Potsdam, seit 1990 Hauptstadt des Landes Brandenburg, liegt unmittelbar südwestlich von Berlin und ist heute als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort mit gut 170.000 Einwohner*innen eines der Wachstumszentren in der Region. Wer touristisch nach Potsdam kommt, wird zunächst nach den weltweit einzigartigen Schloss- und Gartenanlagen der ehemaligen brandenburgisch-preußischen Residenzstadt Ausschau halten; vielleicht auch nach dem Holländischen Viertel oder der Russischen Kolonie, der Filmstadt Babelsberg, dem Einstein-Turm oder dem Ort der Potsdamer Konferenz. Dass Potsdam auch auf mehr als 300 Jahre jüdische Geschichte zurückblicken kann, ist weniger bekannt. Neben verschiedenen wissenschaftlichen Forschungs- und Studieneinrichtungen auf dem Gebiet der jüdischen und rabbinischen Studien, gibt es heute (Stand: 2017) mit fünf Gemeindeorganisationen wieder aktives jüdisches Leben in der Stadt. Um eine neue, gemeinsame Synagoge wird noch gerungen. Der alte jüdische Friedhof von 1743 ist weiterhin in Benutzung. Er liegf etwas außerhalb am Pfingstberg und lohnt in jedem Fall einen Besuch. Dieser Spaziergang beginnt im Stadtzentrum, am Platz der Einheit, Ecke Ebräerstraße.
Ebräersstraße 4
14467 Potsdam
Deutschland
Ebräersstraße 4
14467 Potsdam
Deutschland
Anfang und Ende
In der heutigen Ebräerstraße 4 fand sich ab 1748 die erste jüdische Gemeinde Potsdams zusammen.
Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges (1648) wurde Potsdam unter dem „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm von Brandenburg zur zweiten Residenzstadt, neben Berlin, ausgebaut. Ihren Aufschwung hatte sie unter anderem zwei Aufnahmeedikten zu verdanken: 1671 für jüdische und 1685 für verfolgte hugenottische Familien. Spätestens 1691 lebte mit David Michael ein jüdischer Kaufmann in Potsdam. Ab 1730 kamen weitere Unternehmer hinzu, vor allem in der Textilmanufaktur. Bereits um 1740 fand sich so eine kleine jüdische Gemeinde zusammen, die ihre Gottesdienste ab 1748 in der damaligen Kupferschmiedsgasse abhielt, vermutlich hier im Haus Nr. 4 (das heutige Gebäude stammt erst von 1785.)
Die „Ebräerstraße“, wie sie seit 1786 hieß, wurde unter nationalsozialistischer Herrschaft rückbenannt. Mit den Menschen sollte auch jeder andere Hinweis auf jüdisches Leben verschwinden. Heute erinnern unter anderem zwei Stolpersteine an das Ehepaar Marta und Julius Back, die von 1922 bis 1932 in der Brandenburger Straße 22 eine Bäckerei betrieben. Während den drei Kindern die Flucht gelang, wurden die Eltern 1942 nach Theresienstadt deportiert. Julius starb nach wenigen Wochen, Marta konnte 1945 in die Schweiz freigekauft werden.
Platz der Einheit 1
14467 Potsdam
Deutschland
„Auf allerhuldreichsten Königl. Befehl … feyerlichst mit einem Dankfeste eingeweyhet“ (1767)
Am heutigen Platz der Einheit 1 bildeten bis 1939 gleich drei Synagogenbauten das Zentrum jüdischen Lebens in der Stadt.
Am Standort der Alten Synagoge findet sich heute nur eine schlichte Gedenktafel von 1979. Es bedarf einiger Vorstellungskraft, dass sich hier über 170 Jahre lang das religiöse wie soziale Zentrum der Potsdamer Gemeinde mit zuletzt 600 Mitgliedern befunden haben soll. Bereits seit 1760 hatte sich Jechiel Michel als erster Rabbiner für den Bau einer Synagoge eingesetzt. Der König selbst unterstützte das Vorhaben. Am 10. Dezember 1767 wurde die neue „Schule" mit „Trompeten und Pauken“ eingeweiht und bot etwa 70 Personen Platz. Die kostengünstige Pfahlbauweise trug jedoch nicht auf Dauer, so dass bis 1802 ein Neubau nötig wurde.
