Der Buchdrucker Chaim Schachor aus Prag gilt als der Erste, der hebräische Texte im deutschsprachigen Raum gedruckt hat. Seine Beschreibung als „Wanderdrucker“ ist vor allem den schwierigen politischen Rahmenbedingungen für Jüdinnen*Juden und wirtschaftlichen Zwängen geschuldet. Bei schwacher Auftragslage konnte Chaim Schachor die Werkstätten christlicher Drucker nutzen. Hatte er keine Möglichkeit zu drucken, verdiente er sein Geld als Buchhändler.
Chaim Schachor hatte zwei Kinder, von denen wir heute wissen; einen Sohn und eine Tochter. Sein Sohn Isaak und sein Schwiegersohn Josef ben Jakar sind später in die Buchdruckerei mit eingestiegen und unterstützten Schachor. Sie bildeten nachweisbar den Beginn der jahrhundertelangen Buchdrucktradition der Familie.
Der Buchdruck kam in Europa einer Medienrevolution gleich. Mit dem gedruckten Buch rückte der Zugang zu Wissen und Bildung für immer mehr Menschen in greifbare Nähe – zunächst jedoch vor allem für Christen, war das Druckprivileg doch vornehmlich christlichen Druckern vorbehalten. Durch jüdische Wanderdrucker wie Chaim Schachor wurden fast ein Jahrhundert nach Erfindung des Buchdrucks endlich auch hebräische Druckwerke im deutschsprachigen Raum möglich.
Von Chaim Schachor sind heute keine Darstellungen sicher überliefert.
Chaim ben David Schachor wurde um 1490 in Böhmen, vermutlich im Prager Ghetto, geboren. Hier erlernte er sein Handwerk bei Gerson ben Solomon Kohen, dem Begründer der Prager Buchdruckdynastie der Gersoniden. Gerson ben Solomon Kohen leitete eine Genossenschaft jüdischer Drucker und Verleger zur Herausgabe von Hebraica. Chaim Schachor wird die grafische Gestaltung und die Illustration der Bücher zugeschrieben.
1527 erhielt Kohen durch Ferdinand I. das Privileg, als einziger Drucker die Herausgabe hebräischer Bücher in Böhmen zu übernehmen. Damit wurde Gerson ben Solomon Kohen das Monopol auf den hebräischen Buchdruck in Böhmen zugesprochen. Da es folglich für ihn dort keine wirtschaftliche Zukunft mehr gab, verließ Chaim Schachor Prag.
In Oels bei Breslau machte sich Chaim Schachor selbständig. Dort bildete sich dank fürstlicher Privilegien Anfang des 16. Jahrhunderts wieder eine kleine jüdische Gemeinschaft, die sogar eine eigene Synagoge errichtete. Zusammen mit seinem Geschäftspartner David ben Jonathan leitete Chaim Schachor um 1529 eine Druckerei für hebräische Schriften in einem Nebenraum dieser Synagoge.
Am 29. Juli 1530 brachten Schachor und David ben Jonathan in Oels gemeinsam eine Ausgabe des Pentateuch heraus.
Doch in Oels waren trotz der benachbarten Breslauer Messen die Vertriebs- und Absatzmöglichkeiten begrenzt oder vielleicht lag es auch an der politischen Situation: Belegt ist, dass um 1530 jüdischen Familien aus Oels vertrieben wurden, wahrscheinlich ging beides Hand in Hand. In jedem Fall: Chaim Schachor verließ Oels.
Die nächsten Spuren hinterließ Schachor 1532 in Augsburg. Hier arbeitete er in der Druckerei von Silvan Otmar, die sich in der südlichen Altstadt bei der Klosterkirche St. Ursula befand. Die Druckerei von Otmar war mit über 500 Drucken zwischen 1515 und 1539 eine der produktivsten und renommiertesten dieser Epoche. Sie war das Epizentrum der Augsburger Buchproduktion und in ihrem Umfeld siedelten sich Formschneider und Buchbinder an. Mittendrin der jüdische Buchdrucker Chaim Schachor, der zunehmend Ansehen und Anerkennung für seine Arbeit erntete. Briefwechsel belegen, dass Silvan Otmar sich sogar für die Erlaubnis der Einrichtung einer Druckerei in Ulm durch den Augsburger Buchdrucker Sebastian Franck in Zusammenarbeit mit Chaim Schachor einsetzte. Für Gewicht und Einfluss des hebräischen Buchdrucks spricht auch diese Textstelle der erwähnten Korrespondenz:
„Das ander Stück ist das: ein Jud ist hie, der hat hebräisch Buchstaben und kann selbst setzen, der wollt hebraisch bei ihm [Sebastian Franck] drucken, dieselben Bücher sind von Stund an bar Geld, da hoffte er in einem Jahr etlich 100 Gulden über alle Kosten zu gewinnen außerhalb der deutschen Bücher zu drucken, das auch ein guten Nutz tragen wurden; damit so käm der gut, fromm und gelehrt Mann auf grün Zweig und wäre ihm geholfen, dass er (so Gott will) forthin nimmer dürft am Hungertuch nähen. Dieser Jud ist ein fromm Mensch, jedermann ungeärgert von ihm, wartet allein dem Drucken aus, ist in zwei oder drei Jahren oft und viel hie [in Augsburg] gewesen bei Bonifaz [Wolfart] viel Wochen lang.“ ( Endriß 1967, S. 36f. zit. nach Künast 2018, S. 283.)
