesen Beinamen trägt die kleine Stadt an der Fuhne bereits seit langer Zeit. Übersetzt bedeutet er „Judengröbzig“. Hierbei handelt es sich nicht um eine diffamierende Bezeichnung aus der Zeit des Nationalsozialismus, sondern um einen Spitznamen aufgrund des verhältnismäßig hohen Bevölkerungsanteils von jüdischen Bürger*innen in der Stadt im Vergleich zu anderen Orten in Anhalt.
Die Jüdische Bevölkerung hat in der Stadtgeschichte von Gröbzig über einen Zeitraum von beinahe 300 Jahren eine bedeutende Rolle gespielt. Die Gemeinde gründete sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Belegt ist eine jüdische Ansiedlung in Gröbzig seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Gemeinde bekam um 1670 ein für die Landwirtschaft unbrauchbares Stück Land zur Anlegung ihres eigenen Friedhofes. Dieser existiert noch heute und stellt mit seinen 248 Grabsteinen eine unverzichtbare Quelle der genealogischen Forschung dar.
Vor allem im 18. Jahrhundert war die Stadt sehr beliebt bei jüdischen Kaufleuten und Händler*innen. Die Lage Gröbzigs an der Grenze von Anhalt und der Preußischen Provinz Sachsen bot günstige Voraussetzungen für den Handel. Jüdinnen*Juden durften unter gewissen Voraussetzungen in Anhalt leben, während in Halle/Saale oder Leipzig nur der Besuch der Messen, zum Kauf ihrer Waren, erlaubt war aber kein Wohnrecht bestand. Für das Jahr 1753 ist belegt, dass 40 jüdische Familien in Gröbzig lebten, was einen Anteil von 15% an der damaligen Gesamtbevölkerung bedeutete.
Aufgrund der wachsenden Mitgliederzahl in der Mitte des 18. Jahrhunderts erhielt die jüdische Gemeinde vom Fürsten Leopold III. Friedrich Franz die Genehmigung und Unterstützung zum Bau einer neuen Synagoge. Im Jahre 1796 konnte die neue Synagoge, mit einer Grundfläche von 11×13m und einem farblich verziertem Tonnengewölbe als Decke, fertiggestellt werden. Sie war nicht nur der religiöse Mittelpunkt der Gemeinde, sondern auch ein wichtiger Begegnungsort zum Austausch.
Lange Straße 8
06388 Gröbzig
Deutschland
Berthold Karger, der letzte Gemeindevorsteher der Kultusgemeinde, stammte nicht wie seine Vorgänger aus der Region um Gröbzig. Im Januar 1923 wendet sich der ehemalige Gemeindevorsteher H.W. Blumenthal in einem Schreiben an die Stadt Gröbzig und teilt darin mit, dass der Kaufmann Berthold Karger neuer Gemeindevorsteher in Gröbzig wird. Am 31. Juli 1863 im heute polnischen Ort Wolsztyn (Wollstein) geboren (erm. 12. Mai 1940), kam der vom östlichen und orthodoxen Judentum geprägte Berthold Karger in den frühen 1920er Jahren gemeinsam mit seiner Frau Marie, geb. Posener (18.02.1869 – 21.09.1942) und der Tochter Johanna (30.03.1898 – 25.11.1941) nach Gröbzig. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindevorsteher war er Kaufmann und betrieb zeitweise eine Verkaufsstelle für Brennspiritus.
Aufgrund des Wegzuges vieler Mitglieder und der Überalterung der jüdischen Gemeinde beschlossen die letzten neun verbliebenen Gemeindemitglieder ihre Synagoge dem Heimatverein als Ausstellungsraum zur Verfügung zu stellen. Nach einem Abschiedsgottesdienst am 12. August 1934 wurde im ehemaligen Schulgebäude ein Betraum eingerichtet. Am 18. November 1938, eine Woche nach der Reichspogromnacht , wurden sämtliche Mietverträge der jüdischen Mitbürger*innen aufgekündigt und sie mussten in das Kantorhaus umziehen. Bereits im September 1939 wurde die Familie Karger nach Berlin deportiert. Berthold Karger und seine Tochter Johanna verstarben im Jüdischen Krankenhaus Berlin , welches als Sammellager diente. Marie Karger wurde im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Vom Sparkonto Johanna Kargers wurde das verbliebene Geld in Höhe von 985 Reichsmark schließlich von der NSDAP eingezogen. Heute zeugen zahlreiche Gebetsbücher, die mit handschriftlichen Stammbauminformationen und Namenseinträgen versehen sind und sich im Bestand des Museums Synagoge Gröbzig befinden, von der Geschichte der Familie Karger. Dadurch lässt sich eine Brücke schlagen, von der Heimat und jüdischen Tradition in Wollstein zu der Gemeinde in Gröbzig.
