Friedrichstadt, etwa 16 Kilometer südlich von Husum zwischen Eider und Treene gelegen, zählt mit gut 2.500 Einwohner*innen zu den kleinsten Städten Schleswig-Holsteins. Backsteinbauten und Grachten prägen das Bild des malerischen „Holländerstädtchens in Nordfriesland“, und so lebt der Luftkurort heute vor allem vom Tourismus. Wäre es 1621 nach dem Willen des Stadtgründers, Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf, gegangen, hätte Friedrichstadt – unter Umgehung Hamburgs – schon bald zum internationalen Handelsstützpunkt mit Anbindung an die spanische Ostindien-Route aufsteigen sollen. So wurden wohlhabende Kaufleute aus den Niederlanden angeworben, dazu Handwerkerfamilien aus Süddeutschland, unter ihnen auch verfolgte religiöse Minderheiten. In der neuen, mehrheitlich lutherischen „Stadt der Toleranz“ wurde ihnen weitgehende Religionsfreiheit zugesichert – für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) sehr ungewöhnlich. Neben Remonstranten, Mennoniten und Quäkern fanden hier ab 1624 auch katholische Familien Aufnahme, auf Druck Spaniens jedoch keine jüdischen. Erst um 1675 konnte Moses Marcus Levy eine Handelskonzession erwerben, weitere folgten. Die jüdische Gemeinde wuchs: Um 1850 gehörten ihr fast 500 Mitglieder an. Ihre Spuren sind bis heute zu finden…
Am Markt 6
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
Am Markt 6
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
Anfang und Ende
Dieser Spaziergang durch drei Jahrhunderte jüdischer Geschichte beginnt am Friedrichstädter Marktplatz. Für Familie Meier endete sie hier im November 1938. Davon erzählen drei Stolpersteine am Markt 6.
Der Grundstein für das erste Haus Friedrichstadts wurde 1621 am Fürstenburgwall in der südwestlichen Ecke der Stadt gelegt. Bis heute ist noch der rechtwinklige Zuschnitt des alten Siedlungsgebietes zwischen Eider und Treene zu erkennen. Durch ein Schleusen- und Kanalsystem war es urbar gemacht worden. In der Mitte des Wegenetzes wurde der Marktplatz angelegt: Neben dem Rathaus dominieren die historischen Bürgerhäuser, auf eine zentrale Kirche wurde verzichtet. Die eisernen Stangen zwischen "Grünem" und "Steinernem Markt" zeugen von den Pferdemärkten, die hier zweimal jährlich stattfanden. Mittendrin befand sich das Haus von Leopold Meier (1893-1941?): 1919 hatte er den väterlichen Rohproduktenhandel am Markt 6 übernommen. Hier lebte er ab 1920 mit seiner Frau Therese geb. Levin (1899-1941?), dazu den Kindern Rolf (1921) und Rita Helene (1926). Die Eltern engagierten sich im Kegelclub "Neuntöter", der Vater auch im Vorstand der jüdischen Gemeinde. Ab 1933 änderte sich alles: Die Kinder wurden in der Schule gehänselt, das Geschäft boykottiert, im Novemberpogrom 1938 verwüstet und umgehend "arisiert". 1939 verzog die Familie nach Hamburg. Die Auswanderung scheiterte. Leopold, Therese und Rolf wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert. Nur Rita überlebte durch einen Kindertransport nach Großbritannien.
Kirchenstraße 2
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
Ein Schulhaus für alle Konfessionen
Vor dem heutigen Gemeindehaus erinnern zwei Stolpersteine an die Gebrüder Heymann.
An der Kirchenstraße 2 wurde 1851 die Gemeindeschule errichtet. Sie bestand – wie auch die jüdische Schule – bis 1905. Danach besuchten alle Kinder, unabhängig ihrer Konfession, die städtische Bürgerschule. Dies galt auch für die Gebrüder Heymann, Heinz (1907-41?) und Kurt (1912-43). Ihre Eltern stammten aus alteingesessenen Friedrichstädter Familien: Leopold Heymann war Pferdehändler und Henriette "Henny" Clara (geb. Levy) war Tochter des Manufakturwarenhändlers Joseph Levy. Beide Brüder absolvierten eine kaufmännische Ausbildung, Heinz war als Stoffhändler tätig. 1935 wurde er vom Bürgermeister wegen "rasseschänderischen Treibens" denunziert. 1937 zog er nach Hamburg. Die Auswanderung nach Shanghai misslang. 1941 wurde er mit seiner Mutter nach Łodz deportiert. Kurt wurde 1943 in Auschwitz ermordet.