Trotz der Aussicht auf ein einträgliches Geschäft durch den Druck hebräischer Texte, kam die Kooperation mit Ulm nicht zustande. Für Schachor hätte die Zusammenarbeit eine Verbesserung seiner finanziellen Verhältnisse bedeutet. Ab 1533 wohnte Chaim Schachor während seiner Augsburger Aufenthalte beim Prediger und Theologen Bonifazius Wolfart im sogenannten „Wunderhaus“ in der Nähe des Gögginger Tores. Es war also möglich, dass sich Jüdinnen*Juden in Einzelfällen in der Stadt aufhalten konnten – trotz ihrer Stadtverweisung seit 1438/40. Ob gegen Bezahlung oder Bürgschaft, wissen wir nicht. Zwischen 1532 und 1536 sind sieben Schachor-Drucke nachweisbar. Die nächsten vier Jahre verdiente er als Buchhändler sein Geld. 1540 und 1541 druckte Schachor wieder in Augsburg. An diesen Drucken waren das erste Mal auch Sohn Isaak und Schwiegersohn Josef ben Jakar beteiligt.
Im Sommer 1542 reiste Chaim Schachor mit Paulus Aemilius Romanus nach Ferrara, um die Möglichkeit zu prüfen, dort gemeinsam eine Druckerei zu gründen. Vermittelt wurde die Beziehung zu Aemilius durch den Oberrabbiner von Schwaben, Rabbi Isaak von Günzburg (1506-1586). Aemilius war 1538 als Berufsschreiber tätig und kopierte im Auftrag kabbalistische Handschriften, auch in Rom. Dort trat er im selben Jahr zum Christentum über.
Die Reise von Chaim Schachor und Aemilius scheiterte. Dafür waren vermutlich nicht nur Spannungen zwischen ihnen verantwortlich, sondern auch die Ablehnung des Konvertiten durch die jüdische Gemeinde, auch wenn ein angesehener Rabbi die Zusammenarbeit vermittelt hatte. Chaim Schachor hatte die Kosten für das erfolglose Unternehmen zu tragen, da ihn Aemilius erfolgreich auf Schadenersatz verklagte. Vermutlich musste Schachor ihm seine Drucktypen verpfänden. Drucken wurde also erst einmal unmöglich.
1544 bekam Chaim Schachor seinen Typenapparat zurück und ging nach Ichenhausen. Dort siedelten sich erstmals in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Jüdinnen*Juden an. Es waren vor allem Familien, die aus Reichsstädten und Fürstentümern vertrieben worden waren und – gegen Zahlung von Sonderabgaben – Zuflucht in Dörfern und auf Märkten erhielten. Auch die Ortsherrschaft von Ichenhausen nahm aus finanziellen Erwägungen Jüdinnen*Juden auf. Sie genossen hier zwar keine rechtliche Gleichstellung, konnten sich aber selbst verwalten.
In Ichenhausen stiegen Isaak und sein Schwiegersohn Josef fest in das Druckereigeschäft ein. Sie druckten gemeinsam einen hebräischen Pentateuch und ein Gebetbuch für Frauen in Jiddisch. Doch sie blieben nur kurz. Um 1545/46 zogen sie bereits weiter.
Das Buchdruck-Trio, bestehend aus Chaim Schachor, seinem Sohn und Schwiegersohn, zog von Ichenhausen weiter nach Heddernheim bei Frankfurt am Main. Hier druckten sie gemeinsam 1546 zwei weitere Verlagswerke: ein Selichot und einen Kommentar zu Bechai von Naftali Hirz ben Elieser Treves. Doch auch in Heddernheim, heute ein nördlicher Stadtteil von Frankfurt, wurde Schachor nicht langfristig sesshaft.
1547 ließen sich Chaim Schachor und seine Familie in Lublin nieder, wo er wenige Jahre später verstarb. Mitglieder der Familie Schachor hielten jedoch die Buchdrucktradition in Lublin bis weit ins 17. Jahrhundert hinein lebendig.
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