Sara-Ruth Schumann wurde im Jahr 1938 als Hedwig Abraham in Bremen geboren. Sie überlebte den Zweiten Weltkrieg versteckt und zog 1968 mit ihrem Mann und dem Sohn nach Oldenburg. Zunächst der evangelischen Kirche angehörig, konvertierte sie 1990 zum jüdischen Glauben und setzte sich stark für den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg ein. Als Erste Vorsitzende der Gemeinde gelang es ihr, die erste Rabbinerin Bea Wyler nach Oldenburg zu holen. Sie führte die Gemeinde zu einem nicht-orthodoxen Judentum, in dem die Frau dem Mann gegenüber gleichberechtigt ist. Bis zu ihrem Tod war sie ein wichtiges Mitglied der Jüdischen Gemeinde und wurde für ihre außerordentliche Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz sowie dem Großen Stadtsiegel Oldenburgs ausgezeichnet. Im Oktober 2014 verstarb sie im Alter von 76 Jahren in einem Hamburger Pflegeheim. Sara-Ruth Schumann gilt noch heute als ‚Gute Seele‘ der Jüdischen Gemeinde und wird als ein sehr offener, kommunikativer, kluger und liebevoller Mensch beschrieben.

Beruf
Krankenschwester, Einzelhandelskauffrau
Geburtsdatum
11. März 1938
Geburtsort
Bremen
Gender
Frau
Literatur
Auskünfte von Dr. Henning Scherf (Bremen) und Thomas Schumann (Hamburg) im Dezember 2018 bzw. Februar 2019.
Schicke, Sabine, Zentralrat trauert um Sara-Ruth Schumann, in: Nordwest-Zeitung, 29.10.2014.
Schumann, Thomas, Hesped (Trauerrede) für Sara-Ruth Schumann vom 28.10.2014.
Stadtarchiv, Bestand ZS-C 2, Sara-Ruth Schumann.
o.A., Große Verdienste um das Miteinander der Kulturen, in: Nordwest-Zeitung, 20.04.2001.
Sonstiger Name
Hedwig Abraham
Stationen
Titel
Ihr Leben in Bremen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs
Adresse

Dipenau
28195 Bremen
Deutschland

Geo Position
53.081256, 8.796051
Stationsbeschreibung

Sara-Ruth Schumann wurde am 11. März 1938 in Bremen geboren. Ihr Vater August, früher Ephraim, war Schlosser und aus einer jüdischen Familie stammend, die im Jahr 1922 zum Christentum konvertierte. Ihre Mutter Maria stammte aus einer christlichen Handwerkerfamilie, die eine große Zimmerei besaß. Neben ihrer neun Jahre älteren Schwester Anni und ihrem acht Jahre älteren Bruder Karl, war sie die Jüngste in der Familie. Ihre Mutter war schon während der Schwangerschaft, durch den jüdischen Vater des Kindes, antisemitischen Vorwürfen ausgesetzt. Diese Ablehnung machte die Familie jedoch nur noch stärker, und schon als Kind passte ihr Bruder besonders auf sie auf, um sie vor Unheil zu beschützen. Die Familie wohnte in der Straße Diepenau in der Bremer Innenstadt, ganz in der Nähe der Stephani Gemeinde.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brach eine harte Zeit für die Familie an, die viele Nächte im Luftschutzbunker verbringen musste. Die kleine Sara-Ruth ging von einem Erwachsenen zum anderen und sang ihnen Lieder gegen die Angst, bis eines Tages die ganze Bremer Innenstadt brannte. Sie erlitt eine Schocklähmung und saß ab diesem Tag immer in einem Bollerwagen, wenn die Familie erneut in den Luftschutzbunker musste, bis ihnen auch diese Sicherheit verwehrt wurde. Am 18. November 1941 wurden sieben Tanten und Onkel sowie ihre Großmutter nach Minsk deportiert. Trotz der Hilflosigkeit der Familie nahmen sie Sara-Ruths Cousine Hannelore, deren Eltern deportiert wurden, bei sich auf. Aufgrund einer Verwechslung mit dem Schneidermeister, der bei den Abrahams in der Dachkammer lebte und bei einem Feuer ums Leben kam, wurde August für tot erklärt, und der Familie gelang 1944 mithilfe der Familie Hammerstein die Flucht nach Bockel, Nahe Rotenburg. Dort konnte die Familie unter falschem Namen auf einem Gut überleben. Das ganze Dorf wusste zwar über ihre Herkunft Bescheid, doch behielt es für sich, und August konnte sogar unter falschem Namen seine Arbeit wieder aufnehmen. Im Februar 1945 wurden drei weitere Tanten nach Theresienstadt deportiert, überlebten jedoch. Am 15. Februar 1945 starb mit nur 15 Jahren ihr Bruder Karl bei einem Tieffliegerangriff. Dies war ein harter Schlag für die Familie, und es wurde nur noch wenig über ihn gesprochen.