Die Gemeinde wuchs weiter, und so weihte sie am 17. Juni 1903 eine dritte Synagoge im neobarocken Stil nach Plänen von Otto Kerwien ein, jetzt mit über 320 Plätzen. Über dem Toraschrein prangte der Preußenadler, darüber eine Orgel. Trotz der engen Verbundenheit mit Deutschland, wurde die Synagoge während des Novemberpogroms 1938 geschändet, wegen der Nähe zur Hauptpost jedoch nicht in Brand gesetzt. Im Mai 1939 wurde das Gebäude zwangsverkauft und anschließend von der Post weiterhin genutzt, bis zum britischen Luftangriff vom 14. April 1945. Die Ruine wurde im Zuge der Neubebauung 1955 abgerissen.
Brandenburger Straße 30/31
14467 Potsdam
Deutschland
„Bei den Nazis hieß es Kaufhaus Mainka“
Erst im Jahr 2000 wurde die jüdische „Vorgeschichte“ des Warenhauses M. Hirsch von Schüler*innen der Potsdamer Voltaireschule aufgearbeitet.
Im Herzen der Potsdamer Altstadt, am Eingang zur Fußgängerzone, findet sich auf der linken Seite ein altes Kaufhausgebäude: das ehemalige Warenhaus M. Hirsch, Brandenburger Straße 30/31. Bereits seit Generationen war die Familie Hirsch in Potsdam ansässig. 1880 eröffnete hier Magda Hirsch ein „Wollen-, Tricotagen und Posamentier-Geschäft“ als Filiale der Handelsgesellschaft Max Hirsch. Die Firma expandierte, und, obwohl schon bald weiterverkauft, wurde der Name „Warenhaus M. Hirsch“ beibehalten.
Das heutige Gebäude stammt von 1910. Ab 1917 führte die Witwe des damaligen Besitzers, Julius Rubinski, die Geschäfte weiter. Paula Rubinski (wiederverheiratete Rothschild) war auch noch Inhaberin, als das Warenhaus im November 1938 „arisiert“, das heißt an das langjährige NSDAP-Mitglied Alois Mainka zwangsverkauft wurde. Das Ehepaar Rothschild wurde 1941 nach Theresienstadt deportiert.
Nach 1945 diente das Haus als Einkaufszentrum für sowjetische Offiziere, danach als Möbel- und Einrichtungshaus, und blieb so vielen Potsdamer*innen in Erinnerung. Die schmerzliche Geschichte „hinter den Fassaden“ machte erst ein Projekt von Schüler*innen der Potsdamer Voltaireschule im Jahr 2000 öffentlich.
Dortustraße 57/ Brandenburger Straße
14467 Potsdam
Deutschland
Die letzte Zuflucht
Im Haus Dortustraße 57 kam die Jüdische Gemeinde ab 1939 zusammen. Hier lebte bis April 1943 die „einzige Jüdin in Potsdam“.
Zwischen 1933 und 1939 schrumpfte die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Potsdam von 365 auf 175 Personen. Nach dem Zwangsverkauf von Gemeindehaus und Synagoge am 30. Mai 1939 waren nur noch Treffen in privaten Räumen möglich – wie einst im 18. Jahrhundert. So kam man hier in der ehemaligen Waisenstraße 57 (seit 1948 Dortustraße) im Haus des Kaufmanns James Gersmann (gest. 1942) zusammen. Er war der letzte Vorsitzende der alten Synagogengemeinde und hatte 1938 die Nachfolge von Stadtrat Julius Zielenziger (1856-1938) angetreten.