Lange Straße 10
06388 Gröbzig
Deutschland
Die ehemals große jüdische Gemeinde, die der Stadt den Beinamen „Judengröbzig“ brachte, verlor zahlreiche Mitglieder aufgrund der Landflucht, welche nach der Reichsgründung 1971 einsetzte. Im Jahr 1934 zählte sie somit nur noch neun Mitglieder und gab aufgrund der Unterhaltungskosten die Synagoge an die Stadt bzw. den Heimatverein zur weiteren Nutzung ab. Die verbleibenden Mitglieder nutzten das Schulhaus als Betraum, bis sie in verschiedene Zwischenlager deportiert wurden .
„Gröbzig ist nun judenfrei.“ schrieb der Bürgermeister am 1. Oktober 1940, nachdem Rosalie Meyerstein als letzte Jüdin nach Halle deportiert wurde. Dieser einfache Satz beendete abrupt ein langes Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen im Ort.
Wir gedenken:
Emmi Blumenthal, geboren am 12.März 1890; deportiert am 27. März 1939 über Hamburg in das Ghetto Minsk; ermordet am 18. November 1941
Ernst Blumenthal, geboren am 6. Dezember 1884; deportiert über Coswig in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz; ermordet am 19. April 1943
Berthold Karger, geboren am 31. Juli 1863; deportiert am 17. Oktober 1939 nach Berlin; verstorben in Berlin am 12. Mai 1940
Johanna Karger, geboren am 30. März 1898; deportiert am 17. Oktober 1939 nach Berlin; verstorben in Berlin am 25. November 1941
Marie Karger, geb. Posner; geboren am 15. Februar 1869, deportiert am 17. Oktober 1939 über Berlin in das Vernichtungslager Treblinka, ermordet am 21. September 1942
Henriette Löwenthal, geb. Salazin; geboren am 9. August 1861; deportiert am 29. November 1939 über Berlin in das Ghetto Theresienstadt, ermordet am 1. November 1943
Rosalie Meyerstein; geboren 10. Juli 1860; deportiert am 15. September 1940 über Halle/S. in das Ghetto Theresienstadt, ermordet 27. Februar 1943
Johanna Salazin; geboren am 6. Januar 1864; deportiert am 29. November 1939 nach Berlin; Ort und Datum der Ermordung unbekannt
Henriette Schlesinger; geboren am 17. Mai 1868; deportiert am 4. Juli 1940 nach Berlin; Ort und Datum der Ermordung unbekannt
Marktplatz 14
06388 Gröbzig
Deutschland
Mathias Löwe, der am 7. Februar 1813 geboren und am 7. Juni 1896 gestorben ist, wohnte gemeinsam mit seiner Ehefrau Friederike (geb. Gerson, 1813-1902) am Marktplatz 14. Ab 1850 bekleidete Mathias Löwe als Schriftführer des Gemeinderats und Gemeindeeinnehmer ein offizielles Amt in der Stadt.
Zusätzlich zu diesem angesehene Amt und seiner Arbeit als Schnittwarenhändler stellte er 1851 einen Antrag zur Eröffnung eines Tabak- und Zigarrenhandels. Die zuständige Handels- und Gewerbekommission in Gröbzig lehnte sein Gesuch mit folgender Begründung ab: „Das Gesuch des Patenten (…) ist durch Abstimmung mit 11 gegen 1 Stimme abgewiesen, indem hiesigen Orts für das Publikum noch kein Mangel an derartigen Bedürfnissen sich herausgestellt hat“.