Titel
Ihr Leben in Bremen in der Nachkriegszeit
Adresse

Doventorsteinweg 51
28195 Bremen
Deutschland

Geo Position
53.085655, 8.798615
Stationsbeschreibung

Während des Zweiten Weltkriegs war die Stephani Gemeinde die einzige Gemeinde Bremens, die sich gegen die Nationalsozialist*innen ausgesprochen hatte. Sara-Ruths Eltern waren sehr gut in dieser Gemeinde integriert, wodurch sich diese während der Kriegszeit vor die Familie Abraham stellte. Dies ist Sara-Ruth besonders in Erinnerung geblieben. So wurde Sara-Ruth im Alter von 14 Jahren in eben dieser Gemeinde konfirmiert. Überdies besuchte sie die Volksschule, in der sie jedoch zu spüren bekam, dass sie an der Schule unerwünscht war. So blieb ihr die Möglichkeit auf eine höhere Bildung verwehrt. In dieser sah ihr Vater auch keine Notwendigkeit, da sie eine Frau war. Sara-Ruth entschied sich aufgrund dessen für eine kaufmännische Lehre und machte später eine Ausbildung als Krankenschwester. Im Bremer Krankenhaus lernte sie dann den Arzt Friedrich-Wilhelm Schumann kennen und lieben, sodass sie im Jahr 1959 heirateten. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde ihr Sohn Thomas unter großen Anstrengungen geboren, von diesen erholte sie sich nur langsam. Sie hatte immer den Wunsch sechs Kinder zu haben, doch diesen Wunsch legte sie nach der ersten Geburt auf Eis. Die ersten Jahre der Ehe verbrachte sie, damals üblich für die Gattin eines Arztes, zu Hause, sich um ihren Sohn kümmernd.

Titel
Die ersten Jahre in Oldenburg
Adresse

Bäkeweg 12
26131 Oldenburg
Deutschland

Geo Position
53.125349, 8.181361
Stationsbeschreibung

„Hier ziehen wir ein, und wenn wir die Hälfte der Möbel wegschmeißen“ (Schumann 2014: 2).
Dies waren die Worte von Sara-Ruth Schumann, als sie im Jahr 1968 mit ihrer Familie in ein kleines Haus mit schönem Garten in den Bäkeweg 12 nach Oldenburg zog. Die Rolle der Mutter war ihr jedoch nicht genug und so begann sie als Verkäuferin in einem kleinen Modegeschäft zu arbeiten und später in einem Modegeschäft im Herbartgang. Aufgrund der Missbilligung ihres Mannes ihrer Tätigkeit gegenüber, hatte Sara-Ruth zu Beginn viele Selbstzweifel, doch sie wollte von ihrem Mann unabhängig sein und ihr eigenes Geld verdienen.

1972 sprach Sara-Ruth das erste Mal im engen Kreis der Familie über die Zeit des Dritten Reichs und was ihr und ihrer Familie widerfuhr. Es handelte sich um einen langen und schmerzlichen Prozess, der für die Verarbeitung der Geschehnisse jedoch vonnöten war.

Die Familie erweiterte ihr kleines Haus und richtete sich eine kleine Galerie ein. Das Ehepaar Schumann interessierte sich bereits seit längerem für Kunst und sammelte einige Kunstwerke. Durch großes Wachstum des Projektes erwarben sie Galerieräume in der Achternstraße 42. So ist die Stadt Oldenburg auf Sara-Ruth aufmerksam geworden, und ihr wurde eine Stelle im Kulturamt angeboten, die ihr die Möglichkeit gab, die Kunst in einem größeren Maße zu fördern, weswegen sie die Stelle auch annahm. Viele Jahre war sie Teil der Organisation des Kultursommers in Oldenburg, es gelang ihr in diesem Rahmen viele Ausstellungen in die Stadt zu holen. Aufgrund ihres Erfolgs wurde sie zur Kulturamtsleiterin gewählt.