Neben dem jüdischen Altenheim in der Babelsberger Bergstraße 1 (heute Spitzweggasse) wurde sein Haus zur „Sammelunterkunft“ für die verbliebenen Potsdamer Jüdinnen*Juden bestimmt. Unter ihnen befand sich auch Bertha Simonsohn, die Nichte Gersmanns, eine lebenslustige Frau, die nebenan in der Brandenburger Straße 19 mit ihrem Mann Max (gest. 1940) eine Drogerie unterhalten hatte. „Zur Zeit bin ich eine Sehenswürdigkeit“, schrieb die Witwe noch im November 1942 an ihre Kinder, als „einzige Jüdin in Potsdam“. Am 19. April 1943 wurde Bertha Simonsohn nach Theresienstadt deportiert. An ihren Tod nur zwei Monate später erinnert ein Stolperstein vor ihrem ehemaligen Haus.
Schloßstraße 1/ Friedrich-Ebert-Straße
14467 Potsdam
Deutschland
Eine für alle?
Seit 1993 wird in Potsdam um den Bau einer „Neuen Synagoge“ gerungen – bei derzeit fünf jüdischen Gemeindeorganisationen.
Wer heute in Potsdam nach einer öffentlichen Synagoge sucht, wird (noch) nicht fündig werden. Am dafür vorgesehenen Standort, Schloßstraße 1/ Friedrich-Ebert-Straße, klafft eine Baugrube. Dabei hatte sich bereits 1991 eine jüdische Gemeinde zusammengefunden, zumeist Familien aus der ehemaligen Sowjetunion. Daraus ging der heutige „Landesverband der Jüdischen Gemeinden Land Brandenburg“ hervor. Die Potsdamer Mitglieder organisierten sich 1996 als „Jüdische Gemeinde Stadt Potsdam“. Derzeit sind es über 400 Mitglieder, mit Familien 1.200 Personen.
Pläne für eine Synagoge bzw. ein Gemeindezentrum gab es seit 1993, ein eigener „Bauverein Neue Synagoge Potsdam” folgte 2005. Aus einem europaweiten Wettbewerb ging 2009 der Entwurf des Berliner Architekturbüros Haberland hervor. Die Baugenehmigung wurde 2010 erteilt. Doch trotz Unterstützung von Stadt und Land wurde noch nicht gebaut. Nach internen Differenzen hatte sich 1999 die „Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde“ abgespalten, 2010 die „Synagogengemeinde Potsdam“ (heute zusammen mit „Chabad-Lubawitsch Brandenburg“) samt eigenem „Synagogen-Förderverein Potsdam“. Von letzterem stammt das Transparent vor Ort. Als fünfte Organisation kam 2012 die „Beth-Hillel-Hochschulgemeinde“ hinzu. Bei aller religiösen Vielfalt scheint nun endlich ein Kompromiss in Sicht.
Friedrich-Ebert-Straße 121
14467 Potsdam
Deutschland
„Durch seine öden Straßen wandern wir…“
Im Frühjahr 1829 weilte Heinrich Heine in Potsdam – und war dabei nicht besonders glücklich.
Auf dem Weg entlang der Friedrich-Ebert-Straße, kurz nach der Schwertfegerstraße (einst Potsdams Kreuzung „Acht Ecken“), findet sich an Haus Nr. 121 eine nur flüchtige Spur: eine Gedenktafel für Heinrich Heine (1797-1856). Gerade mal drei Monate, von April bis Juli 1829, weilte der Dichter hier in der einstigen Hohewegstraße 11, um in „ländlicher Zurückgezogenheit“ (Heinrich Stieglitz) am dritten Teil seiner Reisebilder weiterzuschreiben. Bereits 1825 hatte sich Heine protestantisch taufen lassen. Damit erhoffte er sich 1829 als „Doktor der Rechte“ bessere Anstellungschancen auf eine Professur an der Universität München. Doch just zu dieser Zeit spitzte sich eine Auseinandersetzung mit seinem Dichterkollegen August Graf von Platen erheblich zu, indem dieser Heine massiv judenfeindlich angriff. Im Gegenzug machte Heine Platens Homosexualität 1830 in seinen Reisebildern öffentlich. Die Professur wurde ihm verweigert, und frustriert ging Heine 1831 nach Paris. Überhaupt scheinen die Tage in Potsdam nicht allzu fröhlich gewesen zu sein. Geblieben sind einige bissige Zeilen über die Stadt. Für Heine war sie gleichsam ein „Denkmal“ Friedrichs des Großen, „durch seine öden Straßen wandern wir wie durch die hinterlassenen Schriftwerke des Philosophen von Sanssouci, es gehört zu dessen œuvres posthumes,…“
Am Neuen Markt 8/ Siefertstraße
14467 Potsdam
Deutschland
„Nach Wahrheit forschen…“
Der Philosoph Moses Mendelssohn wurde 1992 zum Namensgeber des ersten Forschungsinstitutes für europäisch-jüdische Studien in Potsdam – weitere folgten.