Mit dem Amt als Gemeindeeinnehmer hatte er die Finanzverantwortung für Gröbzig inne. Zu seinen Aufgaben gehörte hierbei unter anderem die Steuererhebung. Höchste Stadtämter, wie das von Mathias Löwe, in die man gewählt werden musste, sind ein Beleg für die enge Zusammenarbeit von Juden*Jüdinnen und Christ*innen in Gröbzig.
Marktplatz 21
06388 Gröbzig
Deutschland
Die wirtschaftliche Situation der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert lässt sich allgemein als schlecht beschreiben. Viele von ihnen waren von Armut betroffen. Beruflich waren sie fast ausschließlich als Hausierer mit anstrengendem und kaum lukrativem Geschäft tätig. Grund hierfür waren die damaligen Berufsverbote, da Juden den Zünften nicht beitreten durften. Ihnen war nur der Handel und Geldverleih sowie ein Studium erlaubt. Im 19. Jahrhundert stellte sich eine Verbesserung der Lage ein. Jüdinnen* Juden erhielten die Staatsbürgerrechte und damit verbunden auch die Erlaubnis zur Ausübung eines Handwerks. Viele jüdische Familien in Gröbzig waren dennoch von Armut betroffen.
Ein Beispiel hierfür sind die Bewohner*innen vom Marktplatz 21: Das Ehepaar Henriette und Salomon Herzfeld (geb. 12.01.1817). Sie handelten mit Kleidern, Schnittwaren und gebrauchten Möbeln. Da sie von alledem jedoch nicht leben konnten, erhielten sie ab 1854 staatliche Unterstützung. Im Jahr 1858 mussten sie zusätzlich ihr Warenlager verpfänden und einen Armenschein beantragen. Ihnen wurde Anspruch auf eine herzogliche Zuwendung gewährt. In der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verließen sie nach 1863 Gröbzig .
Marktplatz 19
06388 Gröbzig
Deutschland
Die Familie Meyerstein gehörte zu den ältesten in Gröbzig ansässigen jüdischen Familien. Der Stammbaum lässt sich bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die Meyersteins waren hauptsächlich als Handels- und Kaufleute tätig. Wie vielen anderen Jüdinnen* Juden eröffnete die bürgerliche und religiöse Gleichstellung im 19. Jahrhundert, auch ihnen neue wirtschaftliche Tätigkeitsfelder. Dies führte oft zum Umzug in die industrialisierten Großstädte.
Als letztes Mitglied ihrer Familie lebte Rosalie Meyerstein in Gröbzig. Sie wurde am 10. Juli 1860 hier geboren. Nachdem sie die Oberschule des Ortes besuchte arbeitete sie als Wirtschafterin. Rosalie Meyerstein blieb unverheiratet und kinderlos. Da ihre Arbeit nicht den vollen Lebensunterhalt und eine ausreichende Rente sichern konnte, war sie auf Unterstützung angewiesen. Diese bekam sie nicht nur aus staatlichen Mitteln sondern auch aus verschiedenen jüdischen und nichtjüdischen Stiftungen.
In den Akten des Stadtarchives wird sie unter anderem in einigen Wählerlisten aufgeführt. Außerdem findet sich ein Schreiben, dass Rosalie Meyerstein als Folge der Novemberpogrome der Mietvertrag für die Wohnung am Marktplatz 19 gekündigt wurde. Daraufhin lebte sie mit den übrigen acht Jüdinnen* Juden im Kantorhaus der Gemeinde. Nach der Deportation der übrigen Gemeindemitglieder war Rosalie Meyerstein die letzte Gröbziger Jüdin, die am 15. September 1940 die Stadt verlassen musste. Ihr Weg führte sie anschließend nach Halle in das Altenheim Großer Berlin 8, welches an die Synagogengemeinde in Halle angegliedert war.
Im Jahr 1941 zog sie in die damalige Boelckestraße 24. Von diesem Sammellager aus wurde sie schließlich am 20. September 1942 über Leipzig in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Rosalie Meyerstein wurde dort am 27. Februar 1943 ermordet.