Prinzenstraße 23
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
"Specialität-Schuhwaren feinster Art"
Im Friedrichstädter "Doppelgiebelhaus", Prinzenstraße 23, war bis 1938 das Tabak- und Schuhgeschäft der Familie Heymann zu finden. Gegenüber traf sich die jüdische Gemeinde 1676 zum ersten Mal…
Von der Kirchenstraße führt der Weg in die Prinzenstraße: Hier stand einst die "Wiege" der jüdischen Gemeinde zu Friedrichstadt. Nachdem der spanische König mittels Handelsvertrag (1627) eine Ansiedlung sefardischer Familien zunächst verhindert hatte, wurde 1675 erstmals ein Schutzbrief an einen aschkenasischen Juden, Moses Marcus Levy, vergeben. 1676 ließ er im hinteren Teil seines Hauses – vermutlich auf Höhe der heutigen Prinzenstraße 24 – eine erste Betstube einrichten. Hier traf sich die kleine Gemeinde, verborgen vor der Öffentlichkeit, bis sie 1734 an den Fürstenburgwall umzog. Genau gegenüber, im berühmten "Doppelgiebelhaus", lebte einer der letzten Friedrichstädter Gemeindevorsitzenden, Adolf Heymann (1873-1942?), dazu seine Frau Rieckchen (Ricka) geb. Rosenthal (1873-1942?) samt den Kindern Edith (1903) und Rudolf (1910). Bis 1938 unterhielten die Heymanns hier ein Tabak- und Schuhgeschäft. Deutsch-national gesinnt und als Gerichtsschöffe sowie "Ringreiter" hoch geachtet, war es für den Vater umso erschütternder, dass die Sturmabteilung seinen Sohn 1933 in Kiel ermordete und ihn selbst im Novemberpogrom seiner Existenzgrundlage beraubte. Von Hamburg aus wurden Adolf und Rieckchen 1942 nach Theresienstadt und weiter nach Treblinka deportiert. Edith gelang die Flucht nach New York.
Am Fürstenburgwall 17 / Am Binnenhafen 1a
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
Die erste Synagoge von Friedrichstadt
Das erste Haus Friedrichstadts stand am Fürstenburgwall / Ecke Binnenhafen – bis zur Kanonade von 1850. Von 1734 bis 1847 war hier die erste öffentliche Synagoge der Stadt zu finden.
Der 24. September 1621 gilt als Geburtstag Friedrichstadts: An jenem Freitag wurde in der südwestlichen Ecke der Stadt, zwischen Fürstenburgwall und Binnenhafen, der Grundstein für das erste Haus gelegt, erbaut für den Kaufmann Willem van den Hove. An gleicher Stelle erinnert seit 1971 eine Gedenktafel an das große Ereignis und an das Versprechen religiöser Toleranz, damals wie heute: "Haltet Stand in der Freiheit" (Galater 5:1). Gegen die sechstägige Kanonade, der Friedrichstadt zum Ende des ersten Schleswig-Holsteinischen Krieges im Herbst 1850 ausgesetzt war, konnte das alte Haus – wie 136 andere – nicht mehr Stand halten. Wenige Jahre zuvor war hier noch die jüdische Gemeinde zusammengekommen: Bereits 1734 hatte sie das zweistöckige Haus erwerben und zu ihrer ersten öffentlichen Synagoge mit Frauenempore umbauen können. Zugleich trat der erste Vorbeter bzw. Rabbiner seinen Dienst an. Im 19. Jahrhundert wuchs die Gemeinde zu einer der größten auf dänischem Staatsgebiet an: 1845 zählte sie 421 Mitglieder, und der Platz wurde knapp. Bis zur Fertigstellung einer neuen Synagoge dauerte es freilich noch zwei lange Jahre: Am 28. Dezember 1847, nach einem letzten Gottesdienst, wurde die Tora feierlich, am Kanal entlang, zum Binnenhafen 17 gebracht…
Westerhafenstraße 10
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„…uns ist noch viel mehr weggekommen und wir müssen es auch tragen.“ (Protokoll zur Anzeige wegen Diebstahls durch Rosa Hirsch, 21. November 1938)
In der Westerhafenstraße 10 war bis 1939 die Manufakturwarenhandlung der Familie Levy zu finden. Heute fehlt hier jeglicher Hinweis – auch der 2004 verlegte Stolperstein für Rosa Hirsch (1886-1942?).