Titel
Aufbau der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg
Adresse

Leo-Trepp-Str. 17
26121 Oldenburg
Deutschland

Geo Position
53.143185, 8.206451
Stationsbeschreibung

Ende der 1980er Jahre setzte sich Sara-Ruth, zu der Zeit noch Hedwig, stark mit dem jüdischen Glauben auseinander. In ihrem gesamten Leben befand sie sich in religiöser Auseinandersetzung mit der Frage, warum sie überlebte, während viele andere Menschen im Dritten Reich ihr Leben verloren haben. So fand sie zurück zu ihren Wurzeln und konvertierte zum Judentum. Seither trug sie den Namen Sara-Ruth. Nur zwei Jahre nach der Konversion, am 08. August 1992, wurde die Jüdische Gemeinde zu Oldenburg gegründet, und sie war eine der 16 Mitbegründer*innen. Ihre Erfahrungen mit der Politik, der Stadt Oldenburg sowie der Presse und der Organisation von Veranstaltungen, aber auch ihre finanzielle Unabhängigkeit und die kaufmännische Ausbildung verhalfen ihr zur Amtsübernahme der Ersten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde. Sie sagte, es sei ein Wunder, dass dies überhaupt möglich war und sah es als Lebensaufgabe (vgl. Schumann 2014). Ohne Sara-Ruth hätte es die Neugründung wohl nie gegeben. Von Anfang an sprach sie sich für die Gleichberechtigung der Frau in der Gemeinde aus, in der die Frau ein vollwertiges Mitglied des Gottesdienstes ist. Sara-Ruth Schumann bemühte sich auch um eine neue Rabbinerin und holte dabei Bea Wyler nach Oldenburg. Frau Wyler war die erste Rabbinerin nach der Shoah in ganz Deutschland.

Im März 1995 nahm Sara-Ruth Schumann den Schlüssel der neuen Synagoge in der ehemaligen Wilhelmstraße 17, heute Leo-Trepp-Straße 17, entgegen.

Titel
Weitere Lebenswerke
Adresse

Achternstraße 42
26122 Oldenburg
Deutschland

Geo Position
53.081256, 8.214761
Stationsbeschreibung

Am 31. Dezember 1996 ließ Sara-Ruth die „Galerie 42“ in der Achternstraße schließen, die sie gerne für die Arbeit in dem Kulturamt aufgab. Neben dem Vorsitz der Jüdischen Gemeinde wurde sie 1996 stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und war seit 1997 Mitglied des Rundfunkrates des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Überdies war sie seit 1998 Mitglied des Direktoriums des Zentralrates der Juden in Deutschland und Mitglied des Vorstands des Koordinierungsrats der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Aufgrund ihres hervorragenden Führungsstils der Jüdischen Gemeinde, mit dem sie Zuwander*innen aus der ehemaligen Sowjetunion in die Gemeinde integrierte, die 90% der Oldenburger Gemeinde ausmachten, wurde ihr am 19. April 2001 von der niedersächsischen Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper in Hannover das Bundesverdienstkreuz überreicht. Die Ehrung geschah mit den Worten: „Ihr Wirken hat die Teilnahme von Juden an der Stadtkultur in Oldenburg wieder sichtbar gemacht“ (o.A. 2001).

Titel
Ihre letzten Lebensjahre
Adresse

Bullenkoppel 17
22047 Hamburg
Deutschland

Geo Position
53.594287, 10.095536
Stationsbeschreibung

„Das eigene Glück kann nicht auf dem Unglück Anderer entstehen“ (Sara-Ruth Schumanns Leitspruch). Am 08. Mai 2007 wurde Hergen Garrelt zum neuen Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kunsthandwerk e. V. als Sara-Ruth Schumanns Nachfolger gewählt.

Neben ihren vielen geschäftlichen Tätigkeiten hatte sie in ihrem privaten Leben das Glück, Enkelkinder zu haben und eine glückliche Ehe mit ihrem Mann zu führen. Nach 50 gemeinsamen Jahren verstarb dieser jedoch im Jahr 2009 nach längerer Krankheit. Drei Jahre später, im Sommer 2012, erkrankte auch Sara-Ruth. Sie litt an einer Gehirnhautentzündung, wodurch sie noch im selben Jahr, am 03. Oktober, gezwungen war, von dem Amt als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zurückzutreten. Aufgrund ihrer Verdienste innerhalb der Stadt Oldenburg und des jüdischen Lebens wurde ihr am 21. Januar 2014 das Große Stadtsiegel Oldenburgs vom Oberbürgermeister Gerd Schwandner verliehen.

Durch ihre Krankheit lebte sie die letzte Zeit ihres Lebens in dem Hamburger Pflegeheim Senator-Ernst-Weiß-Haus, in der Nähe ihres Sohns. Am Sonntag, den 26. Oktober 2014 verstarb sie dann mit 76 Jahren im Pflegeheim in Hamburg, wurde jedoch auf dem neuen jüdischen Friedhof in Oldenburg am 30. Oktober 2014 beerdigt. Bis heute gilt sie als die ‚Gute Seele‘ der Gemeinde und ist noch sehr präsent, da die Gemeinde ohne sie heute nicht da wäre, wo sie jetzt ist.

Sterbedatum
26. Oktober 2014
Sterbeort
Hamburg

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Autor
Medea Pollvogt