Marktplatz 12
06388 Gröbzig
Deutschland
Hirsch Wolf Blumenthal wurde am 17. Februar 1843 in Gröbzig geboren und war den meisten Einwohner*innen nur als der „kleene Meester“ bekannt. Mit Beginn seiner Lehre bei dem Schlossermeister Christoph Schubert wurde er 1857 in die Innung aufgenommen. Drei Jahre später fertigte er ein Französisches Schloss mit schließender Falle als Gesellenstück und wurde damit zum Gesellen gesprochen. Mit seinem Wanderbuch bot er seine Fähigkeiten auch im Preußischen Staat an, was eine Konzession von 1864 belegt. Mit seiner Meisterprüfung 1866 beendete er seine Ausbildungsjahre. Als Meisterstück fertigte er einen dekorativen Tresoraufsatz aus Gusseisen mit Farbanstrich, welcher sich noch heute in der Sammlung des Museums Synagoge Gröbzig befindet. Sein Ladengeschäft mit Schaufenster befand sich in seinem Wohnhaus am Marktplatz 12. Hier bildete Blumenthal am Ende der 1860er Jahre zusätzlich Lehrlinge aus. Erzählungen zufolge beschenkte er die Kinder der Stadt zu den Feiertagen im Dezember mit kleinen Blechspielzeugen.
Seine Fertigkeiten waren weit über die Stadtgrenze hinweg bekannt. So war es keinem anderen Schlosser möglich, eine in Leipzig stehende Anlage zu reparieren. Ein daraus resultierendes Arbeitsangebot lehnte er ab und kehrte nach Gröbzig zurück. Aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner geringen Körpergröße von 4 Fuß 10 Zoll (ca. 1,50m) erhielt er den Spitznamen „kleener Meester“.
Neben seiner Tätigkeit als Schlosser war er zusätzlich als Stadtverordneter und Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde tätig. Dies sind klare Belege für sein hohes Ansehen innerhalb der Stadt, welches ebenfalls aus seinem ehrenamtlichen Engagement hervorging. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Friederike (1855 – 15.06.1885) heiratete er am 24. Februar 1887 Johanne Wohlgemuth (04.05.1858 – 09.04.1926). Er war Vater von insgesamt neun Kindern.
Hirsch Wolf Blumenthal starb 1934 und wurde als letzte Person auf dem jüdischen Friedhof in Gröbzig beigesetzt.
Marktplatz 8
06388 Gröbzig
Deutschland
Baruch Herzfeld wurde am 5. Dezember 1811 in Gröbzig geboren. Nach seiner Ausbildung an der Franzschule in Dessau kehrte er nach Gröbzig zurück und arbeitete hier in der jüdischen Schule als Lehrer. Er unterrichtete neben Deutsch und Hebräisch auch Mathematik und Geografie sowie für besonders begabte Schüler, zum Beispiel Chajim Steinthal, auch Französisch. Im Zuge der Gründung einer Volksschule, an welcher Herzfeld maßgeblich beteiligt war, trat er aus dem Lehrerberuf aus. Bereits 1838 erhielt er einen Gewerbeschein. Neben einem Ladengeschäft, in welchem er unter anderem Schuhe verkaufte, betrieb er ein Pfandhaus, eine Lotterie sowie ein Versicherungsbüro.
Chajim Steinthal erinnerte sich folgendermaßen an seinen ehemaligen Lehrer:
„Wenn nun der Leser Sympathie mit meinem Lehrer Baruch Herzfeld gewonnen hat, so nimmt er wohl noch die Nachricht hin, dass derselbe bald nach 1840 seine Stelle niederlegte, das schönste und gebildetste Mädchen heiratete, ein Geschäft eröffnete und sich durch seine höhere Bildung und strenge Gewissenhaftigkeit die Achtung seiner Mitbürger in immer höheren Maße erwarb.“
Bei dem genannten Mädchen handelte es sich um Pauline Löwe (15.03.1815 – 09.10.1899). Die beiden hatten zwei Töchter: Henriette und Friederike. Die Familie lebte über ihrem Ladengeschäft am Marktplatz 8 , wo sich heute eine Baulücke befindet. Die von Steinthal beschrieben Achtung seiner Mitbürger geht auch aus den Akten der Stadt Gröbzig hervor. Baruch Herzfeld wurde nach seiner Tätigkeit als städtischer Abgeordneter und seinem Mitwirken an der Einrichtung einer Volksschule zum Zweiten Gemeindevorsteher gewählt. Dies ist gleichzusetzen mit dem Amt des stellvertretenden Bürgermeisters, welches er bis in die 1870er Jahre innehatte. Laut eines Artikels der Allgemeinen Zeitung des Judentums vom 23. April 1849 wurde er sogar zum Bürgermeister gewählt, was ihn zum ersten jüdischen Bürgermeister Deutschlands machen würden. Baruch Herzfeld starb am 2. Januar 1879 in Gröbzig.