Auf dem Weg zur neuen Synagoge lohnt ein Abstecher zur Westerhafenstraße 10. In dem dreistöckigen Ziegelsteinhaus findet sich heute eine Heizungs- und Sanitärfirma – für Tourist*innen wohl kaum ein Ziel. Ende August 2004 war auch hier, im Rahmen des internationalen Kunstprojektes von Gunter Demnig, ein Stolperstein zum Gedenken an Rosa Hirsch verlegt worden. Noch 2010 wurde dieser im Faltblatt „Stolpersteine in Friedrichstadt. Ein Stadtrundgang“ aufgeführt, inzwischen fehlt er. Folgendes ist bekannt: Rosa Hirsch wurde 1886 in Kirchberg (Hunsrück) geboren. Wann sie nach Friedrichstadt kam, ist unklar. Als ledige Krankenschwester fand sie im Haus der Familie Levy Anstellung. Diese betrieb in der Westerhafenstraße 10 einen Manufakturwarenhandel, und die betagte Mutter, Helene Levy, bedurfte der Pflege. Im Novemberpogrom 1938 wurde das Wohn- und Geschäftshaus verwüstet und geplündert – auch für Rosa ein traumatisches Erlebnis. Erst am 21. November konnte sie sich zur Anzeige wegen Diebstahls durchringen, ohne Ergebnis. Die Levys flohen ins Ausland, Rosa fand ab April 1939 Arbeit im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Von dort wurde sie am 25. Oktober 1941 nach Łodz deportiert und vermutlich 1942 in Kulmhof ermordet. In der Oberstraße 5 in Hamburg-Eimsbüttel wurde für sie ein zweiter Stolperstein gesetzt…
Westermarktstraße 17
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Mit Würde und mit Mut werden wir die mitleidlosen Maßnahmen Deutscher gegen Deutsche auf eigener Heimaterde zu ertragen wissen.“ (Willi Wolff, Anzeige in der „Friedrichstädter Zeitung“ vom 3. April 1933)
Über Generationen gehörte die koschere Schlachterei der Familie Wolff in der Westermarktstraße 17 zum Friedrichstädter Stadtleben, bis 1938. Seit 2004 finden sich hier – stellvertretend – drei Stolpersteine.
Über den Binnenhafen führt der Weg zu einem weiteren Privathaus in der Westermarktstraße 17. Bis heute ist an dieser Adresse eine Fleischerei verzeichnet, vor gut 80 Jahren jedoch noch unter dem Namen Wolff: Für Generationen war die Familie in Friedrichstadt ansässig – zuletzt wurden der Schlachtermeister Emanuel Wolff (1855-1908) und seine Frau Betty geb. Behrend (1855-1940) auf dem Neuen jüdischen Friedhof beigesetzt. Der älteste Sohn, Julius Wolff (1887-1941?), und seine Frau, Bertha, geb. Schloß (1890-1941?), führten das jüdische Familienunternehmen weiter. Die Einhaltung von Kaschrut und Schabbat gehörten selbstverständlich dazu. Julius fungierte als Schochet der Gemeinde und Vorsitzender des Männer-Beerdigungsvereins. Die Ehe blieb kinderlos, und so lebten stets andere Angehörige mit im Haus, u. a. Emanuels Geschwister Michael und Auguste. Auch Julius' jüngerer Bruder, Willi Wolff (1891-1941?), war hier mit Frau und Kindern zeitweilig gemeldet, bis sie in die Westerhafenstraße 14 umzogen. Schon der April-Boykott 1933 traf die Familie hart, 1938 wurde der Schlachterei die Gewerbeerlaubnis entzogen. 1941 zogen Julius und Bertha nach Hamburg, von wo sie am 8. November nach Minsk deportiert wurden. Dort verliert sich ihre Spur. Nur Willis Sohn, Emil Wolff (1917-99), kehrte 1945 nach Friedrichstadt zurück.