Seit den 1990er Jahren entwickelte sich Potsdam zu einem national wie international anerkannten Wissenschaftsstandort für den Bereich der jüdischen und rabbinischen Studien. Den Anfang machte 1992 das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) hier am Neuen Markt: ein interdisziplinäres Forschungsinstitut für die Geschichte, Religion und Kultur des Judentums in den mehrheitlich nichtjüdischen Ländern Europas. Ein Besuch der gut sortierten Bibliothek (durch die Toreinfahrt links) lohnt in jedem Fall.
In Kooperation mit der Universität Potsdam wurde 1994/95 der interdisziplinäre Studiengang Jüdische Studien/Jewish Studies eingerichtet. 1999 folgte die Gründung des Abraham Geiger Kollegs, des nach 1945 ersten Seminars zur Ausbildung von Rabbiner*innen, jüdischen Religionslehrer*innen und, seit 2007, Kantor*innen in Deutschland. Eine eigene School of Jewish Theology eröffnete 2013. Zwei Jahrzehnte nach Gründung des MMZ wurde schließlich 2012 mit dem Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (ZJS) auch der Plan eines Lehr- und Forschungsverbundes diverser wissenschaftlicher Einrichtungen in Potsdam, Berlin und Frankfurt/Oder verwirklicht.
Puschkinallee 18
14469 Potsdam
Deutschland
„Der HERR erlöst die Seele seiner Knechte…“ (Psalm 34:23)
Seit 1743 war und blieb der Jüdische Friedhof am Potsdamer Pfingstberg Spiegel jüdischen Lebens in der Stadt – bis heute.
Trotz aller Gedenktafeln oder Stolpersteinen, ist der Ort, an dem jüdisches Leben in Potsdam wirklich sichtbar wird, der Jüdische Friedhof am Pfingstberg (Haltestelle Puschkinallee). Ein Besuch ist täglich außer am Schabbat möglich.
1743 am damaligen Eichberg, anschließend „Judenberg“, angelegt, wurde der Friedhof dreimal erweitert (1874, 1910 und 1920) und ist heute mit seinen 532 historischen Grablegen der flächenmäßig größte in Brandenburg. In Trägerschaft des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Land Brandenburg wird er seit 2012 wieder von einer eigenen Beerdigungsbruderschaft, der „Chewra Kadischa“ (gegr. 1855), betreut.
Nach Jahren des Verfalls und einer grundlegenden Sanierung seit 1990 ist nun sogar eine vierte Erweiterung geplant. Die Belegung spiegelt deutlich die einzelnen Entwicklungsphasen der jüdischen Gemeinde wider: Während die jüngsten Gräber im unteren Bereich des Friedhofs aus der Zeit nach 1991 stammen, befinden sich die ältesten in der Mitte (ab 1743), darüber die teils prächtigen Grabstätten des 19. und 20. Jahrhunderts (bis 1942). Besonders sehenswert ist auch die restaurierte Trauerhalle von 1910 samt Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten. Seit 1977 steht das Ensemble unter Denkmalschutz, 1999 folgte die Aufnahme ins UNESCO-Welterbe.
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