Marktplatz 4
06388 Gröbzig
Deutschland
Meyer Hirsch Apelt wohnte zusammen mit seiner Ehefrau Therese, geb. Ascher im Haus Marktplatz 4. Er wurde am 2. Oktober 1824 geboren und zählte zu den wohlhabenden Bürger*innen der Stadt. Anhand zahlreicher Geschichten und Aktenvermerke zeigt sich, dass jüdische und christliche Bürger*innen aller Einkommens- und Altersgruppen in Gröbzig eng zusammenlebten und es keine räumlichen Separierungen gab.
Einen wichtigen Aspekt bilden hierbei die Stiftungen. Mendel und Johanna Gottschalk stifteten 1878 einen Betrag von 3.000 Mark, dessen Zinsen bedürftigen Bürger*innen der Stadt zukommen sollten. In den zugehörigen Statuten ist unter §5 festgehalten, dass diese unabhängig von der Religionszugehörigkeit vergeben und ausgezahlt werden sollen. Laut den Statuten wurde das Geld jährlich ausgezahlt. Einem Gremium, welches sich aus dem Bürgermeister, dem Gemeindevorsteher der israelitischen Gemeinde und einem gewählten Mitglied des Rates zusammen setzte, bestimmte über die Verteilung der Gelder. Zwei Drittel der Zinsen sollten hierbei an Arme christlicher und ein Drittel an Arme jüdischer Konfession ausgezahlt werden. Neben ihnen stifteten ebenfalls die jüdischen Gemeindemitglieder Bele Apelt und Hirsch Levi Weil in ihrem Namen Geld für Arme. Im Gegenzug gab es auch die christliche Luise-Voigt-Stiftung, welche zum Beispiel die Jüdin Henriette Schlesinger unterstützte .
Marktplatz 2
06388 Gröbzig
Deutschland
Meyer Schiff wohnte am Marktplatz 2. Er arbeitete als Schnittwarenhändler und Kaufmann. Weiterhin, wie es aus den Akten des Gröbziger Stadtarchivs hervorgeht, war er auch als Versicherungsmakler tätig. Ermöglicht wurde ihm dies durch die persönliche Empfehlung des Bürgermeisters Friedrich Haring. Auf eine Anfrage der Preußischen National-Feuerversicherung von 1855, welche eine Agentur in Gröbzig eröffnen wollte und um die Empfehlung einer geeigneten Person bat, antwortete er: “Der beste (…) Mann ist meiner Ansicht nach der Kaufmann und Schnittwarenhändler Meyer Schiff.“
Geboren am 14. April 1821, kaufte er bereits im Alter von 30 Jahren das Haus am Marktplatz 2. Dort betrieb er ein Ladengeschäft und erarbeitete sich, wie sein Nachbar Meyer Hirsch Apelt, einen gewissen Wohlstand. Neben seinem hohen Ansehen als Geschäftspartner in der Stadt besaß er dieses auch innerhalb der jüdischen Gemeinde. So war er beispielsweise 1854 als Vertreter der Gemeinde bei einer Grundflächenneuverteilung tätig.