Am Binnenhafen 17 / Westermarktstraße
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Groß sei dieses Hauses Ehre…“ (Stiftertafel über dem Eingang zur Neuen Synagoge, 5607/1847)
Am Binnenhafen 17 wurde 1847 die zweite Friedrichstädter Synagoge eingeweiht. Das Gebäude überlebte – die Gemeinde nicht. Seit Januar 2003 ist hier eine Kultur- und Gedenkstätte zu Hause.
Der Grundstein zur neuen Friedrichstädter Synagoge wurde 1845 gelegt. Am 28. Dezember 1847 wurde sie durch den Altonaer Oberrabbiner Jakob Ettlinger eingeweiht, wie die Zeitschrift „Der treue Zions-Wächter“ berichtete. Wie zuvor in Rendsburg und Elmshorn, wurde der Bau durch eine Stiftung (1839) des Isaak Hartwig von Essen aus Hamburg ermöglicht. Über dem Eingang prangte eine Tafel mit seinem Namen. Der Raum war – ohne Frauenempore – für gut 100 Plätze ausgelegt, doch schon bald schrumpfte die Gemeinde. 1932 hatte sie nur noch 32 Mitglieder. Im Winter wurde ein kleiner Betsaal benutzt. Im Novemberpogrom 1938 setzten SA-Männer aus Husum die Synagoge mit Handgranaten in Brand, aus Sicherheitsgründen ließ der Bürgermeister das Feuer jedoch löschen. Das Innere wurde völlig zerstört, das Inventar an den Altwarenhändler Koch in Tönning verkauft. Nach der Zwischennutzung als Getreidelager wurde das Gebäude 1941 für einen Kieler SS-Offizier zum Wohnhaus umgestaltet. Seine Tochter, die Hamburger Journalistin Heike Mundzeck, erfuhr davon erst 1989 bei Einweihung des Gedenksteins gegenüber. Sie begleitete schließlich den Umbau der ehemaligen Synagoge zur Kultur- und Gedenkstätte (2001-03) mit einem Filmprojekt. Äußerlich erinnern heute nur die Metallrahmen in Form der alten Rundbogenfenster an die einstige Nutzung…
Westermarktstraße 24
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Gesucht Cultusbeamter (Religionslehrer, Schauchet, Chasan).“ (Anzeige in „Der Israelit“ vom 7.8.1893)
Direkt neben der Synagoge befanden sich die Gemeindeschule und das Rabbinat. In der Westermarktstraße 24 wurde 2003 der erste Friedrichstädter Stolperstein für die Tochter des letzten Rabbiners verlegt.
Die neue Friedrichstädter Synagoge bildete mit der Israelitischen Gemeindeschule (Am Binnenhafen 18) und dem Rabbinerhaus (Westermarktstraße 24) samt Hinterhof-Mikwe ein bauliches Ensemble. Am 12. März 1845 hatte die Gemeinde das Anwesen, die alte Salzfabrik des Juda Mendel, erworben. Eine eigene Elementarschule war bereits 1837/38 im Haus Am Mittelburgwall 44 eingerichtet worden. Sie sollte neben religiöser auch weltliche Bildung vermitteln. Um 1841 wurden dort bereits 80 Kinder unterrichtet, und so zog die Gemeindeschule im März 1845 an den Binnenhafen um. Nach diversen Vakanzen (ab 1852) und Rückgang der Schülerzahlen jedoch wurde sie 1885 geschlossen und 1905 ganz aufgelöst. Danach besuchten alle Kinder die Bürgerschule, Religionsunterricht wurde weiterhin separat erteilt. Während der Lehrer auch als Vorbeter und zuweilen Schochet fungierte (zwischen Schule und Synagoge befand sich der „Schächtgang“), unterstand die Gemeinde dem Oberrabbinat in Altona. Erst 1928 wurde mit Benno Cohen (1895-1944) ein eigener Rabbiner für den Bezirk Friedrichstadt-Flensburg berufen. Er sollte der letzte bleiben: 1937 zog die Familie nach Hamburg, Cohen besuchte zuletzt am 8. November 1938 das Rabbinerhaus. Ende 1938 gelang zunächst die Flucht nach Amsterdam. 1941, jedoch, wurde Familie Cohen nach Westerbork und 1943 nach Auschwitz deportiert.
Am Treenefeld / Flachsblumenstraße
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„…und bitten, die Würde des Platzes zu respektieren.“ (Vertrag der Stadt Friedrichstadt mit dem jüdischen Gemeindevorsteher Israel Behrend, 1939)
Der erste jüdische Friedhof Friedrichstadts wurde 1677 am Treeneufer im Nordwesten der Stadt angelegt – 1939 musste er zugeschüttet werden. Bis 1985 blieb auch die eigene NS-Geschichte weitgehend tabu.
Vom Binnenhafen gelangt man – über Kuhbrücke und Westersielzug – zur nordwestlichen Ecke der Stadt. Hier, auf der Fläche zwischen Flachsblumenstraße und Am Treenefeld, konnte Moses Marcus Levy 1677 einen kleinen Begräbnisplatz am Treeneufer („Op de Klint“) erwerben. Dieser wurde nachfolgend mehrfach erweitert. 1850 nahm er ernsthaft Schaden, als dänische Soldaten bei der Kanonade Friedrichstadts die Grabsteine zur Deckung nutzten. Um 1886/88 war das Areal weitgehend belegt, und so bemühte sich die Gemeinde um einen neuen Standort an der Schleswiger Straße. Einzelne Bestattungen fanden auch danach noch statt. Dass das alte Gräberfeld bereits 1936 brutal geschändet wurde, lässt sich nicht belegen. Jedoch mussten 1939 – auf Druck der Stadt – alle Grabsteine umgelegt und mit Erde zugeschüttet werden, um den Friedhof „nach außen hin nicht mehr als solchen in Erscheinung treten zu lassen“. Die Bitte der Gemeinde, „die Würde des Platzes zu respektieren“, wurde ignoriert: Nach Anlage von Kleingärten gruben fleißige Hände die störenden Steine wieder aus, noch 1954 drohte der Verkauf als Bauland. Nach Protesten von jüdischer Seite ließ die Stadt die letzten Grabsteinfragmente – ohne Sockel – im Kreis um eine Gedenktafel aufstellen. Erst 1985 folgte ein zweiter Gedenkstein am Westersielzug, außerhalb des Geländes. Die eigene NS-Geschichte blieb bis dahin weitgehend tabu.
Schleswiger Straße / Ecke Eiderallee
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Friedrichstadt lässt jüdische Leichenhalle verfallen“ (Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Bürgermeisterin der Stadt Friedrichstadt, November 2010)
Der Neue jüdische Friedhof wurde 1887/88 an der Schleswiger Straße angelegt – 1940 fand hier die letzte Beerdigung statt. 68 Grabsteine blieben erhalten, das alte Tahara-Haus bedarf jedoch der Instandsetzung.
Am Stadtfeld vorbei führt der Weg zum Holmer Tor und über den Ostersielzug – zur Schleswiger Straße. Hier, östlich der Altstadt, direkt neben dem Lutherischen Friedhof, konnte die jüdische Gemeinde 1887/88 einen neuen Begräbnisplatz samt Leichenhalle anlegen. Bereits Anfang 1886 lag dem Bürgermeister eine Kaufanfrage vor, das Genehmigungsverfahren zog sich jedoch hin: Der Kreisphysikus Dr. Schacht lehnte die fragliche „Parzelle No 12“ in der nordöstlichen Ecke an der Eiderallee als zu feucht und zu lehmig ab. Im Juni 1887 konnte endlich die Erlaubnis erteilt werden. Anfang 1888 begannen die Arbeiten am Tahara-Haus, einem schlichten Bau mit Satteldach, vier kleinen Rundbogenfenstern und Portalen an den Schmalseiten. Im November 1888 vermeldete die Polizeiverwaltung die offizielle Abnahme des neuen Friedhofs. Genau fünfzig Jahre später, im Novemberpogrom 1938, entging er wie durch ein Wunder der Schändung. Im März 1940 fand die letzte Beerdigung statt. Die Leichenhalle war bereits zuvor zu einer Transformatorenstation umgebaut worden, ihre ursprüngliche Funktion geriet in Vergessenheit. So berichtete die Presse 2010 über eine Dienstaufsichtsbeschwerde, wonach hier „eines der letzten Zeugnisse des Judentums in Stadt und Umgebung“ dem Verfall preisgegeben werde. Eine Restaurierung steht bis heute aus.