Das Wohnhaus von Meyer Schiff befindet sich direkt neben dem ehemaligen Ratskeller im Rathaus. Im Jahr 1855 legte er eine Beschwerde, die dortige Kegelbahn betreffend, ein. Grund hierfür war, dass nach dem Bau das Kegelbahndach sein Küchenfenster verdeckte. In einer Einigung der beiden Streitparteien wurde daraufhin festgehalten, dass Meyer Schiff das ewige Traufrecht, also das Recht zur Ableitung von Regenwasser auf das Nachbargrundstück, bekommt. Außerdem sollte ein Fenster im Kegelbahndach installiert und in Zukunft mehr Rücksicht bei baulichen Veränderungen des Ratskellers genommen werden.
Marktplatz
06388 Gröbzig
Deutschland
Der Autor Chajim Steinthal wurde am 16. Mai 1823 in Gröbzig geboren und verbrachte einen großen Teil seiner Jugend hier. Er besuchte unter Baruch Herzfeld die jüdische Schule in Gröbzig und legte das Abitur am Gymnasium in Bernburg (Saale) ab. Anschließend studierte er an der Universität Berlin mit Aufenthalten in London und Paris und erlernte hierbei mehr als zehn Sprachen. Nach seiner Promotion 1849 wurde er 1862 zum Professor ernannt und unterrichtete an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Er war Sprachwissenschaftler, Bibelgelehrter und jüdisch-religiöser Philosoph. Steinthal veröffentlichte eine Vielzahl an wissenschaftlichen Schriften innerhalb dieser Fachrichtungen. Zusammen mit seinem Schwager Moritz Lazarus (15.09.1824 – 13.04.1903) begründete er die Völkerpsychologie.
Steinthals Jugenderinnerungen sind eine wichtige Quelle für die heutige Forschung im Museum Synagoge Gröbzig. So beschrieb er beispielsweise die Synagoge folgendermaßen:
(…) Über der heiligen Lade sind die zehn Gebote auf zwei Tafeln, die von zwei heraldischen Löwen gehalten werden. In derselben sind wohl fast ein Dutzend größere und kleinere Thorarollen, von denen etwa die Hälfte auch ihren eigenen silbernen Schmuck tragen, den sie zeitweise den anderen leihen. (…) Die eine Rolle zumal war sehr hoch, mit großen Buchstaben geschrieben und trug zwei Kronen von einer Pracht, die ich nie vergessen werde. (…) Dem entsprachen die Kleider der Rollen, die Vorhänge vor der Lade und die Decken über dem Almemor. Sie waren teils farbig und mit Goldfäden durchwirkt, teils weiß mit Silberfäden, und zwar diese für die drei strengsten Feiertage und die Totenfeier (…)
Die umfassenden Beschreibungen der Synagoge, des Lehrers und des Kantors ermöglichen dem Leser einen persönlichen Einblick in das jüdische Leben Gröbzigs.
Am 14. März 1899 starb Chajim Steinthal und wurde auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee (Feld 1A – Ehrenreihe Nr. 14) bestattet.
Schulstraße 18
06388 Gröbzig
Deutschland
Die Familie der Eheleute Sara Gottschalk und Gerson Josef Schiff lebte als Kaufleute in Gröbzig. Ihr Sohn Julius Schiff (9.12.1856 – 21.05.1922) und dessen Ehefrau Jenny Frank wohnten in der Schulstraße 18. Ebenso wie seine Eltern arbeitete er als Kaufmann. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagierte er sich zusätzlich ehrenamtlich innerhalb der jüdischen Gemeinde und in Gröbzig. Aus den städtischen Archivakten geht hervor, dass er in der Mendel Gottschalk Stiftung als Gemeindevertreter eingesetzt und somit in die Verteilung der Gelder involviert war. Auch in städtischen Vereinen machte er sich verdient. So wurde ihm 1901 für seine 20-jährige Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr ein Ehrenzeichen verliehen. Die ehrenamtliche Tätigkeit von Julius Schiff ist beispielhaft für das Zusammenleben in der Stadt. Ebenfalls waren Gustav und Gerson Goldstein sowie Meyer Hirsch Apelt Mitglieder in der Freiwilligen Feuerwehr und wurden hierfür ausgezeichnet.
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde engagierten sich jedoch nicht nur im Brandschutz sondern auch im sportlichen, kulturellen und sozialen Kontext. So gelang es Gerson Goldstein in den Jahren 1899 und 1901 Schützenkönig zu werden. Im 1929 gegründeten Heimatverein wirkten Mitglieder der jüdischen Gemeinde ebenfalls, unter anderem durch die Bereitstellung von Objekten, an der ersten Ausstellung mit.