Gartenstraße 2
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Immer weniger Juden“ (Bericht der „Husumer Nachrichten“ aus Friedrichstadt, Juni 1936)
Im Haus Gartenstraße 2 wollten Moses und Henny Behrend ihren Lebensabend verbringen. Moses starb 1936, das Haus wurde 1939 zwangsverkauft und Henny 1942 in Treblinka ermordet…
Von der Eiderallee aus lohnt ein Abstecher zur Gartenstraße 2. Hier wohnten die Eheleute Moses Behrend (1862-1936) und Hendel (Henny) geb. Heymann (1873-1942). Beide stammten aus alteingesessenen Friedrichstädter Familien. Das Paar selbst blieb kinderlos. In der Westermarktstraße unterhielten sie einen Kolonialwarenladen, der für seine mehrheitlich christliche Kundschaft – besonders zur Weihnachtszeit – ein großes Sortiment an Schokoladen, Parfums und Seifen bereithielt. Um 1900 verlegten sie ihr Geschäftslokal ins „Treppengiebelhaus“ am Markt 17, verkauften dieses jedoch 1907 an Israel Behrend, Moses' Bruder. Der Name stand für Qualität. Auch als Gerichtsschöffe und Preisskatspieler war der Kaufmann Moses Behrend stadtbekannt. Nach 1933 änderte sich alles: Am 5. Juni 1936 verstarb Moses mit 74 Jahren (die Husumer Nachrichten berichteten), Henny blieb allein im Haus Gartenstraße 2 zurück. Im Zuge der „Arisierung“ musste sie dieses 1939 an einen Friedrichstädter Kaufmann verkaufen und zog nach Hamburg-Eimsbüttel. Im Altenheim des Jüdischen Religionsverbandes (Jungfrauenthal 37) fand sie ein neues, letztes Zuhause. 1942 wurde Henny Behrend über Theresienstadt nach Treblinka deportiert und dort – kurz vor ihrem 69. Geburtstag – ermordet. Zwei Stolpersteine, in Friedrichstadt und in Hamburg, erinnern an sie.
Am Ostersielzug 7
25840 Friedrichstadt an der Eider
Deutschland
„Es möge Friede sein in deinen Mauern…“ (Segenswunsch aus Psalm 122:7)
Von 1929-38 befand sich die Friedrichstädter am Ostersielzug 7 – ein für Deutschland einmaliges Beispiel religiöser Toleranz.
Entlang der Herzog-Friedrich-Straße gelangt man zurück zum Ostersielzug. Er bildete einst die Stadtgrenze Richtung Osten. Eben hier, auf dem Grundstück südlich der Brückenstraße, ließen die Remonstranten 1909/10 ihr neues Gemeindehaus mit Pastorenwohnung nach Entwürfen des Architekten Jan Verheul errichten – eines der wenigen erhaltenen Gebäude Friedrichstadts im niederländischen Stil, das mit seinen verzierten Treppengiebeln, der Freitreppe und dem Eingangsportal eher an ein Herrenhaus erinnert. (Heute ist hier eine Privatklinik für plastische Chirurgie untergebracht.) Im Keller des Remonstrantenhauses befand sich auch ein öffentliches Bad. Nach Amtsantritt des neuen Bezirksrabbiners Benno Cohen (1928) bemühte sich dieser um eine neue Mikwe für die Friedrichstädter Gemeinde – und wurde schließlich am Ostersielzug 7 fündig: Per Mietvertrag vom 20. März 1929 konnte der Ruheraum des Kellerbades umgebaut und noch bis ins Jahr 1938 zu religiösen Zwecken genutzt werden. Das Becken der Grundwasser-Mikwe ließ sich mit einer Holzplatte abdecken. Bis heute hat sich die Konstruktion erhalten – als das einzige bekannte Beispiel eines jüdischen Ritualbades in einem christlichen Gemeindehaus in Deutschland.
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