Bernburger Straße 18
06388 Gröbzig
Deutschland
Als Sohn des Buchbindermeisters Moses Löwenthal und dessen Frau Sara Apelt wurde Louis, genannt Leo, Löwenthal am 13. Mai 1855 geboren. Sein Geburtshaus befand sich in der Bernburger Straße 18. Mit seiner Ehefrau Henriette Salazin (09.08.1861 – 01.11.1943), Tochter des Kultusbeamten David Salazin, lebte er seit ihrer Hochzeit im Jahr 1886 in der Langen Straße 32. Löwenthal besaß eine Krawattenmanufaktur sowie ein Ladengeschäft in Gröbzig. Seine Krawatten waren so beliebt, dass er sie sogar bis nach München verkaufte. Auch wenn seine Arbeit wichtig für den Lebensunterhalt der Familie war, war seine eigentliche Leidenschaft die Heimatdichtung.
Seine Geschichten schrieb er im Gröbziger Dialekt und schuf somit etwas Einzigartiges. Oftmals ging es hierbei um das Zusammenleben von christlichen und jüdischen Bürger*innen. Zu seinen Werken gehören unter anderem „48 tragische Erlebnisse einer kleinen Stadt“ sowie das „Jreebz´jer Allerlei“. Zu seinem Repertoire gehörten auch Festreden und Gedichte. Diese wurden unter anderem zu Geburts- und Hochzeitstagen oder auch dem 100jährigen Bestehen der Synagoge vorgetragen.
Leo Löwenthal starb am 14. September 1925 in Folge einer Operation in Dessau. Sein Leichnam wurde eingeäschert und auf dem jüdischen Friedhof in Gröbzig beigesetzt. Die Beerdigung fand aufgrund seiner großen Beliebtheit unter Anteilnahme einer großen Trauergemeinde statt.
Nach dem Tod ihres Ehemannes lebte Henriette im Kantorhaus der Gemeinde in ärmlichen Verhältnissen und bekam als Witwe und Kleinrentnerin staatliche Unterstützung. Sie gehörte zu den letzten neun Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und wurde 1939 zunächst nach Berlin und 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie im selben Jahr ermordet wurde.
Die Erinnerung an Leo Löwenthal wird noch heute durch das Museum Synagoge Gröbzig am Leben gehalten. So wurden bisher zwei seiner Geschichten als Theaterstücke aufgeführt: „Von Jreebz´ch nah Keeten“ und „Die Weiweßen“.
Jüdischer Friedhof
06388 Gröbzig
Deutschland
Bestehend aus 247 Grabsteinen ist der Jüdische Friedhof Gröbzig. der erste Beleg für die Ansiedlung von Jüdinnen*Juden in der Region um Gröbzig ab dem Jahr 1670.
Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Schloss in der Stadt abgetragen wurde, spendete Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) einen Teil der Steine für die Umfassungsmauer des Friedhofes sowie ein Stück seines Ackerlandes. Bedingt durch die Lage zwischen Akazienberg und Fuhne, etwa zwei Kilometer außerhalb der Stadt, nutzte die jüdische Gemeinde einen Leichenwagen um ihre Verstorbenen zu transportieren. Dieser wurde direkt neben der Synagoge in der sogenannten Leichenwagen Remise untergestellt. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde der Friedhof teilweise zerstört. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden alle umgeworfenen Grabsteine wieder aufgestellt. Zusätzlich wurde der Stein des Gröbziger Heimatdichters Leo Löwenthal im Jahr 2003 durch den Heimatverein der Stadt erneuert.
Die letzte Beisetzung auf dem Jüdischen Friedhof Gröbzigs fand im Jahr 1934 statt. Es handelte sich hierbei um die Beerdigung des Schlossermeisters Hirsch Wolf Blumenthal, welcher unter der Gröbziger Bevölkerung sehr beliebt war. Der Friedhof ist dauerhaft verschlossen.
Besichtigungen können über das Museum Synagoge Gröbzig angefragt werden.
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